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Zum Geleite

Wenn die Ballade, wie wir annehmen, eine in ihren Höchstleistungen rein romantische Erscheinung ist, so liegt es schon von hier, den Anfängen des Nachdenkens aus, nahe, anzunehmen, daß sie in den Gebieten deutschen Lebens vorzugsweise gedeihen wird, die für romantische Kunst besonders empfänglich sind. Nun stellen wir gefühlsmäßig die Klassik in die Nähe der romanischen Völker, während wir von der Romantik glauben, daß sie dem nordischen Wesen besonders entspreche. Nirgends ist dies germanische Leben aber reiner lebendig als in Niederdeutschland. Das hat seine rassischen Gründe; denn nur hier sind die nordischen Bestandteile im Volke so stark vertreten, daß wir von einer vorzugsweise germanischen Bevölkerung sprechen können. Mitteldeutschland und Ostelbien sind durch eingedrungenes Slaventum ostisch durchsetzt, der Süden Deutschlands hat daneben noch andere rassische Bestandteile aufgenommen.

Wir müssen uns immer klarhalten, daß die Rassezeichen nur zur einen Hälfte körperlicher Art sind, zur wichtigeren, wenn auch weit schwieriger erkennbaren Hälfte dagegen Seelen- und Geistes-Kennzeichen. Es geht durchaus nicht an, mit Langschädel, Blauaugen, Blondhaaren, Langwuchs die rassischen Merkmale des nordischen Menschen erschöpfen zu wollen, denn es kann jemand dabei eine völlig andersrassige Seele in sich tragen!

Die Hauptkennzeichen der nordischen Seele nun fallen in wesentlichen Bestandteilen mit dem zusammen, was wir mit einem nie völlig klar zu umreißenden Begriff Romantik nennen. Somit ist auch die Ballade als romantische Kunstform wesentlich nordisch oder, um in Grenzen Deutschlands zu bleiben: niederdeutsch. Es bedeutet also die Ballade in Niederdeutschland nichts anderes als eine Frucht in ihrer Heimaterde.

So ist dies Buch aus einem nicht gemachten und künstlich ausgedachten Plane entstanden, sondern es haben sich die Herausgeber gefühlsmäßig an das Gewachsene und Gewordene gehalten. Sie suchten die Balladen in Niederdeutschland, wie der Jäger in das dem gesuchten Wilde heimische Revier geht. –

Was ist Grundstimmung der Ballade, der Romantik, des niederdeutschen Wesens?

Die Lust am Erzählen wächst hier nicht, wie bei romanischen Völkern, aus der fast immer äußerlichen Freude am Fabulieren, sondern eine tief innere Stimme drängt zur Wiedergabe des Erlebten und Erschauten. Die Brunnen der Tiefe rauschen in der Ballade, die künstlichen Fontänen plätschern über Marmorbecken in der Dichtung der romanischen Völker. Während der Romane und ganz ähnlich der ihm wesensverwandte Oberdeutsche leicht dahertänzelt, schreitet hier schwerer Schritt mühevolle Wege. Der Glaube ist grüblerisch und allezeit dem Aberglauben nahe, nie überwunden und kaum überwindbar spuken noch heute die Gestalten germanischer Glaubenswelt in die des aufgepfropften Christentums hinein. Elbische sind Vorfahren der Helden (Hagen), Unterirdische tauschen Kinder mit Menschenweibern, Menschenjünglinge verbinden sich mit Elfen und Nixen, Trolle, lebendiger als die Faune Griechenlands, holen sich Mädchen aus den Dörfern. So scheint das Volk den Gestalten seiner Sage noch heute verwandter als irgendwo anders. Alles dies ist so zauberhaft, daß durchsichtige Klarheit fast als Entweihung angesehen wird. Das Mondlicht silbert über den nebligen Weihern und gibt eine balladischere Luft als die unerbittliche Sonne des Südens. Alle Mystik ist der Nacht verschwistert und fürchtet das Tagesgestirn, alle Mystik ist bei den schwerfälligen Blaublonden zu Hause, bei jenen Langsamen, die wissen, daß die Allzugeschwinden und Immerklaren auf das Beste der Weisheit verzichten müssen. Niederdeutsche Luft ist nebeldiesig, balladische Stimmung nachtgeboren, Romantik geistert durch die Mitternächte. Und doch ist grade hier das tiefste und klarste Wissen lebendig, und in einer nordischen Ballade liegt mehr Weistum als in hundert italienischen Sonetten.

