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Erprobt von einem vielgereisten Ehepaar.
O Wandern, o Wandern, du freie Burschenlust!
Da dringt Gottes Odem so tief in die Brust.
Die ältesten Beförderungsmittel sind von altersher und unbestritten unsere leibeigenen Untertanen und werden wohl nie als solche aus der Mode kommen. Genießt man doch die Natur nirgends reiner und unmittelbarer als während einer Fußwanderung über Berg und Tal, Wald und Wiese. Ein wunderbares Glücksgefühl weitet uns die Brust; und trägt uns das Rad in seinen verschiedensten Variationen auch meilenweit, nie kann's uns das Wandern ersetzen.
Es gibt aber manchen, der auszog, die Welt zu schauen, und des Abends hinkend, mit wunden, blasenbedeckten Füßen im Nachtquartier eintraf. Diesen vor allen sollen nachstehende Zeilen gewidmet sein.
Soll das Wandern ein Genuß sein, muß man sich zu einigen Vorbereitungen bequemen. – Morgen, lieber Leser, hast du dir eine tüchtige Tour vorgenommen. Den Plan dafür hast du sicher schon fertig und wohl überlegt. Nimm die Abendmahlzeit nicht zu üppig, trink nicht viel Alkohol und leg dich zeitig ins Bett. Bevor du dich aber zur Ruhe begibst, leg die Sachen parat, die du morgen zu brauchen gedenkst. Die Schuhe sind doch bequem, ausgetreten, fest und gut gefettet? Die wollenen Strümpfe dreh' auf die linke Seite, damit das Glatte an den Fuß kommt. Ich nehme an, du hast einen Anzug, der nicht zu dünn und nicht zu dick ist und Wetter und Staub vertragen kann, desgl. Mantel oder ein Plaid, und einen Hut, der den Stürmen des Daseins trotzt. Hast du dies alles, dann laß getrost den Regenschirm zu Hause und nimm statt dessen, besonders bei bergigem Terrain, den Bergstock in die Hand. Bist du, lieber Leser, aber eine Evastochter, so seien deiner Toilette noch ein paar Extraworte gewidmet. Sie bestehe aus fußfreiem Lodenrock und Bluse (frei am Hals), Reformhose und einem sehr bequemen, niedrigen Mieder, um tiefes Aus- und Einatmen zu ermöglichen. Im übrigen gilt alles übrige auch für dich.
Hast du einen kleinen Rucksack, Tornister oder weite Manteltaschen, versenke folgendes hinein: eine Feldflasche Rum, Kognak oder Rotwein (als Arzneimittel), 1 Fläschchen Lysol oder dergleichen, Watte, 1 Büchschen Vaseline oder Talg, 1 gleiches mit Speckstein, ferner Nähzeug, Schokolade, 1 Trinkbecher, 1 Fläschchen konzentrierten Zitronensaft (auch auf Hochtouren ein Erfrischungsmittel ersten Ranges), Taschentücher, Sicherheitsnadeln usw., ein Stück Zervelatwurst und morgen früh noch einige Semmeln dazu. Wickle aber alles fein säuberlich und jedes extra ein, damit im Rucksack kein Tohuwabohu entsteht. Ist alles dies besorgt, nimm, wenn möglich, noch ein Fußbad und reibe danach die Füße und Beine bis dahin, wo sie angewachsen sind, mit Rum oder Franzbranntwein ein. Vergiß auch nicht das Wecken zu bestellen, und dann schlaf süß und fest, bis dich am frühen Morgen eine grausame Hand durch hartes Klopfen an der Zimmertür deinen holdesten Träumen entreißt. Wünschst du da auch den Eigentümer jener Hand in weite Fernen, unterdrücke deinen Unwillen. Blinzle auch nicht erwartungsvoll zum Himmel, ob er dir durch einen ausgiebigen Landregen noch ein paar Stunden süßen Schlafes schenke, sondern spring mit einem Satz vom weichen Lager und fahre – noch nicht in die Strümpfe. Auf dein Nachttischchen hast du gestern abend etwas Talg oder Vaseline hingelegt, damit reibe deine Füße von allen Seiten und zwischen den Zehen tüchtig ein. Nun erst darfst du deine linksseitigen, wollenen Strümpfe anziehen und die Schuhe, in die du vorher reichlich Speckstein geschüttet hast. Dieses beides ist sehr wichtig. Mit also präparierten Füßen wirst du stundenlang laufen können, als wären dir Flügel an die Sohlen geheftet, und wirst mir dankerfüllten Herzens eine Ansichtskarte schreiben. Überhaupt leg ich dir Talg und Speckstein warm ans Herz, doch nicht figürlich. Sollten sich im Laufe des Tages doch noch Schmerzen an den Füßen einstellen, so wiederhole obiges Verfahren.
Du hast nun deine Toilette vervollständigt und stehst zum Abmarsch bereit vor mir. Hast auch den Krimstecher auf der Brust hängen. – Erlaube, daß ich dir noch einige Ermahnungen mit auf den Weg gebe. Willst du Zeit sparen und dein Magen gestattet's, dann trink deinen Morgenkaffee erst nach etwa einer Stunde Wanderns. Doch ist dies nicht für jeden bekömmlich. Ferner schreite gut aus, verschränke zeitweise die Hände auf dem Rücken und atme tief die reine Morgenluft ein. Führt der Weg bergan, so verlangsame den Schritt, denn der Berg darf nicht merken, daß er genommen wird. Kommst du an einen Aussichtspunkt und rastest, lege stets eine warme Hülle um die Schultern; willst du kalte Getränke zu dir nehmen, tue vorher einen Zug aus deiner Feldflasche. Wasser verbessere mit einigen Tropfen Zitronensaft. Meide überhaupt möglichst Alkohol und erfrische dich statt dessen durch eine Tasse Kaffee. Durch dieses alles schützt du dich vor Erkrankung. Um Überanstrengung zu vermeiden, gehe nicht mehr als 8–9 Wegstunden und suche den Ort, in dem du dein Nachtquartier aufzuschlagen gedenkst, vor Anbruch der Nacht zu erreichen.
Und nun behüt dich Gott, lieber Leser, schreite rüstig in den jungen Morgen und stimme Scheffels Wanderlied an:
Wohlauf, die Luft geht frisch und rein,
Wer lange sitzt, muß rosten;
Den allersonnigsten Sonnenschein
Läßt uns der Himmel kosten.
Jetzt reicht mir Stab und Ordenskleid
Der fahrenden Scholaren,
Ich will zu guter Sommerzeit
Ins Land der Franken fahren!
Valleri, vallera, valleri, vallera.
Ins Land der Franken fahren!
F. Melchior.