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Es war einmal eine Eisenstange, die war so stark, dass sie Felsblöcke wegstemmen und umgestürzte Wagen hochheben konnte. Nun befand sie sich aber auf einer Baustelle und musste einen dicken Baum wegrollen, den die Maurer gefällt hatten, um Platz für das Haus zu gewinnen, das sie errichten sollten.
Nach der Arbeit steckten sie die Stange in die Erde, direkt neben einen Zementhaufen. »Na,« protzte die Eisenstange, »hast du gesehen, wie ich das dicke Ding weggeräumt habe? Kraft muss man haben, dann kann man sich durchsetzen. Dieser Baum, der sah doch immer auf uns herab, als wäre er die Krone des Lebens. Und nun? Nun liegt er im Dreck und zuckt hilflos die Arme. Es kommt eben nicht immer auf die Größe und Dicke an, die innere Stärke ist wichtig, verstehst du? Ach so. Das verstehst du natürlich nicht, bis ja selber nur ein Häuflein Staub. Dich bliese sogar der Wind davon, wenn man dich nicht abdeckte.« Scheinbar gutmütig, in Wahrheit aber hohntriefend, fügte sie hinzu: »Ich würde dir ja gerne eine Stütze sein, aber du bist so haltlos, dass du von mir abrutschen würdest.«
»Jaja,« säuselte das Zementpulver bescheiden, »ich beneide dich um deine Stärke, wenn ich auch zu meinen Gunsten einwenden muss, dass ich anpassungsfähiger bin. So kräftig du bist, so starr bist du auch. Du wärest nicht du, wenn du weich wärest, nicht wahr?«
»Du wärest nicht du, wenn du weich wärest,« äffte das Eisen den Staub nach, »natürlich nicht. Was soll das? Ich bin, was ich bin und werde es bleiben.«
»Hmhm,« machte der Zement und genoss das feine Rieseln in seinem Bauch wie einen ahnungsvollen Kitzel. Dann kam ein Maurer und deckte ihn zu, denn es war Feierabend, und das Wetter sah trübe aus.
»Jetzt musst du auch noch im Dunkeln liegen,« spottete die Eisenstange. »Ohja,« klang es dumpf unter der Plane hervor: »Ich bin so empfindlich, dass ich nicht einmal Wasser vertrage. Im übrigen ist die Nacht für dich auch nicht viel heller und die Feuchtigkeit ist auch für dich ungesund, du könntest Rost ansetzen.«
»Gewiss doch, aber das feine braune Brennen macht mir nichts aus. Im übrigen werde ich ab und zu blank gescheuert.«
In diesem Augenblick begann es tatsächlich zu regnen, wie der Maurer befürchtet hatte. Da dachte der Zement: »Diesem Großmaul muss ich doch `mal zeigen, dass auch unsereiner es in sich hat.« Er lockerte sich und rieselte Zentimeter um Zentimeter unter der Plane hervor, bis er wie ein dicker Staubgürtel um die Stange lag.
»Willst du mich umarmen?« fragte die Stange und lachte so heftig, dass sich die Erde lockerte, in der sie steckte, und der Regen mitsamt dem Staub eindringen konnte. Es dauerte nicht lange, da war die Stange unten in eine breiige Masse gehüllt.
»Gut so,« sagte sie, »einen hübschen Schal legst du mir da um den Bauch, eigentlich ein bisschen tief, aber das macht nichts. Pass nur auf, dass du nicht davonfließest.«
Der Zement aber erwiderte nichts mehr, er schloss die wässerigen Augen und schlief ein.
Am nächsten Morgen befreite die Sonne die Baustelle von allen Pfützen. Die Maurer konnten weiterarbeiten. Sie zogen die Plane vom Zementhaufen, um ihn mit Sand, Kies und einer passenden Menge Wasser in Beton zu verwandeln. Als sie aber die Eisenstange benutzen wollten, konnten sie ihn nicht aus der Erde ziehen. Der steinhart gewordene Zementstaub hielt ihn fest in der Erde. Wütend zogen sie an ihr, bis sie sich bog. Nun war die Eisenstange gar nicht mehr zu gebrauchen.
Das Zementpulver aber trug in seiner neuen, festen Gestalt über hundert Jahre lang ein ganzes Haus auf seinen Schultern.