Es gehört zum Wesen der Romantik, daß sie kein ausgeklügeltes System ist, sondern wie ein Organismus aus widersprechenden Bestandteilen zusammengesetzt: Neben der dunkelen Tiefe der Königsbergerin Agnes Miegel steht die klare Tiefe des Königsbergers Kant, neben dem gläubig-strengen Katholizismus der Annette v. Droste steht auf gleicher westfälischer Erde das gläubig-zügellose Wiedertäufertum Johanns von Leiden, neben dem unerschütterlichen logischen Ernst eines Gauß die unlogischeste Schalkerei eines Eulenspiegel in Braunschweig. Niederdeutschland hat an Mannigfaltigkeit der Begabungen größere Gegensätze hervorgebracht als jede andere deutsche Landschaft. –

Welche wundervolle Reihe der balladischen Begabungen zieht sich hier durch die Geschichte des Schrifttums!

Annette v. Droste-Hülshoff, Ferdinand Freiligrath, Friedrich Hebbel, Klaus Groth, Felix Dahn, Detlev Freiherr von Liliencron, Lulu v. Strauß und Torney, Agnes Miegel, – ja, es ist ein Aufzug stolzer Namen, den der Norden Deutschlands uns geschenkt hat!

Und die nicht in Niederdeutschland Beheimateten, wie greifen sie triebsicher immer wieder in die Gedankenkreise des Nordens! Der Schwabe Uhland schreibt vom blinden König in »der nordischen Fechter Schar!«, der Schlesier Graf Moritz v. Strachwitz erzählt vom König Helge, unter dem »auf Norwegs Felsen wuchs Korn und Gras«, der Jude Heinrich Heine schafft die wundervolle Ballade vom Schlachtfelde bei Hastings, der französische Brandenburger Theodor Fontane wird nicht müde, die Herrlichkeit des Nordlands zu singen und zu sagen.

Ja, es kam ja einmal alle Ballade aus dem Norden von den Blaublonden her über die staunende Welt! Percys berühmte Sammlung, welche die Ballade in Deutschland erweckte, Ossians gewaltige Schöpfungen, die einen Goethe berauschten, und die Heldenlieder der Edda! Auch das Nibelungenlied ist in seinen wertvollen Grundzügen durchaus nordischer Herkunft, und nur das höfische und äußerliche Beiwerk (von dem so viele beste Kenner es vergeblich zu reinigen strebten) ist mitteldeutscher Herkunft.

So weist den Freund der Ballade fast jedes Blatt dieser Dichtung wie eine ewige Magnetnadel nach Norden. Die Völker um die Nordsee sind die Schöpfer der Ballade, die Völker um die Nordsee gaben ihr seit mehr als einem Jahrtausend ihre liebsten Helden, und darum ist das deutsche Volk im Norden nicht nur der schweigende Dichter, sondern auch der namenlose Held dieser hier vorliegenden Sammlung.

Nun bedeutet das aber keineswegs, daß die Stoffe ausschließlich nordisch sein müßten. Dieselbe Sehnsucht in die Ferne, die den Engländer zum Urbild des Reisenden überhaupt macht, und die seit einem Jahrtausend immer aufs neue die Germanen über die Alpen trieb, dieselbe Sehnsucht ins Ferne weint auch durch die Schöpfungen aller nordischen Kunst. Und wie auf einen in Deutschland reisenden Italiener gewiß hundert im Süden reisende Deutsche kommen, so findet man auch auf einen nicht italienischen Helden, etwa in des Boccaccio Novellen, wohl hundert nichtdeutsche Helden in deutschen Erzählungen.

