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Rembrandt

Am schiefen kleinen Fenster eines schmalen
Engbrüst'gen Hauses in der Prinzengracht
Malt Rembrandt bei des Winterabends Strahlen,
Der draußen Mast und Segel rot entfacht,
Mit welker Hand, die leise von des Weines
Verrat bebt, im zerfetzten Pelz, bestaubt
Und grau, wie sein verwirrtes Haar, an eines
Weißblonden Engels zartem Kinderhaupt.
Und prüfend blickt im letzten Abendlicht
Er auf das Bild und lehnt sich an die Wand.
Ein Lächeln im verwitterten Gesicht,
Ruft er, zum dunklen Zimmer halb gewandt:
»Titus! Hendrikje!«

                                    Eine Türe klappt,
Ein Lichtschein kommt, der Schrank und Krüge streift,
Die Scheuerbürste reibt, ein Lappen flappt
Klatschend und wuchtig auf die feuchten roten

Ziegel im Flur, und eine Stimme keift:
»Du Narr, was schreist du wieder nach den Toten!«
Und laut und frech, wie man ein Schimpfwort gellt
Am Hafen, wird die Türe zugeschlagen.
Ganz reglos steht der Greis. Die Dämmrung fällt.
Er senkt das Haupt. In plötzlichem Verzagen
Schiebt kindisch er die Unterlippe vor,
Ein Zittern geht durch die erschlafften Wangen – –
Doch jählings richtet er sich rasch empor
Und starrt hinaus zum Fenster.

.

                                    Von dem langen
Geteerten Vorbau in dem Nachbarhaus,
Wo Wochentages Lewy Aschkenas
Hängt Bilder und verschlissenen Trödel aus, –
Dort schimmert durch die Dämmrung, klar und blaß,
Der Sabbatkerzen feierliches Licht.
Wie eine goldne Brücke geht ihr Leuchten
Bis zu dem Bollwerk, wo der Glanz sich bricht;
Er spiegelt sich wie Gold auf einem feuchten,
Vermorschten Pfahl, und einer Kogge Bug
Glüht wie ein Kupferschild.
                                    Weit vorgebückt
Sieht Rembrandt auf des Lichtes Märchentrug,
Sein Antlitz leuchtet kindlich, jäh entzückt,
Er fühlt verjüngt die greisen Adern klopfen.
Er atmet auf, dehnt die erschlafften Glieder
Und pfeift.
                                    Aus den verschwollnen Augen tropfen
Lang und heiß zwei große Tränen nieder.

Agnes Miegel

.

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