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Ein Sommersonnentag: singende Lerchen steigen,
Im Morgenhauche wogt der sanftbewegte Reigen
Der goldnen Ähren auf und ab.
Durch ihre Gasse hin, wie sie sich engt und weitet,
Ein einsam froher Mann bedächt'gen Fußes schreitet,
Gestemmt auf derben Krückenstab.
Nun lüftet er den Hut und läßt vom Winde pflügen
Das volle weiße Haar und trinkt in tiefen Zügen
Der Erde frischen Odem ein;
Sein klares Auge schaut mit Lust der Fluren Prangen,
Und über Braun und Rot erglüht auf Stirn und Wangen
Des guten Herzens goldner Schein.
Das ist ein ander Bild, als heut vor neunzehn Jahren,
Da er zum letztenmal mit Heeresmacht gefahren
Durchs leichenvolle Siegesfeld:
Da stampfte Feind und Freund den teuren Erntesegen,
Mit tausend Stimmen schrie die Hölle ihm entgegen –
Heut lächelt Frieden Gottes Welt.
Er sinnt die Zeit zurück: wie bückten Stern' und Bänder
Sich damals ihm, wie flog sein Name durch die Länder,
Im Mund des Königs ein Gedicht!
Jetzt hängt die kluge Welt den Mantel nach dem Winde:
Ein bankerotter Narr heißt er dem Hofgesinde –
Und doch – bei Gott, er tauschte nicht!
Da in die Andacht bricht ein Plätschern, ein Geschnaube –
Von drüben kommt es her, aus jenem Buchenlaube,
Das seitlings überm Bache hängt;
Zehn Schritte sind's zum Rand, den grünen Vorhang leise
Schiebt er zurück: laß sehn, wer hier verstohlnerweise
Am Sonntagmorgen Fische fängt!
Ein alter Stelzfuß kniet gebückt am Wiesenquelle,
Und wohlig überwärmt wäscht er in kühler Welle
Sich Kopf und Schultern um und um,
Schwankt mühsam nun empor im weichen Uferriede
Und reckt und schüttelt sich und stimmt zum Morgenliede
Der Kehle rauhes Organum:
»Wir lustigen Braunschweiger,
Sein wir alle beisammen –
Wir lustigen Braunschweiger,
Sein wir alle beisammen:
Ei so wolln wir eins singen,
Die Wacht zu verbringen,
Grenadier und Musketier –
Lust'ge Braunschweiger das sein wir!
Bruder Schott' und Bruder Englischmann,
Rückt man immer dreiste mit heran!
Hannoveraner und Hessen,
Seid auch nit vergessen,
Doch die allerersten für und für,
Lust'ge Braunschweiger das sein wir!
Unser Herzog der heißt Ferdinand –
Wer zum Teufel tut ihm Gegenstand?
Von der Aller zur Leine,
Von der Weser zum Rheine
Alle Nacht ein neu Quartier,
Lust'ge Braunschweiger das sein wir!
Vor Minden auf dem breiten Plan,
Was Franzosen wir da halten sahn:
Alles weiß, blau und gelbe
Von Röcken und Helme,
Mit Canon und mit Kleingewehr! –
Lust'ge Braunschweiger das sein wir!
Unser guter Herzog Ferdinand
Seinen Stab, den nahm er in die Hand;
Und da taten wir fechten,
Wie er wies mit der Rechten,
Bloß drei Stündlein oder vier –
Lust'ge Braunschweiger das sein wir!
Herzog Ferdinand, du teurer Held,
Schlägst die Franschen alle aus dem Feld!
Aus dem Feld und der Wiese
Den Broglie und Soubise,
Das ganze französische Heer –
Lust'ge Braunschweiger das sein wir!
Rendezvous – Rendezvous!
Lust'ge Braunschweiger das sein Deubelskinder!
Rendezvous – Rendezvous! ...«
äh reißt der Faden ab; denn über sich im Grünen,
Als wär ein sel'ger Geist leibhaftig ihm erschienen,
Sieht er des Lauschers Angesicht;
Ein Bild von Bronze starrt der greise Vagabunde,
Dann leuchtet's ihm vom Aug, und hell aus Herz und Munde
Ein »Vivat Ferdinandus!« bricht.
Und sprudelnd hinterdrein kommt's in geläuf'ger Suade:
»So gönnt der liebe Gott mir einmal noch die Gnade« ...
Sanft wehrt der Held dem Redeschwall,
Fragt dann nach Nam und Heim, nach Regiment und Taten,
Wo er den Fuß verlor und wie es ihm geraten,
Seitdem vertost der Waffenschall.
»Je, Durchlaucht, winters lieg ich still an Kripp und Kette,
Hab meinen Webestuhl, mein Futter und mein Bette
Beim Bruder auf dem Heidebrink;
Doch wenn das Frühjahr kommt, läßt's mich nicht länger hocken,
Dann lauf ich in die Welt heidi! auf einem Socken
Und einer Stelze frei und flink.
Der lust'ge Krüppel findt noch allweg offne Hände,
Mit Lied und Gotteslohn bezahl ich jede Spende,
Ein Nest im Heu das krieg ich zu;
Und will kein Bauer mal, kein Krüger nachts mich haben –
Mit oder ohne Hemd find ich in Busch und Graben
Noch wie vor Zeiten meine Ruh!«
Derweil die Rede quillt, sucht längst in seinen Taschen
Der milde Herzog, prüft des Beutels schlaffe Maschen
Und denkt verdutzt dem Tage nach:
Ach ja, das Goldstück blieb im Hirtenhause hangen,
Und jetzt den Taler gab er dem blitzäug'gen Rangen,
Der ihm die Heckenrose brach.
Kein Geld im Säckel, nichts von Geldeswert daneben!
Kein Groschen in der Hand, die Tausenden gegeben
Und nimmer wog, wieviel und wem!
Nichts für den armen Schelm, der just mit heitrer Größe
Des Rockes Fetzen wirft um seiner Schultern Blöße,
Auch er ein Held trotz alledem!
Nichts? – Wie der Alte jetzt in hoffenden Gedanken
Den Blick von neuem hebt, sieht er nur Zweige schwanken,
Wo eben noch sein Herzog war;
Kopfschüttelnd staunt er lang, – da teilt das Grün sich wieder,
Mit Kindeslächeln neigt sich Ferdinand hernieder
Und reicht sein fürstlich Hemd ihm dar.
»Für Busch und Graben, Freund!« – Der steht wie angewittert,
Dann sinkt er in die Knie, durch seine Seele zittert
Ein Schauer, sonst dem Recken fremd,
»Herr«, stammelt er, »nicht so, nicht für die Nächt' im Walde!
Für die sechs Bretter, Herr – Gott weiß, wie fern, wie balde –
Mein Ehrenkleid, mein Sterbehemd!«
Stumm barg der Fürst den Blick und winkt' und schritt von dannen
Mit stillbewegtem Sinn, zum schatt'gen Ziel der Tannen
Den linden Wiesenpfad entlang.
Doch fern vom Straßendamm, aus Staub und Lärm der Wagen
Kam's grüßend noch einmal, vom Windeshauch zertragen,
Verklingend in der Lerchen Sang:
»Herzog Ferdinand, du teurer Held,
Wollte Gott, du hätt'st des Kaisers Geld!
Tät'st alles verschenken,
Uns alle bedenken,
Grenadier und Musketier –
Lust'ge Braunschweiger das sein wir!«
Wilhelm Brandes