Helmut Wördemann
Gedichte
Helmut Wördemann

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Die warme Decke

Es war einmal eine Decke, die war so wohlig warm, dass jeder sie gerne über sich zog. Am beliebtesten war sie im Winter.

Eines Tages, nach einer besonders harten Kältezeit, in der die Decke mehr denn je gebraucht worden war, wurde es ihr zu viel.

»Bin ich denn verrückt,« motzte sie vor sich hin, »soll ich mich von den Menschen verschleißen lassen? Es ist ja kaum noch `was dran an mir. Die Blumen sind schon verblichen, die mich aussehen ließen wie ein Gartenbeet im Herbst. Und der Stoff wird auch immer dünner. Ich mache nicht mehr mit. Ich behalte meine Wärme lieber für mich, als dass ich mit ihr meine Existenz aufopfere.«

Bei der nächsten Gelegenheit, als sie nämlich auf dem Wäscheboden gereinigt worden war, ließ die Decke sich von der Leine fallen und verkroch sich unter der Dachschräge, wo niemand sie finden konnte.

Nun war aber der Sommer noch weit, wenn auch der Winter sich verzogen hatte. So geschah es, dass die Decke fürchterlich fror.

»Was ist das?« wunderte sie sich zitternd, »ich war doch sonst immer so warm.«

Da meldete sich ein alter Mantel zu Wort, der aus einem Müllsack lugte und auf die nächste Straßensammlung wartete. »Du bist sehr unerfahren,« sagte er gequetscht, denn er hatte die Schultern zusammengezogen und sich auch sonst so eng wie möglich eingerollt, um die Kälte nicht an sich zu lassen. »Du müsstest sonst wissen, dass unsereiner, du wie ich, gar keine Wärme hat. Wir können doch nur Wärme speichern und wieder abgeben. Erst müssen die Menschen uns ihre Wärme geben, dann strahlen wir zurück. Das ist alles. Allein sind wir nichts als kalte Lappen.«

»Ich merk's,« gab die Decke zu und rollte sich wieder unter die Leine zurück.

 


 


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