Helmut Wördemann
Gedichte
Helmut Wördemann

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Die einsame Puppe

Es war einmal eine Puppe aus festem Stoff. Innen bestand sie aus gutmütig-nachgiebigem Stroh, das ein liebevolles Herz umschloß. Äußerlich sah sie etwas grob aus, doch hübsch bemalt, so dass sie alles in allem eine gute Figur machte. Die Puppe hatte auch schöne lange Haare. Sie war nämlich ein Mädchen.

Die Puppe lag allein in einer Ecke und träumte im Halbdunkel vor sich hin, denn niemand kümmerte sich um sie. Das machte sie mit der Zeit ganz traurig. Schließlich konnte sie es nicht mehr aushalten und machte sich auf die Wanderschaft. Sie schlich sich aus der Ecke des Kinderzimmers, ging durch den Flur und gelangte von dort erst in die Küche und dann ins Wohnzimmer. Überall sah sie sich nach ihresgleichen um, denn sie suchte jemanden zum Liebhaben. Es war aber nirgendwo eine Seele zu finden, bis sie auf die Idee kam, sich in den Fernsehsessel zu setzen und den Apparat einzuschalten.

Sie hatte sofort Glück: Auf dem Bildschirm erschienen mehrere Puppen ihrer Art. Eine davon war so sympathisch, dass die Puppe im Sessel vor Freude aufschrak. Sie ließ sich auf den Teppich rutschen und näherte sich dem süßen Kind, das so lieb mit anderen Puppen spielte. Sie wusste nicht, ob es ein Junge oder ein Mädchen war, ob jung oder alt. Das war ihr alles egal. Wichtig war nur, dass sie in die Gruppe aufgenommen wurde und dass sie mit der ihr so sympathischen Puppe zusammenkam.

Verschämt, aber ohne sich von ihrer Scheu aufhalten zu lassen, ging sie direkt auf dieses holde Wesen zu, um es zu umarmen und zu küssen und um an seiner Seite mit den anderen zu spielen.

Als aber ihre Hände und ihre Lippen den abweisenden Bildschirm berührten, prallte sie zurück und weinte vor Schmerz.

Schwer von Kummer, schleppte sie sich wieder in ihre Ecke im Kinderzimmer zurück. Doch hier hatte sich das andere Spielzeug inzwischen so verschoben und neu zurechtgelegt, dass für die Puppe gar kein Platz mehr zu sein schien. So kehrte sie wieder um und kroch in einen noch dunkleren Winkel.

Gerade als sie sich niederlegen wollte, um vor Trauer zu vergehen, fühlte sie etwas Glattes. Bei längerem und genauerem Hinsehen erkannte sie darin eine Porzellanfigur, eine Puppe, die sie früher oft wegen ihrer farbigen und glänzenden Schönheit beneidet hatte.

»Kommt da jemand?« fragte die Porzellanfigur und erhob sich, so dass sie nun so groß war wie die Stoffpuppe.

»Ich bin es,« antwortete diese, »du kennst mich von früher. Du wolltest zwar nie mit mir spielen, aber wir gehörten damals zur selben Spielzeugfamilie.«

»Ach ja,« seufzte die Porzellanfigur halb enttäuscht, halb erleichtert. »Hat man dich auch dir selbst überlassen? Jaja, es ist hart, so allein zu leben, wenn sich keiner um einen kümmert. Wie sehe ich eigentlich aus? Ach, was frag ich groß. Dreckig bin ich von oben bis unten. Ich könnte den ganzen Tag heulen.«

»Nein,« sagte da die Stoffpuppe und trat entschlossen auf den Rivalen alter Zeiten zu, »ich werde dich putzen. Halte nur still, so, ja, so geht es.«

Sie hatte den Saum ihres Kleides gehoben und wischte die Porzellanfigur damit so gründlich ab, dass sie wieder so hübsch glänzte wie damals.

»Wir sollten zusammenbleiben,« schlug die Porzellanpuppe deshalb vor.

»Ja,« antwortete die Mädchenpuppe und errötete, denn sie hatte sich in die Porzellanfigur verliebt, während sie diese herausgeputzt hatte.

So legten sie sich zueinander. Und wenn es auch sehr mühsam und langwierig war, das kalte Porzellan zu erwärmen, so hatte das Puppen-Mädchen doch das Gefühl, nun ihren Platz im Leben gefunden zu haben.

Als ihre Verliebtheit nachließ, dachte sie: »Eigentlich ist es ja meine eigene Wärme, die ich mit ihm genieße. Aber sie ist verwandelt, wenn sie ihn durchströmt hat, und ich empfange mein eigenes Gefühl wie ein Geschenk.«

 


 


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