Helmut Wördemann
Gedichte
Helmut Wördemann

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Die verstoßene Runkelrübe

Es war einmal eine Runkelrübe, die war so dick und glatt, dass sie von allen anderen Rüben beneidet wurde. Da wiegelten die kleinen Rüben des Haufens die starken auf, so dass diese den großen Artgenossen wegschubsten. Er kollerte von dem Rübenhügel ins Gras, wo er kaum noch zu sehen war und gar nicht mehr zur Geltung kam.

Kurz darauf erschien der Bauer, der inzwischen eine Miete ausgehoben hatte, eine Grube, in der die Rüben als Futterreserve für den Winter lagern sollten. Er karrte sie mit Hilfe seiner Frau zu dem Grab und bedeckte sie anschließend mit einer Schicht Erde . Um sie noch besser gegen Frost zu schützen, deckte das Ehepaar die Miete mit einer Strohschicht und zum Schluss mit Brettern zu.

Die verstoßene Rübe sah von ferne zu und freute sich gar nicht über das Schicksal der Acker-Gefährten:

»Das haben sie nicht verdient, um meinetwillen jedenfalls nicht,« murmelte sie halblaut vor sich hin als fürchtete sie, sich durch lautes Reden zu verraten und dann doch noch entdeckt und in die Miete gesteckt zu werden. Das Gras aber hörte den teilnahmsvollen Seufzer und tuschelte der Rübe zu:

»Sei doch nicht so naiv, Junge. Das ist euer Schicksal so gut wie unseres. Rüben und Gras sind als Futter auf die Welt gekommen. Warum auch nicht? So verwandeln wir uns in Fleisch und laufen in Gestalt einer Kuh oder eines Schafes oder eines Schweins umher. Ist das denn nicht eine wunderbare Wiederauferstehung?«

Die Runkelrübe war nicht sicher, ob sie sich ein solches Weiterleben nach dem Tode wünschen sollte. Erst einmal war sie jedenfalls froh, davongekommen zu sein. Um aber das Gras, das sie ja immerhin versteckt hielt, nicht unnötig zu verärgern, sagte sie:

»Jaja, gewiss doch, wirklich. Der Tod mag wohl grässlich sein. Aber wenn das so ist, dass man nachher weiterlebt, auf einer höheren Stufe sogar, also das hört sich gut an.«

In diesem Augenblick kam ein kleines Mädchen vorbei, die Tochter des Hauses. Ob es nun besonders feine Ohren hatte und das Gespräch hörte oder ob sich Rübe und Gras während der Unterhaltung zu ungestüm bewegten, so dass man es von oben sehen konnte, wie auch immer: Das Mädchen bemerkte die Rübe und hob sie frohlockend auf:

»Du kommst mir gerade recht, du hübscher Dicksack! Aus dir mach' ich eine St.-Martins-Laterne, um die mich alle anderen beneiden sollen. Die mit ihrem Papierkram.«

Zu Hause höhlte sie die Runkelrübe aus, so dass sie eine Kerze hineinstellen konnte. Von außen schabte sie Augen, eine Nase und einen breit lächelnden Mund in die Schale, so dass an diesen Stellen nur noch eine feine, durchscheinende Haut blieb. Wo die Ohren hingehörten, bohrte das Mädchen Löcher, um ein Band hindurchzuziehen, an dem sie den Rüben-Lampion tragen konnte.

Er war nicht das schönste Licht der kleinen Kinder-Prozession, die am Abend singend von Haus zu Haus zog, aber das lustigste. Ja, er gefiel den anderen Kindern so sehr, das seine Besitzerin ihn nach diesem feierlichen Gebrauch nicht einfach wegwerfen wollte. Sie nahm ihn mit auf ihr Zimmer und benutzte ihn als immer lächelnde Geisterlampe, in dessen Schein sie auf dem Bett lag und phantastische Geschichten erfand.

 


 


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