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Es war einmal ein elektrischer Zug, der war sehr stolz darauf, dass er so schnell und so weit fahren konnte. Er stand erwartungsvoll vibrierend im Hamburger Hauptbahnhof und freute sich auf die Fahrt nach München. Er wollte es allen anderen Zügen zeigen. Verächtlich zischte er den Vorortzug auf dem Nebengleis an, der noch mit Diesel betrieben wurde.
»Mach' doch nicht so einen Lärm,« knatschte der Intercity-Zug, »man hört ja nicht einmal mehr die Menschen, wenn du neben einem stehst.«
»Aber ich kann doch nicht anders,« entschuldigte sich der Triebwagen, »ich gehöre zur älteren Generation. Als ich gebaut wurde, war die Technik noch nicht so komfortabel wie zu deiner Entwicklungszeit. Und wenn auch, ich bin für meinen Zweck geschaffen und du für deinen. Ich dulde deine Überlegenheit, warum kannst du dich nicht mit meiner Unterlegenheit abfinden? Sie müsste dir doch gut tun. Mein Lärm sagt dir doch, dass du der bessere Zug bist, also kannst du ihn doch ertragen. Ja, er sollte dir wie Musik, wie eine Huldigung klingen.«
»Ich weiß auch so, dass ich etwas Besseres bin,« höhnte der IC, »du fährst nach Ahrensburg, und ich fahre nach München, da hast du den Unterschied.«
Die Diesellok schwieg. Dann setzten sich beide Züge in Bewegung. Bescheiden ratterte der eine nach Norden, der andere in Richtung Süden.
Der IC kam sich vor wie der Herr der Welt, als er mit hoher Geschwindigkeit durch die Landschaft raste. Nur in bedeutenden Städten hielt er sich hochmütig kurz auf. Unangefochten wie ein Sieger mit weitem Vorsprung erreichte er München, wo er nach vollbrachtem Arbeitstag auf einem Nebengleis ausruhen durfte.
Vor dem Einschlafen wollte er seine Leistung noch einmal in beschaulichem Rückblick genießen. Deshalb erzählte er seine Abenteuer vom Gespräch mit dem Triebwagen bis zur glorreichen Einfahrt in die Hauptstadt Bayerns einer alten Dampflok, die in der Nähe stand und gelassen auf das Bahnhofstreiben sah. Sie machte einen sehr guten Eindruck, da sie zum Museumsstück aufpoliert worden war und nun als ihr eigenes Denkmal prunkte. Sie schien dem IC ein würdiger Gesprächspartner zu sein.
Als der elektrische Zug aber mit seinem selbstherrlichen Bericht fertig war, lobte ihn der greise Oldtimer nicht, sondern meinte nur ganz freundlich:
»Junger Freund, nimm es mir nicht übel, aber wenn man die Dinge nicht nur aus räumlicher, sondern auch aus zeitlicher Distanz betrachtet, sieht man sie auch in einem räumlichen und in einem zeitlichen Zusammenhang. Was große Strecken betrifft, nun gut, da bist du dem Diesel überlegen. Auf kleinen Strecken hingegen bist du mit deiner Raserei kaum sinnvoll zu gebrauchen. Und mit der Zeit wirst auch du einen Rivalen bekommen, der dir überlegen ist, die Magnetschwebebahn zum Beispiel. Und wenn ich noch etwas sagen darf: Sind wir nicht alle nur Geschöpfe der Menschen? Du weißt doch, dass kein Schräubchen deines elegant-wuchtigen Körpers von selbst gewachsen ist, und auch dein gutes Aussehen verdankst du nur den Menschen, genau so wie der Triebwagen und wie ich und wie die Magnetschwebebahn. Und wenn du so stolz darauf bist, von Hamburg nach München gefahren zu sein, so muss ich dein Selbstbewusstsein auch in diesem Punkt ein wenig erstarren lassen. Du hast es vielleicht gar nicht gemerkt, aber die Weichen der langen Strecke haben die Menschen gestellt. Du bist wie wir alle ein Produkt der Menschen und wirst von ihnen gesteuert. Wir sind nur Mittel zum Zweck und sollten uns nicht zu viel einbilden.«
Der IC, der so herrlich von Hamburg nach München gebraust war, hatte ein sehr sensibles Gemüt. Vielleicht hatte er sich auch nur deshalb so aufgespielt, weil es ihm an urwüchsigem Selbstbewusstsein fehlte. Um alles richtig zu machen, musste er sich bei jeder Gelegenheit in Frage stellen und sich bis ins Feinste durchchecken lassen. Das verunsicherte ihn immer wieder, und dagegen wehrte er sich mit wichtigtuerischem Gehabe.
Nun, nach der sanft brennenden Kritik der weisen alten Dampflok, sackte seine aufgeblasene Überheblichkeit zusammen, und verschämt begann der stolze IC zu weinen .