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Es war einmal ein Wartehäuschen, das ließ sich wie ein großes Ohr jeden Tag erzählen, was der Omnibus auf seinen Fahrten von Dorf zu Dorf erlebt hatte. Es waren unterhaltsame Schilderungen von sausendem und manchmal schlingerndem Asphalt, von tapfer dem Straßenstaub strotzenden Bäumen und Büschen, von dem Gras, das zwischen ihnen um sein Leben kämpfte und sich dabei noch schützend um die Blümchen scharte, von den gegeneinander abgegrenzten Feldern, Weiden und Wäldchen, die aber mit Hilfe des Windes gute Nachbarschaft pflegten und sich gerne mit Samen aushalfen, um sich im Gebiet des anderen auszubreiten und gastfreundlich braune, grüne oder gar blühende Vielfalt zu gewinnen.
Am liebsten erzählte der Bus, der nicht nur am Tage gut und weit sehen konnte, sondern auch bei Nacht so weit wie seine starken Lampen schienen, von den Menschen. Er transportiere sie gerne, sagte er immer wieder, denn sie seien bei weitem nicht so robust wie er und müßten an ihrem Schicksal schwerer tragen als er an ihnen.
»Außerdem,« fügte er gelegentlich hinzu, »erzählen sie so gerne, wenn sie sich in meinen Polstersitzen ausruhen können und dabei doch vorwärtskommen. Dadurch erfahre ich auch, wie es ihnen zu Hause geht und in der Firma, wo sie arbeiten.«
Das Wartehäuschen, das ja selber nicht viel erlebte, konnte in diesem Punkte auch einiges zu dem Gespräch beitragen. Denn auch beim Warten besprachen die Menschen manches von dem, was sie innerlich bewegte. Aber je länger das Warten dauerte, je mehr Zeit sie also hatten, um sich auszusprechen, um so ungehaltener wurden sie vor Ungeduld.
»Ist ja klar,« verteidigte die Haltestelle das unwirsche Verhalten der Fahrgäste: »Sie wollen doch weiter. Bleiben wollen sie nur, wo es notwendig ist oder wo es ihnen gefällt. Ich selber bin nicht schön genug und wichtig nur als Durchgangsstation. Und nur selten treffen Leute zusammen, die sich so vertrauen, daß sie sich mehr zu erzählen haben, als eine kurze Wartezeit ermöglicht.«
Ab und zu änderte der Bus seine Route; aber zu dieser Haltestelle kam er immer. Und von jeder neuen Strecke brachte er neue Erfahrungen und neue Berichte mit.
Das Wartehäuschen, das mehr und mehr verwitterte und Moos ansetzte, bewahrte alles in seinem großen Gedächtnis. Eines Tages aber wurde es weggenommen und in eine Ecke des Busbahnhofs gestellt.
»Nun erfahre ich gar nichts mehr,« klagte es wehmütig, »das Leben hat gar keinen Sinn mehr. Ich werde verrosten, und mit mir verfällt die ganze Fülle des Lebens, die sich in mir gespeichert hat.«
Eines Tages aber entdeckte ein Kind das alte Wartehäuschen. Es setzte sich auf die Bank und ließ die Beine baumeln, um ruhig zu überlegen, was es denn von diesem neuen Stützpunkt aus wohl alles unternehmen könne.
Da begann das Wartehäuschen zu flüstern und zu raunen:
»Hör zu, mein Kind, und lauf nicht weg. Ich will dir vom Leben erzählen, von den Straßen und Häusern, von den Bäumen und Büschen, von Äckern, Weiden und Wäldern, von Tieren und Menschen. Ich habe alles von einem guten Freund, der war ganz groß dabei und ist doch nicht erkannt worden. Der Bus hat es mir erzählt. Ich habe es aufbewahrt und Geschichten daraus gemacht, wahre Geschichten. Höre mir gut zu, denn ich kann dir viel Kummer ersparen. Ich sage dir, wo die Wege sind und wo die Hindernisse, außen und innen. Am besten aber kannst du von mir lernen, daß sich das Warten lohnt. Mit Geduld lockt man die Welt in sich wie ein Vakuum.«