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Nicht über Art und Weise großer Gesellschaften möchte ich berichten, sondern aus eigener Erfahrung Anleitung geben – und Lust und Liebe wecken zu einer geist- und gemütvollen Geselligkeit, wie man solche überall und auch bei sparsam zugemessenen Mitteln pflegen und genießen kann. Wir verleben manche Jahre auf kleinen Plätzen, wo die wenigen Familien keine andere Anregung haben, wie den persönlichen Verkehr, Musik, wenn man selbst solche zu machen versteht, und ein gutes Buch. Ich kam als junge Frau an diese Orte und hatte gar nicht die Absicht, zu versauern.
Wir fanden eine Anzahl junger Mädchen am Platze, denen das kleine Städtchen sehr wenig Vergnügen bot, besonders im Winter, weil zu Tanzunterhaltungen keine Herren aufzutreiben waren. Wir beschlossen nun, unsere schönen großen Räume der Dienstwohnung allwöchentlich an einem Abend gastfreundschaftlich zu verwerten. Unsere Verhältnisse erlaubten uns aber nicht, kostspielige Bewirtung auszuüben, und so wurden die Damen gebeten, nach dem Abendbrot mit einer Handarbeit zu erscheinen. Schon beim ersten Zusammensein wurde beschlossen, die Abende mit Lesen teilweise auszufüllen, und dazu wählten wir zunächst die Werke unserer klassischen Dichter, besonders Theaterstücke, welche wir mit verteilten Rollen lasen. Wer von den Teilnehmern musikalisch war, übte stets ein Lied oder ein Musikstück ein, um die anderen zu erfreuen, ebenso wurden auch poetische Einzelvorträge eingeübt. Nur zu rasch verflogen uns die Stunden. Bewirtet wurde die Gesellschaft mit Bier oder belegten Brötchen oder sonst einem passenden Backwerk. Bedienung bedurfte es kaum, denn die jungen Mädchen griffen dabei gerne an. Natürlich wurden auch heitere Spiele gespielt, und ich kann bei dieser Gelegenheit das »Pochspiel« alt und jung empfehlen. Wir benutzten Bohnen dazu, die jeder Spieler sich kaufen mußte, etwa 100 für einen Pfennig. Der Erlös wurde gesammelt und für einen guten Zweck verwendet.
In der Faschingszeit überraschte uns die ganze Gesellschaft in drolliger Verkleidung. Plötzlich sah ich mich von einer schwatzenden, knicksenden Jungfernschaft umringt, mit Kleidern, Schuhen und Hüten angetan aus der Zeit unserer Großmütter. Was bargen die großen Taschen nicht alles an bezüglichen Geschenken für die Anwesenden. Es war ein lustiges Treiben, weit über die sonst gewohnte Stunde hinaus, und deshalb gab es dann auch noch ein Schälchen Kaffee mit Kuchen, den die Teilnehmerinnen selbst besorgt hatten, denn ich hatte ja keine Ahnung von diesem Plane.
Gewöhnlich waren es 20 Mädchen, welche den Donnerstag abend bei uns zubrachten. Unter dem Weihnachtsbaum fand ich damals einen schönen gestickten Bodenteppich, der aus 20 einzelnen Quadraten zusammengesetzt war und der mich nun nach Jahren noch an jene heitere Zeit erinnert. Unsere Gesellschaft ist für mich stets ein Ruhepunkt in der Erinnerung, denn trotz veränderter äußerer Verhältnisse steht sie mir als etwas Unantastbares da, was wohl kaum der Fall wäre, wenn wir große Summen dafür ausgegeben hätten, was ich heute beklagen könnte.
Daß sich sogar die Herren der Schöpfung äußerst wohl bei einfacher Bewirtung fühlen können, konnte ich an einem unserer spätern Aufenthalte mit Freuden bemerken. Hier war ein Kreis aus Damen und Herren, verheirateten und ledigen, älteren und jungen, die alle wußten, daß wir jeden ersten Donnerstag des Monats, nachmittags und abends, für unsere Freunde zu Hause seien, und wir uns freuten, je mehr deren zu uns kamen und je länger sie blieben. Wer nur kurze Zeit bleiben wollte, kam am frühen Nachmittag. An kleinen Tischen wurde Tee angeboten mit süßem Backwerk. Ein Spieltisch war stets bereit, und sobald drei oder vier Personen sich eingefunden hatten, die Lust zu einer Partie Whist zeigten, ließen sie sich am Spieltisch nieder. Gegen Abend fand sich meist die Jugend ein, Damen und Herren, welche sich dann im Salon zu Gesellschaftsspielen oder im Plaudereckchen zusammen fanden. Einer oder der andere junge Herr widmete sich auch gern den älteren Damen am Spieltisch. Im Speisezimmer waren mehrere kleine Tische gedeckt, aber nur mit Tischtuch und Läufer, Salzfaß und derartigen Dingen. Im Wohnzimmer, wo auch Spiel- und Rauchtisch standen, war ein großer Tisch zum Büfett gestaltet. Auf diesem standen Teller, Gläser und Tassen, lagen Bestecke und Servietten. Was etwa um 9 Uhr den Gästen als Erfrischung geboten wurde, fand hier dann auch seinen Platz. Entweder war dies ein warmes Gericht oder eine kalte Platte. Es mußten Speisen sein, welche leicht schon am Nachmittag vorbereitet werden konnten, da ich nur über ein Dienstmädchen verfügte, das allein die Küche des Abends besorgen mußte und auch beim Bedienen behilflich sein sollte, wozu ich mir meine junge Näherin angeleitet hatte. Das junge Mädchen war sehr dankbar dafür, da es die erworbene Fertigkeit auch sonst noch oft und gut verwerten konnte.
