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Es war einmal eine Feldmaus, die hatte großen Kummer. »Zu nichts bin ich gut,« warf sie sich vor. »Ich schlafe und wache. Ich fresse, was ich nicht gesät und nicht geerntet habe. Ich bin nichts als ein Tagedieb. Kein Wunder, dass Raubtiere und Menschen mich jagen. Am schlimmsten aber ist, dass ich mich so gerne vermehre. So setze ich mit meiner Frau nur immer mehr Nichtsnutze in die Welt.«
Das hörte eines Tages ein Baum, unter dessen Wurzeln die Maus ihr Nest gebaut hatte.
»Sei nicht traurig, Kleiner,« raunte er und wiegte gemächlich den großen Kopf, »sieh mich an. Ich stehe hier und kann mich nicht einen Schritt vorwärtsbewegen. Du aber kannst den ganzen Acker und – wenn du willst – die ganze Erde erforschen.«
Die Feldmaus spähte aus ihrem Loch nach oben und erwiderte: »Aber du bist so groß, dass du alles übersiehst. Sei froh, dass du so fest verankert bist. Die Erde, die mich nur duldet, dich hält sie fest, so dass dich keiner umstoßen kann. Du bist so stark, dass du vor niemandem davonzulaufen brauchst. Zu dir kommen die Vögel, die erzählen dir alles, was weit und breit geschieht. Und du bist beliebt bei den Menschen. Die Erwachsenen legen sich in deinen Schatten, die Kinder klettern fröhlich in deinem Astwerk. Dein Leben hat einen Sinn, meines aber ist nur schädlich.«
»Für wen,« fragte der Baum, »willst du einen Sinn haben? Für die anderen Mäuse, für die anderen Tiere, für die Menschen oder für Gott?«
»Das weiß ich nicht so genau, antwortete die Feldmaus, am liebsten für alle, am meisten für Gott.«
»Nun,« sprach der Baum, und es klang recht feierlich, weil die Sonne durch seine Blätter strahlte, so dass sein Gesicht überirdisch leuchtete, »für deine Artgenossen bist du wichtig, weil du viel Nachwuchs erzeugst, für die anderen Tiere bis du wichtig, weil sie sich im Vergleich zu dir groß vorkommen können; das ist zwar für dich unangenehm, aber es ergibt einen Sinn.«
»Aber für viele andere Tiere bin ich nur als Nahrung wichtig,« unterbrach ihn die Maus und wischte sich zwei Tränchen von der spitzen Nase.
»Es ist eine große Aufgabe und Ehre, für andere sterben zu dürfen,« behauptete der Baum.
»Wenn ich nicht wüsste, dass du selbst keine Mäuse frisst, würde ich dir von jetzt an kein Wort mehr glauben«, sagte die Maus, kläglich aufblickend.
»Lass mich weiterreden,« bat der Baum. »Die Menschen sind so zahlreich, dass du dir aussuchen kannst, mit wem du es zu tun haben willst, im übrigen kannst du ihnen leicht ausweichen, da du doch viel schneller bist als sie. Vielleicht hast du die Aufgabe, sie zu bestrafen oder sie daran zu erinnern, dass es noch andere Geschöpfe gibt, die ein Recht auf Leben haben. Schließlich wohnst du in der Erde, die sie sich erst künstlich nutzbar machen müssen. Gott gibt es nur einmal, dem kannst du nicht ausweichen. Aber Gott hat dich geschaffen. Es ist seine Sache, ob du für ihn einen Sinn hast. Darum brauchst du dich nicht zu kümmern. Immerhin hat er sich die Mühe gemacht, dich auszudenken und entstehen zu lassen. Wenn du sagst, du hättest für Gott keinen Sinn, wirfst du Gott vor, etwas Sinnloses getan zu haben. Das einzige, mein Freund, das keinen Sinn hat, ist die Frage nach dem Sinn.«
Verschämt, aber mit jubelndem Herzen, verkroch sich die Maus.Der Baum lächelte ihr nach und legte seine Wurzeln schützend um ihr Nest zurecht.