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Das Märchen vom Christkind.

Alle Jahre wieder
Kommt das Christuskind
Auf die Erde nieder,
Wo wir Menschen sind.
Kehrt mit seinem Segen
Ein in jedes Haus,
Ist auf allen Wegen
Mit uns ein und aus.
Steht auch dir zur Seite
Still und unbekannt,
Daß es treu dich leite
An der lieben Hand!

Das ist ein altes, liebes Weihnachtsliedchen! Als Kinder haben wir es oftmals gesungen. Heute noch bewegt es mir das Herz, denke ich an die selige, schöne Kinderzeit, wo wir noch an das Märchen vom Christkind glaubten. Ach, und recht lange haben wir daran festgehalten, wir wollten gar nicht aufgeklärt sein! Wir standen andachtsvoll an der verschlossenen Tür des Weihnachtszimmers und lauschten, ob sich drinnen nicht die Fittiche des Christkindleins bewegten. Kam es doch unserer Meinung nach vom Himmel heruntergeschwebt auf goldenen Flügeln und hielt in der Hand den herrlichen Tannenbaum mit den brennenden Lichtern. Den trug es mitten ins Zimmer und breitete darunter die Gaben aus, für einen jeden gerade das, was er brauchte und sich gewünscht hatte, und immer noch hatte das liebe Christkind eine wundervolle Überraschung. Wir konnten schon lange lesen und schreiben, da verfaßten wir regelmäßig unsere Briefchen noch an das Christkind. Sie wurden des Abends vor's Fenster gelegt – morgens waren sie weg. Wir freuten uns da so herzlich! Das Christkind hatte die Briefchen geholt und unsere Wünsche gelesen. Viel fleißiger in der Schule, viel artiger zu Hause war man in der erwartungsvollen Weihnachtszeit, denn nur zu braven, guten Kindern kommt das Christkind. Ich weiß noch, wie leid es mir tat, als mir das Märchen vom Christkind einmal von einer Mitschülerin in grausamer Weise zerstört wurde. Die fühlte den Beruf in sich, mich aufzuklären. Ich wußte es ihr wenig Dank, ebensowenig wie jenen Leuten, die mir seitdem so manches liebe Märchen zerstört haben. Der Mensch ist nun einmal glücklich, wenn er an so ein schönes, liebes Wunderland glauben darf, das voll von goldenen Märchen ist. Die kindliche Phantasie malt sich dies alles so duftig und glänzend aus, und es ist doch, weiß Gott, ein harmloses Vergnügen! Deshalb, ihr Mütter, erhaltet den Kindern, euren Lieblingen, das Märchen vom Christkind, solange es nur irgend geht. Lasset den Kleinen ihr Wunderland, die Aufklärung kommt immer noch zu früh. Heute, in unserer nüchternen, prosaischen Zeit soll wenigstens dem Kinde ein Stückchen Poesie, ein bißchen Idealismus erhalten bleiben. Wenn wir nicht die lieben Märchen der Kinderjahre hätten, wie öde und nüchtern wäre dann die Jugend, und das soll sie doch nicht sein! Für viele ist die goldene, sonnige Jugend und die Erinnerung an der Kindheit Wunderland das, was ihnen das spätere Einerlei des Lebens verklärt und das Grau des Alltags erhellt. Besonders das Märchen vom Christkind hat diese tiefinnerliche Bedeutung, und darum soll es der Kinderwelt erhalten bleiben!

Charlotte Meyer-Krafft.


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