Helmut Wördemann
Gedichte
Helmut Wördemann

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Die verzweifelte Trommel

Es war einmal eine Trommel, die wollte nicht mehr geschlagen werden. »Ich könnte platzen,« sagte sie dumpf zu ihrer Freundin, einer Baßgitarre, die jemand nach dem Konzert an ihr abgestellt hatte. »Ich mache das nicht mehr mit.«

»Ja,« stimmte die Baßgitarre zu, »und ich kann das Gezerre an meinen Saiten nicht mehr haben, immer fürchte ich, daß ich zerspringe. Laß uns streiken.«

»Aber nein,« widersprach da die Trommel, »du darfst nicht aufhören, du klingst so schön, du machst so schöne Musik.«

»Ich?« Die Gitarre glaubte nicht recht zu verstehen. »Was da bei dem Zupfen und Gezerre an meinen Nerven herauskommt, das nennst du Musik? Ich spüre nur ein fürchterliches Dröhnen im Bauch. Du bist es, die Musik macht, so wunderbar rhythmische Töne federn von deinem Fell, daß mein Inneres davon ganz freudig erbebt. Du darfst nicht streiken.«

Nun war es die Trommel, die ungläubig aufschaute: »Du spinnst wohl mit deinen hübschen Silberfäden, du verzauberst die Welt und redest schlecht von dir. Willst du Komplimente hören oder warum tust du so bescheiden?«

Da wurde die Baßgitarre ganz nachdenklich. Schließlich rieb sie sich zärtlich an der Trommel und kicherte: »Du, ich hab's, wir verstehen uns glänzend, und die Menschen hören uns gern. Das beweist ihr Applaus. Schiefe Töne gibt es zwischen uns nur bei den Proben. Weißt du was: So gut wir uns gegenseitig einschätzen, so schlecht wissen wir über uns selber Bescheid. Jeder denkt, er töne unangenehm, und es lohne sich nicht, dafür gequält zu werden. Aber für den Zuhörer sind wir beide zusammen und jeder für sich ein Genuß. Die Musiker behandeln uns so rücksichtslos, weil sie unser Grollen und unser Schreien angenehm empfinden. Sie hören dich, wie ich dich höre; sie hören mich, wie du mich hörst. Wir machen Musik. Verstehst du jetzt: Was wir als unangenehm oder gar schmerzhaft empfinden, was im Widerhall unserer Leiber eher weh- als wohltut, das ist für Außenstehende Musik, herrliche Musik. Wir leiden nicht vergebens, wir leiden nicht einmal nur für die tägliche Pflege und dafür, daß man uns mitnimmt von Ort zu Ort, wir leiden für die Kunst. Ich glaube, etwas Schöneres kann unsereinem gar nicht passieren. Das ist doch unser Leben. Stell' dir vor, wie tot wir wären ohne unseren Beruf. Nein, ich bleibe dabei, ich klinge weiter. Jetzt weiß ich, daß ich besser bin, als ich selber zu sein spüre. Und du mußt auch weitermachen, mit mir, als meine Freundin. Ich muß zwar zugeben, daß du alleine auch schon ein Wunder bist, wenn einer dich richtig schlägt, ja schlägt. Doch wie gut harmonieren und beglücken wir erst gemeinsam. Und wenn dir die Menschen egal sein sollten, so dröhne für mich deine gutmütigen, raumgroßen Töne. Laß uns gemeinsam den Widerhall genießen, dann fühlst du dich besser, ich weiß es jetzt, ich weiß es, weil du gesagt hast, ich klänge schön, so wie ich gesagt habe, daß du schön klingst.«

Die Trommel brummte genüßlich vor sich hin: »Nun ja, wenn das so ist, und es wird wohl so sein, wie du das sagst, wenn das so ist, dann mache ich auch weiter. Es stimmt, wenn wir mit anderen Instrumenten zusammen spielen, ich muß sagen, da klingen meine Artgenossen in meinen Ohren viel besser als ich selber. Es muß wohl so sein, daß auch ich in deren Ohren Musik bin. Musik, also, Musik will ich gerne machen, dafür laß ich mich schlagen. Küß mich, und wir machen weiter.«

 


 


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