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»Anno 1717 den 25. Dezember ob Weihnachten ist eine große Wasserflut eingegangen, daß dar so mannig Dusend Menschen und Feh gedrinket sein und so viel Häuser weggetrieben sein an einige Örter.« (Aus einer alten Chronik.)
Drei Tage schon heult übers Meer der Nordwest
Und hält die Flut in die Weser gepreßt.
Die wilden Wogen wirr zwingt er zum Land.
Es ächzen die Deiche, es zittert der Strand.
Das Meer streckt die gierigen Arme weit aus
Und reißt aus den Marschen die Buhnen heraus.
Gelb fluten die nie satten Wogen zurück,
Es weicht von dem Deichland Stück brechend auf Stück.
»Laat loopen dat Vörland, laat driewen dat Ies!
De Marsch steit noch fast un de Diek holt us wiß.
Laat buten den Diekgraf de Föt sick verkölen,
Mi schall de ol Sturm mien Vergnögen nich stehlen.
Mien gemütliche Stuuw un een fein stiewen Grog,
To de Siet mi een prall-vullen Wiewerrock;
So bliwt mi mien Seligkeit seker bestaan,
Un de Welt mag dar buten in Stücken ok gaan!«
Klaus Ziemsen zieht die Magd zu sich nieder
Und schlingt seinen Arm um das schwellende Mieder.
Da heulen die Hunde und winseln voll Graus.
Ein höhnendes Pfeifen fährt hin durch das Haus.
Die Türe springt auf. Herein weht es kalt.
Starr steht auf der Schwell' eine schwarze Gestalt.
Der Bauer fährt auf. – Dann hohnlacht er schrill:
»'ck mug weten, wat de ol Preister hier will!«
»Du schändest die Weihnacht- die heilige Zeit!
Tu Buße! – Es droht dir die Ewigkeit!
Dein wüst-sündhaft Leben zum Himmel auf schreit,
Die Klagen der Gattin, Tränen und Leid.
Sie hast du mit Schanden vom Hofe getrieben,
Befleckt deine Seele mit sündigem Lieben.
Du forderst die Strafe des Himmels heraus;
Das jähe Verderben umheult schon dein Haus!«
Die Dirne errötet und drückt sich zur Seit.
Sie schließt an dem Halse das halboffne Kleid,
Da schießt dem Bauern ins Antlitz die Glut,
Er zerreißt das Gewand ihr in tobender Wut.
Er stößt sie, daß jäh in die Knie sie bricht.
»Ick hetz mit de Hunne dat Pfaffengelicht.
Verdammte Slieker, wat söchst du noch hier?
Ick schick di tor Höll, störst du mien Pläsier!«
Er stürzt zu der Tür. Durch das Sturmesgebrüll
Hin gellt sein Pfeifen schneidend und schrill.
Da stürzen die Rüden schon belfernd heran.
Er hetzt sie gegen den reglosen Mann.
Doch die Hunde verkriechen sich winselnd und scheu.
Ein Donnerrollen! Ein wirres Geschrei!
Das Haus erbebt. Die Erde wankt.
Ein gischtender Leib um die Türe sich rankt,
Der greift mit hungrigen Händen herein.
»Hilf, Jesus Christus!« – Fluchen und Schrein.
Die Fenster zersplittern. Die Mauer sinkt.
Ein jauchzendes Brausen durchs Zimmer erklingt.
Die wilde, eisige Flut war gekommen! –
In Sturmdrang stark auf den Deichen gestanden,
Gestürzt und gestopft mit Säcken und Sanden,
Gerungen rastlos in Gischt und Graus,
Um Weib und Kind. um Hof und Haus.
Statt Frieden im Weihnachtsglockenklang
Zerrt wilde Verzweiflung heulend am Strang.
Doch höher nur recken die blendenden Leiber
Die meerentstiegnen, schaumhaarigen Weiber.
Da endlich hat eine die Deichkron' erreicht!
Ein banger Ruf. – Die Erde weicht!
Es reißt und rafft mit gierigem Arm,
Und kosend, brausend nach wälzt sich der Schwarm.
Da sinken die Deiche. Kein Wehr hält mehr stand.
Es bebt das gepeitschte, zerrissene Land.
Die Häuser brechen. Um Wurt und Schanz
Schwingt jauchzend die See jetzt den Siegestanz.
Zu Blexen die Kirche auf einsamer Höh,
Sie ragt noch allein aus der raffenden See,
Allein aus dem Marschland, das rings versank
In Eisesnacht und Wellendrang.
Verzweifelnde Menschen, vor Augen den Tod,
Der rings aus der brodelnden Finsternis droht,
Sie knien voll Entsetzen. Gell zittert der Schrei:
»Herr, tilg unsre Sünden! – Christ, steh uns bei!«
Schon schäumen die Wogen am Kirchentor,
Da braust es machtvoll vom Orgelchor:
»Christ, Herr über Leben und Tod. Kyrie!
Errette uns aus der grimmigen See!«
Zag fallen zögernde Stimmen schon ein
Und bang ersterben Klagen und Schrein.
Durch Nacht und Sturm mit Orgelklang
Schwillt flehend zum Himmel der fromme Gesang.
Da schweigt das Toben. – Das Wasser fällt,
Und staunend vernimmt ihn die leidschwere Welt,
Den Weihnachtsgruß im alten Liede:
»Ehr' sei Gott in der Höh! Und den Menschen sei Friede!« –
Wilm Tovote