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In welchem Alter fängt das Kind an, den richtigen Begriff des Zurufes: »Sei sparsam!« zu verstehen? Das ist wohl individuell. Ein Kind ist früher reif als das andere. Im Durchschnitt läßt sich annehmen, daß ein Kind von 6 Jahren, d. h. daß ein Kind, sobald es in die Schule eingeführt wird, es versteht, wenn man ihm sagt: »Sei sparsam mit diesem oder jenem!« handele es sich nun um Schokolade, um bunte Wolle, um Schieferstifte oder sonst um irgendwelche Dinge, mit denen solch kleines Wesen eben schon selbständig umgeht. Der erste Grund zur Sparsamkeit sollte bei jedem Kinde schon bis zum 6. Lebensjahre gelegt worden sein. Ein Kind sollte bis zu diesem Alter an unbedingten Gehorsam und an Ordnungsliebe gewöhnt sein. Ordnungsliebe ist zweifellos der erste Grundstein zur Sparsamkeit. Daß das Kind durch Ordnung spart, ist ihm leicht zu beweisen. Nur ein Beispiel: Es will sich, kurz ehe es zur Schule geht, noch einen Bleistift einstecken. Es sucht und sucht – vergebens. Er ist verlegt, irgendwohin. Es findet sich keiner, wenigstens keiner, wie ihn die Schule vorschreibt. Was bleibt dem Kinde übrig? Es muß sich auf dem Schulwege einen neuen Bleistift kaufen – vorläufig, vielleicht noch von Vaters und Mutters Geld. Ähnliche Fälle passieren gewiß bei vielen Kindern. Damit nun das Kind den richtigen Begriff vom Ausgeben sowie vom Sparen des Geldes, ja vom Gelde überhaupt, erhält, muß man ihm ein regelmäßiges, kleines Taschengeld geben. Ich würde ihm im ersten Schuljahr jeden Sonntag 5 Pfg. geben und es gar keine Ausgaben davon bestreiten lassen. Das hat nach meinem Dafürhalten Zeit, bis es selbst seine Ausgaben aufschreiben kann, was es dann auch unbedingt tun muß. Im ersten Jahre also soll das Kind nur daran gewöhnt werden, regelmäßig einen Geldbetrag in seine Sparbüchse zu tun. Im 2. Schuljahr soll es lernen, sein Taschengeld einzuteilen. Was das Kind von dem Taschengeld zu bezahlen hat, hängt natürlich von der Höhe desselben ab, jedenfalls muß die Berechnung so gemacht werden, daß das Kind das, was es wöchentlich im ersten Jahre zurückgelegt hat, auch im 2. Jahre wöchentlich übrig hat und zurücklegen kann. Je mehr die Kinder heranwachsen, je größer kann das Taschengeld selbstredend werden – im allgemeinen würde ich Kindern aber kein zu reichliches Taschengeld geben. Das Kind muß lernen, den Pfennig zu schätzen, dann wird es später auch die Mark schätzen.
Plötzlich wird die Frage beim Kinde auftauchen, wenn sie nicht schon vorher von den Eltern beantwortet worden ist: »Warum spare ich denn eigentlich?« Den Kindern die richtige Antwort darauf zu geben ist nicht so leicht, wie es im ersten Augenblick erscheint. Nicht jedes Kind wird mit der Antwort, die die nächstliegende ist, zufrieden sein: »Wer in der Jugend spart, hat im Alter die Fülle!« Ein wilder, tüchtiger Junge wird vielleicht sagen: »Ach, da soll ich jetzt schon anfangen; ich kann doch später, wenn ich groß bin, ordentlich arbeiten und mir etwas verdienen!« Einem solchen Jungen würde ich antworten: »Du sollst dir dein Geld sparen, damit du, wenn du in der und der Klasse bist, eine kleine Reise machen kannst!« Hat er ein Ziel in absehbarer Zeit vor sich, so wird er gern sparen. Der Zweck ist somit erreicht. Er hat sparen gelernt während dieser Zeit. Hat der Junge die betreffende Klasse erreicht, so muß ihm auch unbedingt erlaubt werden, die Reise zu unternehmen, wenn er nicht von selbst darauf verzichtet und – zu einer größeren Reise weitersparen will.
Einem ganz kleinen Kinde, das nur wöchentlich regelmäßig seine 5 Pfg. und hin und wieder einen kleinen Zuschuß von den Eltern in die Sparbüchse tut, würde ich z. B. den Vorschlag machen: Es solle dies Geld bis Weihnachten sparen und es dann dazu benutzen, einem armen Kinde aus der Nachbarschaft am Weihnachtsabend ein geschmücktes Bäumchen und einige kleine Geschenke zu bescheren. »Sparen« soll nicht identisch werden mit »Geizen«. Man soll Kinder nicht Geld anhäufen lassen ohne Zweck. Solange sie noch zu jung sind, den eigentlichen Grund des Sparens zu begreifen, soll man sie hin und wieder etwas von ihrem ersparten Gelde, möglichst nach eigenem Wunsch und Willen, kaufen lassen. Ein Kind wird für sich etwas kaufen, ein anderes einem Armen etwas schenken, ein drittes wird den Eltern eine Blume kaufen, ein viertes wird seinem Hündchen eine Leberwurst mit nach Haus bringen, kurz, jedes Kind wird sein Geld seiner Eigenart entsprechend ausgeben. Dies zu beobachten und dann erzieherisch auf das betreffende Kind zu wirken ist sehr interessant und sehr ratsam. Ich gab einst meinen 3 Kindern im Alter von 10, 9 und 7 Jahren je 15 Pfg. zur Kirmesfeier. Sie gingen glückstrahlend zusammen fort und kamen ebenso beglückt zusammen wieder. Das zehnjährige Mädchen hatte die ganzen 15 Pfg. wieder mitgebracht, es hatte ihr nichts so gut gefallen, daß sie dafür hätte Geld ausgeben mögen. Der neunjährige Knabe hatte sich an der ersten Bude, bei der er vorüber gekommen war, für die ganzen 15 Pfg. Naschwerk gekauft und sofort verzehrt. Das siebenjährige Mädchen hatte 10 Pfg. für Karusselfahren und Kaspartheater ausgegeben und brachte 5 Pfg. zurück, die sie wieder in ihre Sparbüchse tat. Heute sind es große Kinder, und noch heute ist bei jedem etwas von der damaligen Art des Geldausgebens zu verspüren. Bei der Ältesten haben wir darauf hinwirken müssen, daß die Sparsamkeit nicht in Geiz ausartet, und bei dem Jungen hielt es sehr schwer, ihm den richtigen Grund des Sparens beizubringen. Die dritte hat von selbst die goldene Mittelstraße eingeschlagen, und diese ist jedenfalls wie in allen Lebenslagen, so auch, was die Sparsamkeit anbetrifft, die beste!
Sophie Wallach.