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Mitverdienen?

»Nein, es geht nicht mehr,« stöhnte die junge Frau des Gerichtsbeamten G., »ich muß mir einen Nebenerwerb suchen. Jetzt kommt der Frühling, und die neue Saison bringt neue Ausgaben mit sich. Ich will auch nicht hinter meine Bekannten zurückstehen, ich habe eine neue Frühjahrsjacke und einen Hut nötig, auch Nelly muß ein neues Kleidchen haben. Diese Sachen will ich mir mal selbst verdienen.« Der Gatte lächelte, er hielt nicht viel von dem Mitverdienen der Hausfrau, die darauf angewiesen war, ihre häuslichen Geschäfte mit Ausnahme der gröberen Putzarbeiten selbst zu verrichten, dazu für die dreijährige Nelly zu sorgen, sie zu beaufsichtigen, und er sagte deshalb: »Gib den Gedanken an den Nebenerwerb auf, liebe Elise, du hast genug zu besorgen, wenn du das Haus in Ordnung hältst, kochst und für das Kind sorgst; du verdienst genug, wenn du diese Arbeit allein machst.« Die Frau erwiderte nichts, dachte aber im stillen: »Ich versuche es doch.«

Denselben Tag noch ließ sie ihr Kind unter Aufsicht eines Nachbarmädchens zurück und eilte in ein Stickgeschäft, um sich dort eine Arbeit zu erbitten. Sie erhielt den Auftrag, eine weiße Leinendecke mit bunter Blumenranke zu besticken, alles Material wurde ihr beigegeben, und beglückt eilte Frau G. nach Hause. Ihrem Manne verschwieg sie diesen Gang; später, wenn sie die Arbeit vollendet, wollte sie ihm doch eine Überraschung bereiten. Sobald er am folgenden Morgen die Wohnung verlassen hatte, besorgte Frau Elise schnell ihre Hausarbeit, setzte das Gericht für den Mittagstisch auf den Herd und begann zu sticken. Sie war eine geschickte Arbeiterin, denn vor ihrer Verheiratung hatte sie sich fast ausschließlich mit solchen Sachen beschäftigt. Nun kam Klein-Nelly angetrippelt. »Spielst du nicht mit mir?« fragte sie, als sie die Mama so eifrig arbeiten sah. – »Mama hat keine Zeit,« entgegnete Frau G., »hole dein Püppchen und spiele hübsch artig allein.« Das gefiel der Kleinen nicht, und weinend ging sie in die Kinderstube. – Da hörte die Mutter plötzlich einen Fall, einen Schrei. Bestürzt sprang sie auf und nahm Nelly mit geschwollenem Gesicht vom Boden auf. Gelangweilt war die Kleine aufs Fensterbrett gestiegen und herabgestürzt. – Aus der Küche kam ein brenzliger Geruch, und als die eifrige Hausfrau diese betrat und den Topf aufdeckte, sah sie statt des Bratens nur noch eine schwarze Masse. Ganz aufgeregt ging sie zu ihrer Arbeit zurück und betrachtete ihr Werk. Nach ihrer Ausrechnung hatte sie im höchsten Falle fünfzig Pfennige verdient, doch wieviel Unannehmlichkeit war ihr schon geworden. Still hüllte sie die Decke wieder in das Papier und brachte sie in das Geschäft zurück, sich entschuldigend, daß sie dieselbe nicht fertig liefern könnte.

Das Mitverdienen der Hausfrau ist nicht überall angebracht, sicher da nicht, wo diese das ganze Hauswesen leitet und Kinder zu pflegen hat. Zwar ist in solchen Familien, wo des Mannes Kraft und Arbeit nicht ausreicht, das tägliche Brot zu beschaffen, der Miterwerb der Frau nötig. Dann stellt sie wohl die kleineren Kinder unter die Obhut der größeren und lehrt diese frühzeitig selbst die häuslichen Geschäfte besorgen. Aber jene Beamtenfrau, die gerne die neueste Mode mitmacht, um nicht zurückzustehen, und wozu des Mannes Gehalt nicht ausreicht, soll Sparsamkeit in Küche, Keller und Garderobe ausüben, doch jeden Gedanken an ein Mitverdienen aufgeben. In den meisten Fällen erwachsen daraus nur Unannehmlichkeiten und Unordnung im Haushalte.

M. Schifferings.

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