Helmut Wördemann
Gedichte
Helmut Wördemann

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Der ehrgeizige Punkt

Es war einmal ein Punkt, der wollte so gerne aus sich herausgehen und etwas werden.

»Ich stehe ja immer nur auf derselben Stelle,« jammerte er, »und komme nach keiner Seite voran.«

Da kam ein Strich vorbei und lachte.

»Was zögerst du?« rief er schließlich, als er zu Ende gelacht hatte, »streck dich, und schon bist du ein Strich.«

Das tat der Punkt, und wirklich, wohin er auch zog, er schuf eine Linie. Er ging nach vorne, er ging nach allen Seiten. Dann probierte er es mit oben und unten. Es gelang Zug um Zug.

»Jetzt!« jubelte der Punkt, »bin ich allmächtig! Ich kann Kästchen machen und Kreise, ja, ich kann sogar Sterne zeichnen!«

Als der Strich aber nach einigen Wochen wieder vorbeikam, kauerte der Punkt trübsinnig wie zuvor in seiner Ecke.

»Was ist los mit dir?« erkundigte sich der Strich teilnahmsvoll.

»Nichts!« erwiderte der Punkt muffelig, »aber was habe ich davon, wenn ich Linien ziehen kann und keine Fläche?«

»Du bist undankbar,« mahnte der Strich. »Sieh mich an, früher war ich auch nur ein Punkt und kam nicht vom Fleck, jetzt komme ich überall hin und kann doch jederzeit zu einem Punkt zusammenschrumpfen – wenn ich will. Aber das ergibt keinen Sinn. Noch sinnloser aber ist es, immer und immer mehr sein zu wollen. Als Punkt wolltest du zum Strich werden, als Strich willst du lieber Fläche sein; und damit hört es nicht auf, denn eines Tages willst du dich auch noch räumlich ausdehnen. Dann weiß das eine

Ende nicht mehr, was das andere tut.- Zeichne einen Kasten oder einen Kreis, damit fängt es doch schon an: Wo ist der Anfang und wo ist das Ende? Sei vernünftig und beschränke dich freiwillig!«

 


 


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