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Es war einmal ein kleiner Käfer, der hielt sich für wunderschön, weil er immer wieder seine glänzenden Flügel grün oder blau oder bunt schillern sah, je nachdem, ob er sich unter Blättern, unter schierem Himmel oder unter Blumen bewegte. Eines Tages aber kam er auf eine dünne Pfütze; die war so hart gespannt, dass er darauf laufen konnte. Und so sah der Käfer unter sich als Spiegelbild zum ersten Mal, was für hässliche Beine er hatte und wie unansehnlich sein Bauch war.
»Garstig sehe ich aus,« sagte der Käfer und weinte bitterlich. Die ganze Welt kam ihm nun widerlich vor. Er krabbelte zu seiner Mutter, schmiegte sich an ihren hässlichen, aber vor lauter Liebe auch wieder sehr schönen Kopf und schluchzte weiter, dass ihr das Herz hätte brechen können, wenn sie nicht Abhilfe gewusst hätte.
»Komm, mein Kind,« flüsterte sie und streichelte ihn mit ihren sanften Fühlern. »Du bist einem Irrtum unterlegen, einer falschen Spiegelung des Wassers. Es gibt immer wieder Käfer, denen so etwas passiert. Du brauchst eine Brille, das ist alles.«
Der kleine Käfer bekam eine hübsche rosarote Brille, und wenn sie auch lästig war und wenn er ihretwegen auch von manchen anderen Käfern gehänselt wurde, so war er doch stolz, etwas Besonderes zu haben. Und bald merkte er, dass die Welt doch nicht so übel aussah, wie er in letzter Zeit geglaubt hatte und dass er selber geradezu schön war, auch von unten. Helmut Wördemann