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Es war einmal ein Brief, der enthielt einen Scheck über tausend Mark und war sehr stolz auf seinen Reichtum. Es passte ihm aber gar nicht, dass er damit über Land geschickt werden sollte. Außerdem missfiel ihm die Adresse, denn der Empfänger wurde mit Generaldirektor angeredet.
»Hat der das Geld denn nötig?« fragte sich der Brief. »Ich verstehe gar nicht, dass man reichen Leuten noch einen Scheck schickt, wo es doch so viele arme Leute gibt.- Wie süß hat der Lehrling meine Marke geleckt und so sorgfältig aufgeklebt, als wäre ich eine feine Dame, der man einen Schmuck anheftet. Ich habe seinen Namen gehört, ich weiß auch, dass er hier im Dorf wohnt, leider fehlt mir noch die genaue Anschrift. Aber das macht nichts. Wenn ich erst im Postkasten liege, findet sich bestimmt jemand, der mir auch noch die Straße und die Hausnummer des Jungen sagen kann. Nein, das allein genügt ja nicht, ich kann ja nicht schreiben. Macht nichts, macht nichts, verkrieche ich mich eben in eine Ecke, bis ein Brief für den Lehrling kommt. Auf den Kleber ich mich dann, platt und so akkurat, dass der Postbote denkt, es sei nur ein Brief.«
Der mit einem Scheck und mit hilfsbereiten Wohlgefühlen gefüllte beziehungsweise geladene Brief verwirklichte seinen Plan mit der Eleganz eines Könners, der nie etwas anderes getan hat. Und so ähnlich war es ja auch, denn das Kuvert war immer stapelweise aufbewahrt worden und hatte stets bestens mit den Artgenossen korresponiert, gelegentlich hatte man auch Kontakt mit Heimkehrern gehabt oder mit anderen Briefen, die der Chef empfangen hatte.
So kam es, dass der Auszubildende den Scheck erhielt, der eigentlich für einen fernen Generaldirektor bestimmt war. Da er aber ein ehrlicher Mensch war und sich wohl zutraute, sein Geld selber zu verdienen, ohne sich vom Schicksal bestechen zu lassen, brachte er seinem Chef den irregelaufenen Brief zurück.
Der Chef wusste nicht so recht, was er davon halten sollte. Hatte er eine falsche Adresse angegeben? Hatte die Sekretärin geschlampt? Oder war der Junge ein reuiger Dieb?
»So oder so,« dachte er, »hat der Lehrling eine Belohnung verdient.« Und er schenkte ihm 100 Mark.
Von nun an klebte der Junge nicht nur die Briefmarke sehr sorgsam auf, sondern achtete auch auf die Adresse, obwohl die ja gar nicht falsch gewesen war.