Helmut Wördemann
Gedichte
Helmut Wördemann

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Die einsame Fensterbank

Es war einmal eine Fensterbank. Die gehörte zu einem kleinen Fenster im Heizungskeller. Da in diesem Raum nicht gearbeitet wurde und auch sonst kein Grund bestand, sich hier aufzuhalten, war die Fensterbank Tag und Nacht mit sich und den anderen unbeweglichen Gegenständen allein. Keiner redete mit ihr. Abgesehen vom Chef des Raumes, also von der Heizung selber, gab überhaupt niemand einen Laut von sich. Und die Heizung summte oder brummte nur so vor sich hin, je nachdem wie sie gelaunt war.

Nun kam noch hinzu, dass die einsame Fensterbank immer schräg nach oben sehen konnte, wo tagsüber im Wipfel eines Baumes Vögel ein- und ausflogen oder gar innehielten, um zu singen, und wo nachts Sterne flimmerten oder Wolken grollten.

Auf die Dauer konnte die Fensterbank das nicht aushalten. Deshalb sprach sie mit ihrem unmittelbaren Vorgesetzten, dem Fenster:

»Entschuldige, dass ich es wage, dich so von unten herauf anzusprechen. Aber wir gehören doch seit unserer Geburt zusammen, womit ich natürlich nicht sagen will, dass wir ebenbürtig sind. Aber unsere Schicksalsgemeinschaft kann keiner leugnen.«

»Fasse dich kurz,« mümmelte das Fenster aus zusammengequetschten Lippen.

»Ich meine,« druckste die Bank, »du könntest mir helfen, Kontakt nach außen zu bekommen, nur wenn es dir recht ist. Versteh' mich nicht falsch, ich...«

»Du bist albern,« zischte das Fenster, »du siehst doch selber, dass ich geschlossen bin und nicht einmal richtig sprechen kann. Wie soll ich mich da nach draußen öffnen, soll ich etwa zerspringen?«

»Du hast ja recht,« antwortete demütig die Fensterbank und schwieg.

Als aber einige Tage später der Hausherr das Fenster öffnete, um den Raum zu lüften, verzog es schnell seinen Rahmen, so dass er es später nicht mehr zukriegte. Die Fensterbank begriff sofort, was ihre Herrin getan hatte.

»Danke,« hauchte sie im Gemisch der herein- und der hinaus strömenden Luft. »Jetzt habe ich viel mehr vom Leben, ja, vielleicht lässt sich sogar ein Vogelpärchen zu uns nieder, um auf mir ein Nest zu bauen. Sie werden ihre Eier bei uns ausbrüten, und ihre Jungen werden bei uns groß. Ist das nicht großartig?«

Das vorher so mürrisch-nuschelige Fenster gab nun eine fröhlich-beschwingte Antwort:

»Oh-ja! Oh-ja! Ich werde sie anlocken, die Vögel, und werde ihr Wegweiser sein, und ich werde, juchhuh, ich werde sie abschirmen gegen Regen und Wind, wenn sie auf dir nisten! Ich bin so frei, so frei! Jetzt, wo ich offen stehe, spiegele ich die ganze Welt, juchhei, ich spiegel die ganze Welt! Schau mich an, und du siehst sie auch!«

So kam es, dass die unterwürfige Fensterbank und das erhabene Fenster gemeinsam neue Perspektiven gewannen und sich gemeinsam nützlich machten, denn tatsächlich kam im nächsten Frühjahr ein Schwalbenpaar, um am Inneren des Fensters ein Nest zu bauen, allerdings nicht auf der Fensterbank, sondern im oberen Winkel des Fensterrahmens.

»Macht nichts«, tröstete sich die Fensterbank, »ich halte mich jedenfalls bereit, denn es könnte ja mal ein Vögelchen aus dem Nest fallen, dann fange ich es auf.«

 


 


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