Helmut Wördemann
Gedichte
Helmut Wördemann

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Der törichte Ohrring

Es waren einmal zwei Ohrringe, die bestanden aus hartem Metall, trugen aber Kleidchen aus Gold und als Anhänger silberweiße Perlen. Sie waren sehr stolz auf ihren Glanz und dienten gerne als Schmuckstücke, denn nur so erschienen sie immer wieder im rechten Licht der Aufmerksamkeit.

Einer dieser beiden Ohrringe hatte aber trotz seiner harten Form ein weiches Herz. Es tat ihm selber weh, wenn er dem Ohr wehtun musste. Dabei wusste er nicht, dass die Schmerzen des Ohres nach dem ersten Einstechen der Löcher verklungen waren. In seiner Torheit glaubte er, dem weichen Fleisch mit seinem korbgriffähnlichen Henkel ständig Pein zu bereiten.

»Ich muss hier `raus,« sagte sich der mildherzige Ohrring und überlegte, wie er sich vom Ohr trennen könne, um es von der täglichen Last zu befreien. Einige Fluchtversuche vom Nachttisch, wo das Mädchen die Ohrringe abends ablegte, scheiterten, weil das Mädchen am nächsten Morgen solange suchte, bis es den Ausreißer wiedergefunden hatte.

So beschloß der Ohrring, eine sehr abenteuerliche Flucht zu riskieren: »Ich muss mich irgendwo verhaken und dann wegziehen lassen,« murmelte er und blickte blinkend um sich.

Als das Mädchen am nächsten Tag in der Schulbank saß und nachdenklich mit dem hochgehobenen Kugelschreiber tändelte, sah der Ohrring seine Chance. Er warf sich über die Spitze des Stiftes, und als das Mädchen diesen zum Schreiben brauchte und ihn ruckartig herunterzog, riss es den Ohrring mit.

Der Verschluss des Ohrringes verbog sich und war nicht mehr zu reparieren, und das Ohr des Mädchens wurde für immer entstellt.

»Dummes Ding!« schrie das Mädchen weinend, und schleuderte beide Ohrringe zum Fenster hinaus.

 


 


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