Helmut Wördemann
Gedichte
Helmut Wördemann

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Der häßliche Dackel

Es waren einmal zwei putzige Dackelkinder, die spielten so vergnügt und erheiternd, als wäre der Ernst des Lebens nichts als eine ferne Gerüchtewolke, die niemals auf sie herabregnen würde.

Je größer die Hunde aber wurden, um so mehr zeigte sich, daß sie verschiedene Eltern hatten. Ja, der eine Dackel war nicht einmal ein richtiger Dackel. Der Kopf mit den unbeholfen winkenden Schlappohren, der Hals und der Rücken entsprachen dem natürlichen Dackelbauplan, der Schwanz jedoch gehörte eher zu einem Spitz. Das Schlimmste aber waren die Beine. Statt kurz und liebenswürdig krumm zu bleiben, hatten sie sich zu unansehnlichen Säulen gestreckt und dem an sich bescheidenen Körper den Anschein eines ungehörigen Hochmutes aufgezwungen.

Der andere Dachshund dagegen war ein Prachtkerl, schön von Gestalt und klein genug, um für die Dachs- und Fuchsjagd abgerichtet zu werden. Er kroch in jede Höhle, allerdings gab es in dieser Gegend keine Dachse mehr, und Füchse erlegten die Jäger mit Gift.

Als der häßliche Dackel eines Tages unverhofft in einen mannshohen Spiegel blickte, schrak er vor sich selbst zurück:

»Nein!« schrie er, kläffte das Spiegelbild fragend an und schaute sich um, als ob er das wahre Original neben oder hinter sich suchte. Dann erkannte er, daß er wirklich sich selber sah. Die gute Meinung, die er bisher von sich gehabt hatte, stellte sich nicht etwa ein bißchen schief, sondern gleich auf den Kopf, so daß er nun meinte, sich verachten zu müssen:

»So seh´ ich aus? So verkorkst und unsympathisch? Warum sind denn die Kinder so nett zu mir? – Aus Mitleid, klar, ich will aber kein Mitleid. Lieber will ich sterben, als nur geduldet zu sein.«

Der Gedanke gefiel ihm so gut, daß er seinen trübsinnigen Untergang in die Länge zog. Und als die Kinder seine Schwermut bemerkten und nun erst recht lieb zu ihm waren, da hätte er seinen Selbstvernichtungsplan fast wieder aufgegeben. Doch ohne diesen wehmütigen Gedanken an den freiwilligen Verzicht auf das unfreundliche Leben, funktionierte das süß-schmerzhafte Glücksgefühl nicht.

Inzwischen machte sein Ziehbruder Karriere. Der Vater verkaufte das Wundertier an eine schöne große Frau in der Stadt, die kinderlos war und doch gerne etwas Unterlegenes haben wollte. Es war nicht einfach, die parfümierten Zärtlichkeiten und das Hals zerrende Promenieren in nicht ganz reiner Luft zu ertragen, aber manchmal machte es doch Spaß, so daß der schöne Dackel alles in allem zufrieden sein konnte.

Unterdessen spiegelte sich der häßliche Dackel immer mehr im Gemüt der Kinder und sah hier ein ganz anderes Bild als im Kleiderspiegel. Er hatte doch mit seiner Trauermine und mit seinem geduckten, schleppenden Gang zu verstehen gegeben, daß er selber nichts von sich hielt. Er hatte sich so erniedrigt, daß man darin ein Angebot sehen konnte, ihn ohne widersprechendes Gebell loszuwerden. Wieso machten die Kinder keinen Gebrauch davon?

Das größte, ein Mädchen, dem schon der erste Liebeskummer den vertrauensvollen Blick der Kindheit zurechtgeschliffen hatte, sagte es dem Dackel, ohne zu ahnen, daß er alles verstand:

»Du bist doch der Beste. Du wirst nicht gleich aggressiv, wenn einem ein böses Wort entschlüpft. Und wenn man dich aus Versehen auf einen Fuß tritt, jaulst du, beißt aber nicht; du weißt, daß es keine Absicht war. Vielleicht bist du auch nur feige, aber eine gewisse Feigheit ist gut. Weißt du warum? Nun, sie läßt dich zögern, so daß du nachdenken kannst, bevor du zurückschlägst, was dann aber meistens gar nicht mehr nötig ist. Wenn du wüßtest, mein kleiner häßlicher Freund, wieviel wichtiger die Gutmütigkeit ist als die Tüchtigkeit, du wärest stolz auf dich.«

Während dieses vermeintlichen Selbstgesprächs streichelte das Mädchen unablässig den Kopf des Dackels. Und er sah sie so klug an wie einer, der gar nichts verstehen will, aber alles lieben.

 


 


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