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Eine sehr hübsche Gabe, hergestellt aus alten Briefen und Familienschriften, kann ich allen empfehlen, die Pietät und Familiensinn besitzen. Als eine alte Tante, die letzte von acht Geschwistern, ihren 80. Geburtstag feierte, war ich in der angenehmen Lage, ihr ein für sie sehr wertvolles Geschenk machen zu können. Aus meiner Mutter Nachlaß, die die Älteste der Geschwister gewesen, entnahm ich den Vorrat des Geburtstagsangebindes. Ich wählte ein altes leeres Heft von Büttenpapier aus dem Nachlaß meines Vaters, wie es dazumal in seinen jungen Jahren gebraucht ward und wie es nun ja auch wieder Mode ist. Zwischen diese Blätter wurden die Briefe, Testamentsabschriften, Inventuraufnahmen, Predigten meines Großvaters, Verheiratungs- und Todesanzeigen, genug, alles, was Wert hatte, eingefügt, und jedem alten Schriftstück ließ ich auf dem Blatt des Büttenpapieres das zu den Schriftstücken passende Motto oder ein auf den Inhalt des betreffenden Briefes hinweisendes Gedicht voraufgehen. Das Ganze ward dann von einem geschickten Buchbinder in rot Leder gebunden, mit cuivre poli-Ecken versehen und dem Deckel ein hübsch geschweiftes Schild von cuivre poli aufgefügt, darauf eingraviert ward: »Erinnerungen«. Ich hatte wohl 32 Gedichte oder Verse von Dichtungen dazu geschrieben. Das erste Blatt enthielt die Widmung; das zweite als Einleitung das bekannte Gedicht von Immermann: »Nach manchem Jahr«:
»Beim ersten Frühlingswetter –
Fand ich in meinem Fach
Vergilbte alte Blätter,
Die Schrift verblaßt und schwach« usw.
Der Abschrift eines Testaments voran gingen Goethes Worte:
»Was du ererbt von deinen Vätern hast,
Erwirb es, um es zu besitzen!«
Der Abschrift von einer Inventuraufnahme von Hausrat hatte ich Schillers Worte vorangesetzt:
»Nicht an die Güter hänge das Herz,
Die dies Leben vergänglich zieren.
Wer besitzt, der lerne verlieren,
Wer im Glück ist, der lerne den Schmerz.«
Dem ersten Brief der Mutter an eine Tochter in der Fremde hatte ich als Vorwort das Gedicht von Lingg gegeben: »Alte Briefe«:
»Eine Schrift gibt's, deren Züge
Ohne Tränen ich nicht sehen kann;
Denn sie redet keine schöne Lüge,
Die ein leeres Herz ersann.
Alle Worte sind mir Zeugen
Einer Liebe, tief, unwandelbar:
Einer Liebe, die durch nichts zu beugen,
Die die Liebe einer Mutter war.«
Einem Brief eines ganz jungen Mädchens ging voran:
»O Zeiten der Liebe und Kindheit,
Wie seid ihr einander so gleich;
Da steht man hoch auf des Lebens Höhe,
Und fühlt sich so rein und so reich.«
Einem ermahnenden Brief des Vaters an eins seiner Kinder in der Pension schrieb ich voran:
»Erwirb dir Güter und Wissenschaft,
Als lebtest du ewig auf Erden,
Als könnte niemals deine Kraft
Vom Alter gebrochen werden.«
Ein anderes Schreiben hatte das Motto:
»Es ist ein tiefer Segen,
Der aus dem Wort dir spricht:
›Erfülle allerwegen
Getreulich deine Pflicht.‹«
Auch Jean Pauls Worte verwende ich vor einem dazu passenden Schreiben:
»Der du noch einen Vater, eine Mutter hast,
O danke Gott dafür, wenn eine süße Last
Von Freudentränen will aus deiner Seele fließen
Und einer Brust bedarf, wo du sie kannst ergießen.«
Auch den alten Goetheschen Spruch wandte ich an:
»Tages Arbeit – Abends Gäste –
Saure Wochen – Frohe Feste.«
Und so immer weiter. Nachher kamen zu Briefen passende Verse über die Liebe, über den Tod, über die Ehe, über Kinder usw. Zuletzt schrieb ich als Endvers Goethes Wort:
»Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt,
Der gern von ihren Taten, ihrer Größe
Den Hörer unterhält, und still sich freuend
Ans Ende dieser schönen Reihe sich geschlossen sieht.«
Das Buch ward natürlich mit Liebe dankbar aufgenommen, und die Nächstbeteiligten haben sich und der alten Tante oft mit Interesse etwas daraus vorgelesen und dies Vermächtnis seither als Reliquie gehalten.
Berta Ave.