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Über das Klavierspiel

´Klavier nennt man ein Instrument,
Das vielen zur Lust und zur Freude,
Doch mancher ehrlich auch bekennt:
Mir ward es zur Qual und zum Leide;
Mein Nachbar A. es täglich traktiert,
Mein Nachbar B. viel musiziert.
Mein Vis-a-vis, musikalisch Genie,
Präludiert, phantasiert, doch fragt nicht: wie?
Wär' ich Minister, ich brächte heuer
Gewiß noch das Klavier zur Steuer!

Diesen Stoßseufzer leistete ich mir einmal in den großen Sommerferien, da ich wieder zu Hause auf Besuch war, das heißt zu Hause, in dem lieben trauten Heim meiner sorgenfreien, glücklichen Jugend. Nichts verändert, nur das »Gegenüber« in der Nachbarschaft hatte gewechselt! Dort wohnte jetzt eine kinderreiche Familie, deren drei ältesten Sprößlinge sich beflissen, die Kunst des Pianospielens zu erlernen. Da war erstens die älteste, vierzehnjährige Tochter, Gustel mit Namen, ein liebes, nettes Kind, aber wie ihre Mama selbst seufzend gestand, für Musik untalentiert! Doch sollte Gustel so weit gebracht werden, daß sie sich ihre Lieder (sie hatte eine passable Stimme) auf dem Klavier selbst begleiten könne. Während der langen vier Wochen meines Aufenthaltes in O. übte sie an den beiden Liedern herum: »Wie die Blümlein leise zittern« und »Ännchen von Tharau«. Auf einmal stockte sie, griff falsch, spielte zögernd dann einige Takte weiter, um wieder falsch zu greifen – kurz, ein Gestümper, kaum zum Anhören; aber das war nicht einmal so, sondern jedesmal, mochte das Mädchen die Stücke auch zehnmal hintereinander versuchen.

Jeden Tag hatte ich das Vergnügen, eine volle Stunde lang diesen zweifelhaften Ohrenschmaus zu genießen, von früh 6 Uhr an. Von 7 bis 8 Uhr übte alsdann der kleine Sextaner in bekannter Jungenmanier. Der dritte aufgehende Stern am Himmel der Kunst war das neunjährige zweite Töchterchen unseres liebenswürdigen Herrn Nachbars.

Eine solide Grundlage durch gewissenhaften Unterricht, aber auch etwas Talent sind unbedingt erforderlich, um einige Fertigkeiten auf dem Klavier zu erlangen. Das ausdrucksvolle Spiel, die Seele im Vortrage, kann sich niemand anerziehen oder angewöhnen lassen, das ist künstlerische Begabung.

Mancher spielt z. B. außerordentlich gewandt, aber sein Spiel läßt den Zuhörer kalt. Das ist das Virtuosentum, das sich breit macht; aber die echten, rechten Künstler sind dünn gesät. »Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt!« Wie viele Menschen bearbeiten das Klavier und mühen sich daran ab; ich las neulich von einem Rekord- Klavierspiel, da spielte eine Dame 24 Stunden lang in einem Stück fort. Ihr Spiel bildete den Gegenstand einer Wette, sie spielte so lange, bis ihre Finger dick und die Arme steif wurden – ob das nun Kunst heißen soll?

Wie viele Menschen lernen Klavierspielen, nur um sagen zu können: »Ich spiele auch Klavier.« Jene sind Modefexen, und ihr Tun ist nicht zu billigen. Wer aber die Musik liebt, dem verzeihe ich auch, wenn er am Klavier sitzt und stümpert. Er tut es doch aus Liebe zur Sache, aus Begeisterung für die Kunst, und er hat auch Genuß davon! Es können ja nicht alle Virtuosen, nicht alle Künstler sein! Jene Eltern aber sind zu verurteilen, welche ihre Kinder durchaus zwingen wollen, Klavier zu spielen. Richtig ist ja, daß die Musik einen veredelnden Einfluß auf das Kindergemüt ausübt, richtig ist auch, daß man sich manche schöne Stunde schaffen kann, wenn man musikalisch ist, aber an manchem wird Zeit und Geld umsonst vergeudet. Er zieht keinen bleibenden Wert aus seinen musikalischen Studien. Nehmen wir z. B. viele unserer höheren Töchter an. Sie sind die Qual ihrer Musiklehrer, sie üben mangelhaft, zeigen Unlust, Neues zu erlernen, spielen möglichst taktlos und ungleichmäßig, allein schließlich hat der Lehrer sie doch so weit, daß sie einige fest eingepaukte Stücke zur Not vortragen können. Die lieben Eltern machen später Staat mit dem musikalisch gebildeten Töchterlein!

In Kaffeekränzchen und Abendunterhaltungen, nach vielem dringlichen Zureden, läßt sich das Fräulein herbei, die Ohren seiner Mitmenschen zu erfreuen oder – auch nicht. Ist man dann aber glücklich an den Mann gebracht, dann wird keine Note mehr gespielt, dann hat man es ja überhaupt nicht mehr so sehr nötig, in allen Fällen au fait zu sein. All der überflüssige Ballast, Französisch, Englisch, Musik usw., die Errungenschaften der teuer bezahlten Pensionsjahre, werden über Bord geworfen. – – Gottlob sind aber nicht alle Damen, wie die soeben geschilderten. Viele sind nicht so oberflächlich! Sie pflegen und hegen die Musik im trauten eigenen Heim. Vielleicht ist auch der Gemahl Musikfreund oder spielt gar selbst Klavier.

Dann lernt man den Genuß des Zusammenspielens schätzen! Aber wie schön ist es auch, wenn man ein wenig phantasieren kann – auf dem Klavier! Aus den Melodien, dem Rhythmus usw. spricht unser Erlebtes, unsere Stimmung, unser ganzes Wesen. Es sind wahre Freuden und ein reiner, hoher Genuß, wenn sich der musikalisch Gebildete auch an seinen eigenen Kompositionen erfreuen kann. – Gewiß hat es viel für sich, Kinder zum Musizieren anzuhalten, da sie im späteren Leben so mannigfache Anregung dadurch erhalten, aber es kann auch nicht oft genug betont werden, daß man niemand zum Erlernen eines Instrumentes zwingen soll.

Hat ein Kind absolut keine Lust, z. B. zum Klavierspielen, fehlen ihm auch das musikalische Gehör und der Sinn für musikalische Genüsse, dann veranlasse man es niemals dazu, etwas zu tun, wofür ihm die Befähigung abgeht. Es wäre nur eine unnütze Vergeudung von Zeit und Geld, die man besser sparen sollte.

Ch. Meyer.

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