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Es war einmal ein Eisberg, der dümpelte so mächtig und stark vor sich hin, rumpelte mit den gewaltigen Brocken, die von seinem Oberköper ins Wasser polterten, und gleißte in der kalten Sonne, dass er alles in allem einen prachtvollen Anblick bot. Seine ganze glitzernde Herrlichkeit nützte oder erfreute aber niemanden, denn er hielt sich am Rande des Nordpols auf. Hierhin verirrte sich nur selten ein Schiff, und dem war der Eisberg bei aller Schönheit dann doch nur im Weg.
Die einzigen Geschöpfe, mit denen der Inselberg ab und zu reden konnte, waren Fische. Zu einem von ihnen, der weit herumgekommen war, sagte der Eisberg eines Tages:
»Hör'`mal, alter Freund, wie sieht es eigentlich aus in der weiten Welt? Ich habe den Eindruck, dass wir hier oben gar nicht zum Bild gehören, sondern nur einen Teil des Rahmens darstellen. Hier ist das Leben eingefroren, hab'ich recht, oder bilde ich mir das nur ein.?«
Der Fisch, der dem Eisberg nicht besonders gewogen war, weil dieser dauernd mit harten Brocken um sich warf, zögerte nicht, ihm die Wahrheit zu sagen, ohne Beschönigung:
»Jaja,« knurrte er übellaunig, »hier ist nichts los. Ihr seid zu kaltherzig, daran liegt es. Im Süden gibt es auch Berge, die sind noch viel größer. Aber sie sind gutmütig und gastfreundlich. Manchmal tragen sie ja auch einen Eis- und Schneemantel, aber nur zum Schutz gegen den Winter. Im Frühling werfen sie ihn ab und lassen Pflanzen auf sich wachsen, so dass Tiere und Menschen auf ihnen spazieren gehen können. Richtig nett sind die.«
Der Eisberg grollte vor Eifersucht. Dann riss er sich zusammen und erklärte feierlich:
»Ich möchte auch so ein freundlicher Berg sein. Ich möchte heraus aus meiner Einsamkeit. Was nützt mir meine abgelegene Schönheit, wenn sich keiner daran erbaut. Kannst du mir sagen, wie ich zum Süden komme, um mich dort angenehm zu machen?«
»Nichts einfacher als das,« versicherte der Fisch, der wohl verkannte, dass der Eisberg nicht so beweglich war wie er selber.»Du brauchst dich nur loszureißen, dann lässt du dich treiben, bis du dein Ziel erreicht hast.«
Da rüttelte und schüttelte sich der Eisberg, bis er sich aus seiner Verankerung gelöst hatte, aber er kam in seiner Schwerfälligkeit nicht von der Stelle.
»Nun ja,« beruhigte ihn der Fisch, dem das Schicksal des Eisbergs im Grunde gleichgültig war, »du musst eben warten, bis der Wind dich in die richtige Strömung drückt. Erst musst du dich so drehen, dass der Nordwind die beste Angriffsfläche hat, und dann musst du abwarten und dich der Bewegung des Wassers überlassen. An dir bilden sich doch Wirbel, wenn der Wind nachhilft, kannst du dich ihnen überlassen, sie reißen dich dann schon mit in Richtung Süden.«
Um nicht noch weiter behelligt zu werden, verschwand der Fisch.
Dem Eisberg gelang die Flucht aus seiner angestammten Heimat. Aber er kam nur sehr langsam voran. Allerdings auch unaufhaltsam. Kein Hindernis konnte ihn bremsen, denn in südlicher Richtung gab es nicht seinesgleichen, sondern nur kleinere Eisberge, die er notfalls beiseite schieben konnte. Das hätte ihm zu denken geben können. Doch es dauerte Tage, bis der Koloss spürte, dass auch er kleiner wurde. Je weiter er kam, umso wärmer wurde es. Und obwohl er sich nur treiben ließ, schwitzte er, dass ihm das Wasser in silbernen Lachen und leuchtenden Strömen vom Körper rann.
»Ich halte die Wärme nicht aus,« stöhnte er, »ich schmelze ja dahin. Wie soll ich denn im Süden als Berg auftreten und mich von Pflanzen, Tieren und Menschen bewundern lassen, wenn ich schon unterwegs zu Wasser zerfalle?«
Da kam der Fisch ihm entgegen. Er hätte ihn fast nicht wiedererkannt, so sehr war der Eisberg schon abgemagert.
»Du hast mich betrogen,« geiferte der Eisberg, »du hast nicht gesagt, dass ich die Wärme des Südens nicht vertrage. Ich muss zurück, wenn ich nicht sterben will. Ich flehe dich an, zeig' mir den Weg.«
»Nichts einfacher als das,« erwiderte der Fisch kalt, »du musst dich nur der Strömung überlassen, wie bisher. Irgendwo stößt sie sich auch im Süden wieder ab, bildet einen Wirbel und kehrt nach Norden zurück. Sie wird dich schon mitnehmen, sei unbesorgt, Sie kann nämlich gar nicht anders.«
»Aber das wäre mein sicheres Ende,« schluchzte der Eisberg, »ich kann höchstens noch ein paar Wochen von der Substanz leben, dann bin ich zerronnen.«
»Mach'dir nichts draus,« tröstete ihn der Fisch halbherzig,»nichts geht verloren, und wenn du dich auflösest, bis du doch auch nützlich. Du gehst zwar unter im allgemeinen Wasser, aber irgendwie muss sich jeder anpassen.«
Da weinte der Eisberg und beschleunigte noch seine Verwandlung.
Doch allmählich gewannen die freigeschmolzenen Tropfen ihr eigenes leben und ihr eigenes Selbstbewusstsein, so dass der Eisberg sehr vielgestaltig weiterlebte und sehr nützlich für Fische und andere Meeresbewohner, für Vögel, für Schiffe und für schwimmende Menschen. Der Eisberg als solcher merkte allerdings nichts mehr vom Erfolg seines so nicht gewollten Opfers.