So zeigt auch diese Sammlung in vorzüglicher Weise nicht nur den quellenden Reichtum, sondern auch die unglaublich weitklafternde Künstlerschaft der niederdeutschen Kunst.

Man vergleiche doch, was etwa die neuere Ballade in anderen deutschen Gauen hervorgebracht hat. Da ist in Schwaben nur der etwas trockene Uhland zu nennen, denn Mörike war fast nur Lyriker und ist zudem niedersächsischen Stammes, in Bayern der Graf Platen, in Österreich Graf Auersperg (Anastasius Grün) und Niembsch von Strehlenau (Lenau), in Schlesien Graf Strachwitz und August Kopisch, in Thüringen kaum einer. Gewiß, auch hier Namen von ewigem Klange, und nichts liegt mir ferner, als um einer Behauptung willen das Dichtertum dieser Künstler herabzusetzen! Und doch glaube ich, daß die vorliegende Sammlung auf jeder Seite zeigt, wie ungleich mächtiger in Niederdeutschland die Königliche Dichtung blühte. –

Ich möchte noch ein Wort zu der Sprache dieser Balladen sagen. Plattdeutsch ist nicht eine Mundart, sondern eine eigene Sprache, genau so wie Holländisch oder Dänisch. Und es ist eine schwere Sprache (mit vielen Mundarten!), die nur der völlig beherrscht, der ganz in ihr aufgewachsen ist oder in ihr lebt. Deshalb soll man dieser, für den hochdeutsch sprechenden Menschen schwierigen Sprache mit aller Verehrung entgegenkommen, die ein selbständig erwachsenes Kulturgut fordern darf: Grade unter den plattdeutschen Werken dieser Sammlung finden sich Perlen von einer unvergleichlichen Schönheit, und ich begrüße den Entschluß der Herausgeber, sie nicht zu übersetzen oder hochdeutsch zu verweichlichen, sondern in all ihrer herben Schönheit zu belassen.

Vielleicht darf ich hier ein Wort der Erinnerung und des Dankes einschieben: Ich selber habe nur einen Teil meiner Kindheit in Hannover verbracht und bin deshalb nie zu völliger Beherrschung der plattdeutschen Sprache gelangt. Solange Hermann Löns lebte, hat mir der in meinen Gedichten das Platt zurechtgeschoben, und seiner Freundeshand verdanken also viele meiner Arbeiten die sprachliche Feile. Jetzt habe ich in Moritz Jahn seinen Nachfolger gefunden, einen Dichter, den ich zuerst im Göttinger Musen-Almanach auf 1923 der Leserschaft vorstellen durfte, und auf dessen wunderschöne Balladen in dieser Sammlung ich besonders hinweisen will.

So wie mir, geht es gewiß vielen Lesern: Sie verstehen etwas Platt, aber nicht alles. Und diese möchte ich bitten: Laßt euch nicht durch die Fremdartigkeit abschrecken, ein Gedicht drei, vier Mal zu lesen, bis ihr das Sprachliche des Kunstwerkes völlig überwunden habt und die dichterische Schönheit allein genießt. Die kleine Mühe wird sich reichlich lohnen, das kann ich euch versichern! Es gibt in jeder Sprache dichterische Schönheiten, die sich nicht übersetzen lassen, und die des Plattdeutschen sind so eigenartiger, herrlicher, wunderlicher Art, daß man tausendfältig belohnt wird für die Arbeit des Eindringens. Wer diese Dornenhecke durchhaut, findet auch ein Königskind schlafend, das nur seines Kusses bedarf, um zu lieblichstem Leben zu erwachen!

Möchte die Sammlung – nicht den Ruhm der Dichter, denn das wäre ein überflüssiges Unternehmen – möchte sie die Freude an der Ballade Niederdeutschlands ausbreiten und vertiefen, so weit deutsch gesprochen wird!

Börries, Freiherr von Münchhausen


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