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Es war einmal eine Zigarette, die hatte ihr ganzes Leben in einer dunklen Schachtel verbracht und wusste nichts von der Welt draußen. Eines Tages aber holte sie ein Mann hervor und steckte sie sich in den Mund.
»Wo bin ich denn jetzt?« fragte sich die Zigarette und staunte über die weite und bunte Umgebung. Dann schielte sie an ihrem eigenen Körper entlang und wunderte sich noch mehr: »So schön weiss bin ich und so fein und schlank?« Sie wippte vor Vergnügen auf und ab. Dabei sah sie die Nase, die wie ein Vordach über ihr in den Raum ragte.
»Wer bist denn du?« fragte die Zigarette mit verächtlichem Unterton. »So ein Monstrum habe ich ja noch nie gesehen.«
»Ich beschütze dich,« antwortete die Nase in ihrer ersten Verlegenheit, denn sie hatte nie über ihr Äußeres nachgedacht, sondern nur immer brav ihre inneren Funktionen in Ordnung gehalten.
»Haha,da muss ich doch lachen,« höhnte die Zigarette, »also ehrlich. Du bist zwar ein kräftiger Kerl, um nicht zu sagen plump, aber du bist doch nicht einmal lang genug, um mich zu überdachen.«
»Na ja,«räumte da die Nase ein, die sich auf ihren eigentlichen Zweck besonnen hatte, »das war nur so dahergesagt. Eigentlich bin ich eine Filteranlage und ein Riechorgan. Ich sorge dafür, dass kein Dreck ins Gehirn kommt; ich wärme die Luft auf, die der Mann durch mich einatmet und vor allem rieche ich und teile meinem Herrn mit, was duftet und was stinkt, was ihm schmecken wird und was nicht, ob er eine natürliche oder eine künstliche Blume vor sich hat, ob etwas faul ist oder genießbar undsoweiter.«
»Kannst du mich auch riechen?« erkundigte sich die eitle Zigarette.
»Nein, dich kann ich nicht riechen.«
»Na also, dann Spiel' dich nicht auf mit deinen Fähigkeiten. Ich hänge direkt unter dir, also müsstest du mich auch riechen können.«
In diesem Augenblick zündete der Mann die Zigarette an, obwohl er noch vor dem Spiegel stand, um seine Krawatte zurechtzurücken.
»Jetzt kann ich dich riechen,« sagte die Nase, »gar nicht so übel, wirklich, und stark obendrein.«
»Jaha,« triumphierte die Zigarette, durch die der warme Rauch wie ein Glücksstrom zog. »Und wie schön ich jetzt bin. Ich weiss gar nicht recht, wie das gesschah, aber mein Gesicht blüht plötzlich so schön, dass ich vor Freude vergehen könnte.«
»Das wirst du auch,« belehrte sie die Nase, die schon manche Zigarette hatte verglühen sehen. »In wenigen Minuten schon wirst du kürzer sein als ich, und dann bist du bald ganz am Ende.«
Da paffte die Zigarette und stieß wundersame Dampfwölkchen aus: »Siehst du das? Sei nur nicht neidisch. Du kannst mich ja mitgenießen. Im übrigen glaube ich dir kein Wort. Ich fühle mich so stark und nützlich, so voller Leben – es ist doch absurd, ausgerechnet jetzt zu behaupten, es gehe mit mir zu Ende.«
»Es ist eine Gnade,« erklärte die Nase fast feierlich, »so schön sterben zu dürfen.«
Sie wollte eigentlich hinzufügen: »Nur schade, dass du bei aller Schönheit so giftig bist.« Doch sie verkniff sich diese Bemerkung, um der Zigarette das Sterben nicht unnötig schwerzumachen.
Die Zigarette aber war berauscht von sich selbst. Sie rollte sich zwischen den Lippen und hüpfte vor lauter Seligkeit, bis sie endlich sah, dass ihre Spitze sich in graue Asche verwandelt hatte, die der Mann gleich darauf in den Aschenbecher streifte.
Jetzt erschrak sie und nahm zur Kenntnis, dass sie wirklich so kurz geworden war wie die Nase.
»Und wenn schon,« sagte sie trotzig,»ich will das Leben in vollen Zügen genießen.«
Sie atmete noch gieriger und schneller als bis dahin. Zwei Minuten später war sie ein verglommener Leichnam.