Helmut Wördemann
Gedichte
Helmut Wördemann

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Der verschimmelte Osterhase

Es war einmal ein großer Schokoladen-Osterhase. Der sah so schön aus, dass die Kinder ihn nicht zerbrechen und essen mochten. Sie stellten ihn gleich am ersten Feiertag auf den Wohnzimmerschrank, wo er in seinem silberroten Gewand nichts tat und doch allen eine Freude machte.

Mit der Zeit aber fand auch der Schimmelpilz Gefallen an der leckeren Figur. Er verbreitete sich rücksichtslos auf ihrer nackten Haut und zehrte an der Schokolade, so dass der Hase ganz krank davon wurde.

Die Kinder bemerkten sein Siechtum erst, als auch ein Teil der Kleidung zerfiel. Sie wollten das hübsche Tier aber trotzdem nicht opfern. Da sprach die Mutter ein Machtwort:

»Jetzt ist aber Schluss. Ihr könnt die Schokolade sowieso nicht mehr essen, wir werfen die Figur weg.«

Die feinhörigen Kinder merkten gleich, dass die Mutter zögerte, denn sonst hätte sie nicht gesagt: »Wir werfen die Figur weg,« sondern hätte sie gleich genommen und in den Abfalleimer gelegt. Deshalb bettelten sie um das Leben der Schokoladengestalt wie um ein echtes Tier.

»Ich weiß 'was,« sagte eine der beiden Töchter,»wir kaufen für unser Taschengeld eine Gussform und machen einen neuen Hasen.«

Die Mutter war einverstanden. Als die Kinder aber eine Gussform kaufen wollten, stellten sie fest, dass ihr Geld nicht reichte.

»Für einen so großen Hasen ist es nicht genug,« bedauerte der Kaufmann, »aber ich habe auch eine kleine Form, für junge Hasen, macht euch doch ein paar Hasenkinder.«

Diese Idee fanden die Mädchen und Jungen ganz hervorragend. Sie nahmen die kleine Form und gingen lebhaft sprechend nach Hause. Als sie hier anlangten, stand ihr Plan fest:

»Wir schmelzen den kranken Hasen, töten dabei die Schimmelpilze und gießen die Masse in die kleine Hasenform, das gibt mindestens vier Häschen, für jeden von uns eines. Natürlich dürfen wir sie nie essen, denn vielleicht sind die Pilze doch nicht ganz tot. Die Schokolade schmeckt ja auch gar nicht mit den Schimmelrückständen. Umso besser, denn wir wollen sie ja behalten.«

Mit Hilfe der Mutter, die einen Topf mit Gießtülle bereitstellte und den Kindern den Küchenherd überließ, gelang es tatsächlich, vier kleine Hasen zu fabrizieren. Die Mädchen nähten ihnen zierliche Anzüge, und dann durften sie den Platz der »Hasenmutter« einnehmen, und weil sie selbst gemacht waren, liebten die Kinder sie noch mehr als den geopferten Schokoladen-Osterhasen.

 


 


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