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Jedes Blümchen ist ein Spiegelein!
Sieh nur, Menschenkind, recht tief hinein!
Ist von Gottes reicher Flur,
Ein einz'ges kleines Wunder nur!
Für die Hände und für das Herz! Eine gute Mutter, die ihre Kinder beschäftigen will, ist nicht damit zufrieden, wenn sie nur eine augenblickliche, vielleicht auch rein mechanische Tätigkeit für sie gefunden hat, Kopf und Herz sollen mit dabei sein. Kinder sollen möglichst bei allem lernen, aber sie lernen am besten, das wird jede Mutter wissen, wenn sie warm für die Sache empfindet. Die Arbeit komme also nicht als strenge Lehrmeisterin. Sie komme freundlich zu den Kindern, wie eine Gespielin, die etwas Hübsches zu erzählen, etwas Anmutiges zu zeigen weiß. So wird sie sich schnell die kleinen Herzen gewinnen.
»Ja, aber dazu gehört viel Zeit,« wird manche Mutter sagen, »und die habe ich leider nicht! Wer soll sich denn so eingehend mit den Kindern beschäftigen?« Es ist auch nicht jede Frau in der günstigen Lage, eine Pflegerin oder häusliche Erzieherin für ihre Lieblinge halten zu können, so gern sie es vielleicht auch möchte.
Das ist wahr! Aber manche Familie nennt ein Stückchen Land ihr eigen – irgendwo in der Umgegend der Stadt. Da zieht die sparsame Hausfrau ihr Gemüse selbst und wohl auch Blumen, die dann, von den Kindern gepflückt, in bunten, duftigen Sträußen das Heim schmücken. Hier aber wohnt die wahre Lehrmeisterin für unsere Kinder – die Natur. Wer irgend ein Stückchen Land kaufen oder pachten kann, der soll es tun um seiner Kinder willen! Man weise jedem Kindchen ein Beetchen an, das es sich zurecht machen kann, wie es will; man lasse es säen und ernten. Jede Blume, die da ersteht, wird eine grenzenlose Freude für das Kinderherz sein. Jedes Pflänzchen aber bedarf der Pflege. Die kleinen Hände dürfen nicht ermüden in der Pflichttreue. Täglich neu müssen sie ihre Blümlein umsorgen, täglich neu aber sind auch die Wunder der Natur.
Landkinder kennen fast jede Blume, jeden Baum und Strauch mit Namen. Wenn ein Vogel hochfliegt, rufen sie: »Das ist eine Drossel, ein Fink, eine Lerche!« – je nach der Art.
Stadtkinder sind meist auf den Schulunterricht angewiesen. Da gibt es buntgemalte Tafeln mir steifen Bildern, allenfalls einige ausgestopfte Vögel. Das ist alles eine tote, armselige Lehre, und sie kann nie die bleibende Wirkung erzeugen wie die Natur, welche Stimmen hat, tausendfältig! Darum liebe Mutter, vergiß es nie, das schönste und lehrreichste Buch, welches der gute Herrgott selber dir und allen Menschen gegeben hat – es ist unsere treue, alte Erde! Öffne deinen Kindern dies Buch recht weit – so weit, ach, so weit du nur irgend kannst!
Hast du aber wirklich kein Stückchen Land, so gehe Winter und Sommer mit den Kindern hinaus ins Freie. Laß sie hören, wie die Vögel singen im Frühling, und laß sie auch einmal ein Weihnachten im Walde sehen, wenn die Bäume verschneit sind und von Eiszapfen glitzernd behangen.
Und dann – ein paar alte Zigarrenkisten hast du gewiß mal übrig und ein bißchen Gartenerde. Hiermit können sich die Kinder ein kleines Hausgärtchen anlegen. Zuerst mögen sie Mohn und Spitzsamen säen, das gibt ein gutes Vogelfutter für Hänschen, und irgend so ein grünes oder gelbes, gefiedertes Hänschen ist doch fast in jeder Familie. Sehr gut geht auch Kresse auf. Krokus ist außerordentlich dankbar, er blüht fast in allen Farben. Kinder sollen in ihrem Zimmergärtchen nach und nach möglichst alle Pflanzenarten kennen lernen. Den Samen kann man von jedem Gärtner oder auch einzeln beziehen. Alle Kinder, die ein solches Gärtchen besitzen, sind stolz und glücklich. Nimmt die Schule sie auch in Anspruch, sie finden doch stets noch Zeit, ihr kleines Feld zu bestellen. Nie wird man zur Arbeit mahnen müssen.
Jede Tat aber und jede Unterlassungssünde hat ihre Folge. Das ist der Grundsatz, den wir unsern Kindern zumeist fest einprägen sollen für ihr späteres Leben. Sie vergessen das so leicht in ihren kleinen, spielfröhlichen Herzen, und später rächt es sich oft so bitter. Denn, liebe Mutter, ich sage es auch dir: nur wer mit Fleiß säet, kann mit Freuden ernten!
E. Bauck.