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Daß ein kranker Organismus einer anderen Ernährungsweise bedarf als ein gesunder, liegt auf der Hand. Es ist nun vielfach Sache der Hausfrau, darauf hinzuarbeiten, daß der betreffende Leidende nur die ihm zuträglichen Speisen vorgesetzt erhält. Man darf ihn nicht in Versuchung führen, anderes zu genießen, als was ihm zuträglich ist. Gewissenhafte Ärzte geben sogleich die diätetischen Verhaltungsmaßregeln, z. B. wie folgende.
Bei Zuckerkrankheit sind alle zuckerhaltigen Speisen zu verbieten. Nur eine ganz streng und planmäßig durchgeführte Diät vermag den Diabetiker zu heilen. Sein Organismus hat zeitweilig die Fähigkeit verloren, Zucker zu verbrennen, deshalb sind auch die Kohlehydrate möglichst zu vermeiden. Viele Ärzte sind für eine ganz ausschließliche Fleischnahrung. Man soll damit endgültige Heilung erzielen. Auch der Genuß alkoholhaltiger Getränke ist einzuschränken.
Während bei Zuckerkrankheit nun die Fleischnahrung so ausgezeichnet ist, wäre sie bei Gicht und Rheumatismus, auch Nierenleiden schädlich. Bei Gicht und Rheumaleiden soll man nur drei Mahlzeiten täglich einnehmen, da durch zu häufige Nahrungsaufnahme sich die Harnsäurebildung vermehrt. Obst und Gemüse sind ihnen sehr zuträglich. Auch hier ist der Alkoholgenuß zu beschränken. Bei Nierenleiden soll überhaupt sehr wenig getrunken werden, da die aufgenommene Flüssigkeit von den kranken Nieren schwer verarbeitet wird.
Bei Unterleibsbeschwerden, Hämorrhoidalleiden müssen alle stopfenden Speisen vermieden werden. Alle jene Speisen und Getränke aber, welche die Darmtätigkeit anregen, sind täglich zu genießen. Bei Magen- und Darmkrankheiten ist vor allem die richtige Ernährung am Platze. Bei chronischen Erkrankungen halte man sich nur an Eier- und Milchnahrung. Diese ist überhaupt als die leichtverdaulichste bei allen akuten Erscheinungen ebenfalls vorzuziehen, und man lasse seinen Magen überhaupt ganz in Ruhe, gebe ihm eine Zeitlang gar nichts, wenn er vorher durch Überladung krank gemacht worden ist. An einem halben oder ganzen Tag Fasten stirbt kein Mensch, für den Magen ist dies aber oft die allerbeste Medizin.
Im Gegensatz zu diesen Maßregeln muß man aber dort verfahren, wo Bleichsucht, Blutarmut und Nervenschwäche zugrunde liegen. Dort muß der Körper durch vermehrte Nahrungszufuhr wieder in die Höhe kommen. Alle neurasthenischen Zustände werden auch durch diese sogenannte roborierende Diät behoben. Hier macht es sich der behandelnde Arzt zur Aufgabe, durch richtige und kräftige Ernährung den geschwächten Organismus zu stärken und auf neue Blutbildung hinzuwirken. Fische und Fleisch, Milch, Eier, Gemüse, Brot, Kartoffeln, alles darf tüchtig genossen werden. Auch ein Glas guten Weines und malzhaltigen Bieres schadet nicht. Aufregende Getränke, wie Kaffee und Tee, sind aber besser zu vermeiden. Wo der Körper bereits sehr heruntergekommen ist, bei Blutarmen und Nervösen, muß man zuerst nur Milch- und Eiernahrung geben, ehe man zu den festeren Speisen übergeht. Erst allmählich gewöhnt sich der Magen wieder an die kräftige Kost. Viel gesündigt wird bei Blutarmen und Nervösen durch die vegetarische Lebensweise. Wenn auch manche Heilerfolge zu verzeichnen sind, welche vielleicht auf besonders günstigen Umständen basieren, so wird doch niemals ein blutarmer und nervöser Mensch ohne Fleischnahrung zu Kräften kommen. Es ist bereits mehrmals betont worden, daß gerade durch Mastkuren Blutarme, Nervenschwache und sogar Schwindsüchtige geheilt worden sind. Solchen Kranken, welche an Fleischnahrung gewöhnt waren vor ihrer Erkrankung, ist niemals der Fleischgenuß zu entziehen, wie es überhaupt auch sehr verkehrt ist, einem Menschen, der zu seinen täglichen Genußmitteln Wein und Bier zählt, diese Getränke vollständig zu verbieten. Mit Maß genossen, werden diese nie schaden. Bei Fieber ist sogar der Alkohol ein ganz ausgezeichnetes Hilfsmittel. Beispielsweise läßt man bei Lungenentzündung und Typhus Kognak, starke Weine und Champagner trinken; dies wäre nach der früheren Behandlungsweise undenkbar gewesen. Während aber früher viel mehr Kranke an diesen Übeln zugrunde gingen, werden heute nur noch ganz schwere Fälle tödlich verlaufen. Fleischnahrung ist bei hohem Fieber jedoch ganz zu vermeiden, ebenso das Reichen von starker Bouillon; beides wirkt erhitzend.
Charlotte Meyer-Krafft.