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Was Niederdeutschland für die deutsche Balladendichtung bedeutet, hat Börries, Freiherr von Münchhausen, im Geleitwort zu unserer Sammlung ausgeführt. Eine umfassende Sammlung niederdeutscher Balladen hat es aber bis heute noch nicht gegeben. Als wir im Sommer 1924 den Plan faßten, ein »Niederdeutsches Balladenbuch« zu schaffen, waren wir uns der Schwierigkeiten völlig bewußt. Es war uns bekannt, daß es sich vorläufig nur um einen ersten Versuch handeln könnte. Die Frage der Materialbeschaffung war in unserem Falle natürlich besonders schwierig, und wir sind überzeugt, daß uns trotz eifrigen Suchens und trotz willkommener und wertvoller Mitarbeit noch mancherlei entging. Wir danken auch an dieser Stelle unseren Helfern herzlich, sie zugleich bittend, uns bei hoffentlich notwendig werdenden neuen Auflagen wieder ebenso treulich zur Seite zu stehen.
Es liegt im Wesen einer Anthologie begründet, daß nicht alles auf der Linie der Gleichwertigkeit liegen kann, wir strebten stofflich zwar an, den ganzen niederdeutschen Kulturkreis zu berücksichtigen, schieden aus künstlerischen Gründen aber trotzdem mancherlei aus. Was wir aufnahmen, erschien uns einmal wertvoll, zum andern glaubten wir auch wesentlich niederdeutsche Merkmale der Dichtungen zu erkennen, ohne diese aber nun gerade im äußeren sprachlichen Gewande zu sehen, Hochdeutsch geschriebene balladische Dichtungen nahmen wir aber durchweg nur dann auf, wenn wir gleichwertige plattdeutsche Stücke nicht zur Verfügung hatten. Der Begriff »Ballade« ist aber auch von uns durchaus nicht engherzig aufgefaßt. Eine stattliche Reihe balladenartiger Lieder ist ebenfalls ausgenommen worden. Mit besonderer Vorliebe gewährten wir den volkstümlichen Dichtungen Raum, an denen zum Glück Niederdeutschland durchaus nicht arm ist. Selbstverständlich werden manche, besonders die irgendwie philologisch eingestellten Leser in unserer Sammlung einiges vermissen. Im allgemeinen sahen wir von der Wiedergabe übertragener Balladen ab, einerlei, ob sie sich hochdeutsche oder englisch-nordische Dichtungen zum Vorbild nehmen. Eine Ausnahme macht nur die »Nachdichtung« von Bürgers »Leonore« durch Hermann Boßdorf; denn diese Ballade aller Balladen ist schon in der Urform durchaus niederdeutsch. Wenn sich dagegen volkstümliche Übertragungen auf niederländische Vorbilder stützen, haben wir auch aus inneren Gründen keine Bedenken gehabt, sie aufzunehmen. Ja, um noch den heutigen kulturellen Zusammenhang mit den Niederländern zu unterstreichen, wählten wir unter liebenswürdiger Unterstützung von Herrn G. w. Spitzen in Soestdijk (Holland) aus dem Schatze der niederländischen Balladendichtung zwei bekannte und wertvolle Dichtungen aus.
Um das Lesen des Buches zu erleichtern, haben wir den Versuch einer einheitlich durchgeführten Rechtschreibung in Anlehnung an die »Lübecker Richtlinien« unternommen, dabei aber bei den älteren volkstümlichen Balladen besonders behutsam vorgehend. In Fußnoten sind ferner notwendige Erläuterungen angebracht. Eine besondere Bezeichnung der betreffenden Dialekte ist unterblieben.
Mancher wird bei der Beurteilung des Buches vielleicht auf Lücken hinweisen. Denn wenn wir von jüngeren plattdeutschen Balladendichtern auch bereits eine stattliche Reihe Beiträge zum erstenmal nach der Handschrift veröffentlichen durften, so sind wir doch überzeugt, daß uns manches noch verborgen blieb. Nur ein Dichter (und von andern einige ganz wenige Balladen) mußten wir zu unserm Bedauern diesmal ausscheiden, weil unser Verlag die hohen Honorarforderungen grundsätzlich nicht bewilligen wollte.
Den Stoff ordneten wir in Zyklen an. Durch die Harmonie des Ganzen gewinnt die einzelne Ballade noch an Wucht und nachhaltiger Stimmung. Natürlich sind zwischen den Abteilungen die Grenzen fließend, man kann auch über die Zugehörigkeit gern hin und wieder anderer Meinung sein, wir folgten in der Anordnung und ganzen äußeren Gestaltung bewußt dem Vorbilde, das uns Ferdinand Avenarius mit seinem »Balladenbuch« gegeben hat, und als Versuch, sein verdienstvolles Werk auf niederdeutschem Gebiet fortzusetzen, wolle man unsere Anthologie ansehen.
Ganz besonders zu danken haben wir dem Verlage Georg D. W. Callwey, der in vorbildlicher Weise an dem werdenden Werk Anteil genommen hat. wir wissen es ferner zu schätzen, daß Borries, Freiherr von Münchhausen, unsere Sammlung durch sein feinsinniges, wertvolles Geleitwort auszeichnete. In Prof. Bernhard Winter, Oldenburg, fanden wir den Maler, der ganz aus niederdeutschem Empfinden heraus in engster Verbindung mit uns das Werk einheitlich mit Bildern schmückte.
Möge unser Werk gleich dem Vorbild sich in ganz Deutschland Freunde erwerben! An seinem Teile will es auch ein Zeugnis deutscher Kultur sein.
Hamburg, Hannover, Ostern 1925
Die Herausgeber