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Es war einmal ein starker Junge, der besiegte jeden Klassenkameraden und jeden, der ihm auf der Straße oder sonstwo in die Quere kam. Er hatte eine gedrungene Gestalt, so dass es ihm auch nicht schwer fiel, jemanden hoch zu heben, über seinen Kopf zu stemmen und wegzuwerfen, denn der Abstand von der Erde zu seinem Kopf war ja nicht bemerkenswert.
Der starke Junge war mal ein böser, mal ein guter Junge. Wenn er kämpfte, um sich andere zu unterjochen, machte er sich mächtig, aber auch unsympathisch. Wenn er kämpfte, um einem Schwächeren zu helfen, gewann er Freundschaften. Leider galten sie nur so lange wie die Freunde mit seiner Stärke auch seine Überlegenheit, und mit seiner Überlegenheit auch seine Kommandogewalt anerkannten.
Da es aber im Leben mehr Situationen gibt, in denen die Kraft nicht entscheidet oder nicht einmal gebraucht wird, als Situationen, in denen die Körperstärke unentbehrlich ist, verlangte der kräftige Junge zu viel. Es stand ihm bestenfalls zu – so meinten jedenfalls seine Freunde – dann zu bestimmen, wenn seine Art der Überlegenheit es erforderte. Er sollte aber beispielsweise nicht das Wort führen, wenn es sich um das Aufstellen einer Mannschaft oder die Organisation eines Spieles handelte. Das sah der starke Junge nicht ein, weil er seine Kompetenz zwar ganz richtig von seiner Kraft ableitete, nicht aber auf die Möglichkeiten der Körperkraft beschränkte.
Eines Tages wurde in der Schule ein Computer eingeführt. Als der starke Junge sich vordrängte, wagte keiner, ihn abzuwehren. Ja, sie wichen zurück, ehe er auffällig werden musste, so dass die Lehrer gar nicht merkten, was da innerlich vor sich ging. Er war der erste und auch bei den folgenden Unterrichtsübungen immer wieder als erster dabei und hatte die besten Chancen, den Umgang mit dem Computer zu lernen. Es ergab sich aber, dass ein gelähmter Junge, der ständig im Rollstuhl saß und seine ganze Kraft für die alltäglichen Verrichtungen brauchte, so dass sein körperliches Machtbedürfnis sich darauf beschränkte, sich selbst zu beherrschen, dass dieser Junge sich viel intensiver mit dem Computer, insbesondere mit dem dazugehörigen Anweisungs-Handbuch beschäftigte und bald allen anderen überlegen war.
Je älter die Jungen wurden, umso mehr zerfielen die alten Machtstrukturen, umso stärker nämlich wirkte sich die geistige Überlegenheit aus, und als beim Abitur die Zeugnisse verteilt wurden, war der Junge im Rollstuhl der Primus.
Ach, und der Starke, der das alles natürlich in den letzten Jahren hatte kommen sehen, der warf sich in ohnmächtiger Wut anlässlich der Abschiedsfete auf den Computer und zertrümmerte ihn. Da aber auch er die Reifeprüfung bestanden und Abschied von seinen Maßstäben und damit von seinem Überlegenheitsbewusstsein genommen hatte, bereute er den Wutanfall schon am nächsten Tag, und er schickte anonym Geld, damit die Schule einen neuen, sogar noch besseren Computer kaufen konnte.