Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

Die Kinderstube.

Frau Doktor R. ist eine kluge und energische Dame, dabei sehr um das Wohl ihres einzigen Söhnchens besorgt. Nicht etwa, daß sie es verzärtelt und verweichlicht hätte, bewahre, dazu ist sie viel zu klug. An Fritzchen sieht man weder Schal noch Pelzmütze, dafür ein hübsches dunkelblaues Mäntelchen mit dazu passendem Mützchen und bei drohendem Regen sogar einen wirklichen Regenschirm. Und Frau Doktor hält darauf, daß der Schirm mitgenommen wird, sobald es nötig ist, trotzdem das nicht ganz sechsjährige Söhnchen ihn anfangs dem Regen nicht aussetzen will und sagt: »Der böse Regen verdirbt meinen guten Schirm.« – Aber noch etwas hat Fritzchen, dessen sich nicht alle Kinder rühmen können: ein Kinderzimmer. Es ist das nicht etwa ein kleines Stübchen, in dem sich ein Kind nur beengt fühlt, nein, es ist ein wirkliches großes Eckzimmer mit drei Fenstern. Bekannte können es gar nicht begreifen, wie Frau Doktor dem einzigen Kinde solch großes Zimmer geben kann, das ist doch pure Verschwendung, an Raum sowohl als auch im Winter an Heizung. Als eine Dame diese Ansicht der Mutter Fritzchens gegenüber gelegentlich äußerte, sagte diese: »Weshalb sollte ich dem Kinde nicht das große Zimmer geben? Es spielt ja darin viel besser und freier als in einem kleinen.« – »O,« erwiderte die Freundin, »er ist aber doch immer allein darin mit Ihnen oder mit dem Kinderfräulein, da wäre doch auch ein kleiner Raum genügend. Ja, wenn Sie vier oder fünf Buben hätten, dann wäre ein so großes Zimmer unerläßlich.« – »Mir scheint es auch so der Fall zu sein,« sagt lächelnd Frau Doktor, »und meines Mannes Wunsch war es gleichfalls. Es gibt viele zu schlechte oder zu kalte Tage, an denen der Kleine nicht ins Freie kommt, und da ist es unbedingt nötig, daß er sich hier beim Spielen genügend Bewegung machen kann. Ich sehe dann auch immer darauf, daß er lebhafte Spiele spielt, bei denen Bewegung nötig ist, z. B. Soldat, Reiter, Pferdchen usw. Außerdem ist der Kleine auch, mit Ausnahme des Mittagmahles, das wir alle gemeinschaftlich einnehmen, stets in seinem Zimmer, und gleichzeitig wird sein sämtliches Spielzeug dort aufbewahrt, damit es immer gleich zur Hand ist. Gerade weil das Zimmer so groß ist, liebt es Fritzchen über die Maßen, da er fast alle Spiele darin vornehmen kann. Braucht er Bewegung, so kann er sie sich machen, ist er müde, so setzt er sich einfach nieder, wo er gerade geht oder steht und beginnt ein ruhiges Spiel, z. B. beschäftigt er sich dann immer gern mit dem Steinbaukasten.« – »Aber erkältet sich Fritzchen nicht, wenn er so lange auf dem Fußboden sitzt?« fragt die Freundin noch. »Keineswegs!« lautet die freundliche Antwort, »denn wie Sie wissen, liegt unser größter Teppich im Kinderzimmer, bedeckt dort fast den ganzen Fußboden und macht so ein Erkälten unmöglich. Außerdem haben wir unsern Jungen auch schon ziemlich abgehärtet, so daß wir also nicht viel Angst vor Erkältungen zu haben brauchen.« – »Nun, es mag ganz gut sein,« sagt die Freundin erst halb überzeugt, »aber ich könnte das nicht tun, da ich unsere Zimmer alle brauche. Meine Kinder haben ja auch ein Zimmer für sich, aber ich konnte ihnen kein großes geben, da ich das größte als gutes Zimmer eingerichtet habe.« –

So mag es noch in mancher anderen Familie heißen: »Ich würde den Kindern gern ein größeres Zimmer geben, aber ich brauche das größte als gutes Zimmer.« Und doch ist es für die Kleinen so wichtig, auch im Hause genug Bewegung haben zu können. Wohnt die Familie auf dem Lande, nun, so geht es schließlich noch, denn dann geht es eher hinaus ins Freie, ist man doch bei den ersten Regentropfen schnell »unter Dach und Fach«. Die Stadtkinder aber haben bei ungünstigem Wetter nur die allernächsten Straßen, oder sie müssen im Hause bleiben. Da sieht man nun oft die Kinder hinter den Scheiben, wie sie die kleinen Näschen platt drücken und mißmutig und gelangweilt in den Regen hineinblicken. Unaufhörlich quälen sie die Mutter: »Was sollen wir jetzt tun?« bis es endlich, endlich Abend wird.

Wie ganz anders sieht es dagegen in einem geräumigen Kinderzimmer aus. Wenn die Kleinen nur erst »in Gang« gebracht werden, dann geht es munter darauf los, erst dieses Spiel, dann jenes, und wenn sich die Kleinen müde getollt haben, dann setzen sie sich ruhig nieder und nehmen die Bleisoldaten, den Baukasten oder auch die Bilderbücher vor, aus denen der Älteste schon so niedliche Geschichtchen und Verschen lesen kann. Darum noch einmal, entbehrt lieber die »gute Stube«, gegen die schon so viel geeifert wird, und weist den Kindern dafür genügenden Raum an, das ist für sie und für euch besser. Sobald die Kleinen einen geeigneten Ort haben, der nicht hemmend auf ihre kindlichen Spiele einwirkt, spielen sie besser und lassen der Mutter dadurch mehr Zeit für andere Arbeiten. Auch bleibt das Wohnzimmer dadurch stets sauber, so daß Besuch jederzeit hineingeführt werden kann.

Else Jacob.

.


 << zurück weiter >>