Helmut Wördemann
Gedichte
Helmut Wördemann

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Der hochmütige Gobelin

Es war einmal ein Teppich, der lag im Wohnzimmer einer großen Familie. Außer den Eltern und Kindern liefen oft auch Besucher darauf hin und her, so dass der Teppich sich mit der Zeit abnutzte.

Über ihm hing an der Wand ein Schmuckteppich, ein Gobelin, der spottete manchmal von oben herab: »Na, wie geht es dir? Tut nicht gut, sich den ganzen Tag treten zu lassen, wie?«

»Aufhängen lassen möchte ich mich auch nicht,« rief der Geschmähte von unten zurück. »Da liege ich schon lieber und lasse alles über mich ergehen. Das ist eine anständige Arbeit. Ich erleichtere den Menschen das Leben, du Schöntuer.«

»Haha, als ob Schönheit nicht auch zu den Annehmlichkeiten des Lebens gehörte. Mein Anblick macht Freude, ich bleibe dabei sauber, und zertrampelt werde ich auch nicht.«

Der Teppich auf dem Boden schwieg, musste er doch dem Nichtstuer da oben im stillen rechtgeben. Andererseits war auch er einmal schön gewesen und dachte doch ein wenig wehmütig an die lobreicheren Tage zurück.

»Was soll's,« tröstete er sich schließlich, »meine Schönheit ist bei der Arbeit vergangen, es ehrt mich, dass sie nützlich zugrundeging. Der da oben wird eines Tages verrotten, das dauert zwar länger, aber dafür ist er ja auch nicht so wichtig wie ich. Das Schmuckstück,das.«

Als aber der Bodenteppich eines Tages so unansehnlich geworden war, dass man sich seiner schämte, sagte die Hausfrau: »Es ist ja nur ein Teil so schäbig geworden, wo wir immer gehen. Deshalb müssen wir ja nicht den ganzen Teppich rauswerfen. Wir legen einfach den Gobelin darüber, den hab ich sowieso satt. Immer dasselbe Bild an der Wand, also nein, das ist mir zu langweilig.«

Und so wurde der Schmuckteppich von seiner hohen Warte herabgeholt und musste seinem bis dahin verachteten Rivalen als Zierrat dienen. Der lästerte aber nicht. Er brauchte den Hochmut nicht zu rächen, das würden schon die Füße tun, Tritt für Tritt.

 


 


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