Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
»Geben ist seliger denn nehmen!« Das ist ein schönes, beherzigenswertes Wort, welches ich den lieben Leserinnen ins Gewissen reden möchte. Viele Leute denken ja doch nur daran, daß sie an Weihnachten beschenkt werden. Das Schenken zwischen Verwandten und Freunden ist eine schöne Sitte, aber es beruht lediglich auf Gegenseitigkeit, kommt es auch zuweilen vor, daß einer »die Wurst nach dem Schinken wirft«. Nicht auf den Wert der Gabe kommt es an, sondern darauf, daß man damit erfreut, daß man mit Liebe gibt. Weihnachten ist die einzige Zeit im Jahre, wo mancher, der sonst mit seinen Verhältnissen zufrieden ist, sich wünscht, reicher zu sein, damit er mehr austeilen könnte. Wie viele Not, wie viel Elend gibt es doch zu lindern. Der Winter ist die harte Zeit für die armen Leute, wo es ihnen oft am allernötigsten gebricht. Da fehlt es an Holz und Kohlen, an Nahrung, an warmer Kleidung. Zwar gibt es Armenbescherungen von Gemeinden, von Frauenvereinen usw. Diese Veranstaltungen sind lobenswert und doch treffen sie nicht immer das Richtige. Verschämte Armut findet sich nicht zu diesen öffentlichen Schenkungsakten ein. Es liegt deshalb an den einzelnen, jene Armen ausfindig zu machen und ihre Not zu stillen. Welch erhebender Gedanke für jeden gutherzigen Menschen, wenn auch nur einen einzigen Bedürftigen am Weihnachtsfeste erfreut zu haben. Es wird jeder Frau ein Leichtes sein, schon bei ihren Hausarmen, welche allwöchentlich betteln kommen, Weihnachtsfreude zu bereiten. In Städten gibt der Geistliche oder der Armenarzt genau die Adressen an, wo eine Weihnachtsgabe am Platze ist. Dann aber nicht erst ängstlich fragen: »Ist auch der Betreffende würdig, daß ich ihn beschenke?« Sind wir selber denn immer würdig, daß uns der liebe Gott seine guten Gaben in den Schoß wirft? Alles Pharisäertum ist vom übel, und mich berührt es gerade dort am peinlichsten, wo es gilt, Gutes zu tun. Wer seine Wohltaten nur des Dankes willen ausübt, der handelt nicht im Sinne der christlichen Liebe. Ganz verwerflich aber ist die Sucht, sich durch seine Mildtätigkeit einen Namen machen zu wollen. »Lasse die linke Hand nicht wissen, was die rechte tut.« Im stillen suche man, so weit es die Verhältnisse erlauben, an Weihnachten Gutes zu tun. Es könnte ja sein, daß man auch einmal trübe Erfahrungen mit den beschenkten Leuten macht, z. B. daß sie unzufrieden sind, vielleicht auch, daß man anstatt des Dankes Undank erntet, aber das ist im Leben etwas so Gewöhnliches, daß es einem auf ein Mal weniger oder mehr gar nicht anzukommen braucht.
»Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.« Wer sich in Wohlstand und Glück befindet und ein offenes Herz und offene Hände für seine armen Mitmenschen hat, der erfüllt nur eine Dankespflicht gegen die gütige Vorsehung. Aber auch jene Menschen, welche nicht übermäßig mit irdischen Gütern gesegnet sind, haben doch immer so viel übrig, um am Weihnachtsfeste andere, welche noch weniger haben als sie, zu erfreuen. Darum habt offene Hände, ihr lieben Hausfrauen, und gedenkt am Heiligen Abend der schönen Worte des Erlösers: »Was ihr getan habt an dem geringsten meiner Brüder, das habt ihr mir getan.«
Charlotte Meyer-Krafft.