Sollte gespeist werden, so stellte sich die Bedienung am Büfett auf. Die Herren führten die Damen zu Tisch, natürlich ganz nach freier Wahl, und dann bedienten sich Damen und Herren abwechslungsweise am Büfett, was meist zu heiterer Stimmung führte. Ob warm oder kalt bewirtet wurde, mehr als einen Gang gab es nicht, und stets nur Tee, nie Wein.
Allzuoft gestatteten wir uns auch das warme Gericht nicht, denn das hätte unseren Voranschlag für »Geselligkeit« doch überschritten. Ein großes, kaltes Roastbeef oder ein Schinken und zu jeder dieser kalten Platten ein Salat, meist ein Heringssalat, wechselten miteinander ab. Eine der jungen Damen sorgte für den Tee, und zwanglos und heiter saß man oft so lange bei Tisch, wie sonst bei großartiger Bewirtung. Sehr oft befanden sich musikalische Kräfte unter den Anwesenden, deren Leistungen eine dann das Zeichen gab, die Tafel aufzuheben. Das Musikzimmer war neben dem Salon gelegen, wohin sich dann meist der größere Teil der Gesellschaft begab, während der kleinere Teil zum Spiel- und Rauchtisch eilte. Ertönten dann die dumpfen Schläge, welche anzeigten, daß das aufgelegte Bierfäßchen seine Schleusen öffnete, so eilten die Herren zum Büfett, wo jetzt wieder Ordnung herrschte, um die Biergläser zu holen, und, mit dem schäumenden Naß gefüllt, den Damen zu kredenzen. Von der Dienerschaft waren nun auf dem Büfett auch Körbchen mit belegten Brötchen aufgestellt worden, und in zwangloser Unterhaltung bildeten sich größere und kleinere Gruppen. Erklangen die lustigen Weisen nach irgendeinem Tanzalbum, so waren im Nu die Möbel im Salon beiseite gerückt, die bedienenden Mädchen rollten auf einen Wink des Hausherrn, der außerordentlich gern der Göttin Terpsichore huldigte, die Teppiche zusammen, und bald schwangen sich die Paare im lustigen Reigen. – Aber auch an ernsterer Unterhaltung fehlte es nicht.
Bald war es irgendein Buch, bald etwas aus der Politik oder die Frauenfrage, auch Kindererziehung und Ehe, das lebhaft besprochen wurde. Nicht selten kam es zu regelrechten Redeturnieren, woran sich die Damen nicht minder beteiligten als die Herren. Noch heute, nachdem schon einige Jahre über jene Zeiten heiteren Zusammenseins verflossen sind, darf ich oft mit Vergnügen wahrnehmen, wie die Erinnerung an jene einfachen Abende noch in den Herzen aller Teilnehmer lebendig ist, und wie gern diese sowohl als ich daran zurückdenken. Wenn meine kleine Beschreibung eine oder die andere freundliche Leserin bestimmen könnte, herrschender Sitte entgegen, statt kostspieliger, großer Gesellschaften in ihrem Hause eine einfache, heitere Geselligkeit zu pflegen, so wäre ich reich entschädigt. Es gehört dieses Gebiet auch zur sozialen Frage, die lösen zu helfen alle Glieder der menschlichen Gesellschaft berufen sind. Wenn wir Frauen uns bemühen, in dem heranwachsenden Geschlecht die Überzeugung zu befestigen, daß man, auch ohne ein Krösus zu sein, dem Leben heitere und angenehme Seiten abgewinnen kann, so ist das schon ein Fortschritt. Daß man als Ehepaar in einem kleinen Orte auf jede Geselligkeit verzichten müsse, ist eine falsche Ansicht, die man bei jungen Menschen und besonders bei Mädchen bekämpfen muß. Guter Wille und heiterer Sinn können in solchen Fällen große Mittel und die große Stadt reichlich ersetzen. Prunkvolle Gesellschaften zu geben, bleibe denen überlassen, die durch Stellung und Besitz dazu berufen sind. Der minder Bemittelte soll sich aber klar sein, daß er darin nicht zu wetteifern braucht, sondern auch auf einfachere Art seinen Verpflichtungen nachkommen kann.
Nicht mit Bedauern soll man auf die im eigenen Hause unterhaltene Geselligkeit zurückblicken müssen, sondern als lichter Punkt soll sie in der Erinnerung glänzen. Das kann aber nur geschehen, wenn wir verstehen, den Schwerpunkt des gesellschaftlichen Lebens nicht in Prachtentfaltung zu suchen, sofern nicht unsere Mittel dazu reichen, und wenn wir uns bemühen, durch liebenswürdige Heiterkeit und geistige Anregung unser Heim zu einem angenehmen Aufenthalt für unsere Gäste zu machen.
Frau Oberamtmann Otto.