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Vom Mai bis zum Herbst blüht überall, auch auf dem dürrsten Sandboden, das Stiefmütterchen. Die böse Stiefmutter, das größte Kronenblatt, sitzt auf zwei Stühlchen, den beiden unter ihr stehenden Kelchblättchen; jede ihrer eigenen ihr zunächst stehenden Töchter hat einen eigenen Stuhl, während die beiden Stieftöchter sich mit einem gemeinsamen Sitz behelfen müssen. Wie beim Veilchen ragen zwei Honig absondernde Anhängsel der beiden untersten Staubblätter in den vom untersten Kronenblatt ausgehenden Sporn. Die Blütenfarbe wechselt beim Stiefmütterchen sehr; bald ist sie einfarbig weißlich, gelblich oder blau, bald weiß und gelb oder aus allen drei Farben gemischt. Auf den drei untersten Kronenblättern sieht man nicht selten eine Anzahl dunkler Linien, die sich von dem hellen Grundton der Blüte scharf abheben; sie weisen den Insekten den Weg zum Honig und werden das Saftmal genannt. Wenn die Biene, diesem Wegweiser folgend, den Saugrüssel durch den engen Schlund zwischen den Kronenblättern zwängt, so streift sie die kugelige, schief abgestutzte Narbe und belegt sie mit fremdem Pollen, falls sie vorher schon eine andere Blüte derselben Art besuchte. Während des Saugens bepudert sie den Rüssel aufs neue mit Pollen, der, aus den Antheren geschüttet, schon innerhalb des Eingangs aufgehäuft liegt. Dieser Staub gelangt jedoch beim Zurückziehen des Saugorgans nicht auf die Narbe derselben Blüte, da deren Öffnung nur beim Eindringen gestreift werden kann. Selbstbestäubung ist also beim Stiefmütterchen unmöglich. Nicht selten wird es jedoch durch Honigräuber, besonders durch Hummeln, seines Nektars vermittelst Anbeißens des Spornes von außen beraubt und muß dann auf den Besuch ehrlicher Bestäubungsvermittler verzichten.
Die Tags über mit der Schaufläche nach der Seite gerichtete Blüte nimmt nachts durch Überbiegen des Stengels eine nickende Schlafstellung ein, in der die Blumenblätter erdwärts blicken. Die Frucht bildet wie beim Veilchen eine einfächerige, in drei Klappen aufspringende Kapsel, welche 20 bis 30 Samen enthält. Diese werden durch Zusammenpressen der beiden Hälften einer Klappe herausgequetscht und eine Strecke fortgeschleudert. Sie haben wie die Veilchensamen eine große Nabelschwiele, deren weiches Fleisch von den Ameisen gern gefressen wird. Diese Tierchen transportieren deshalb die Samen in ihre Nester, wo sie keimen, und tragen so zur Verbreitung der Art bei. Bewundernswürdig ist die große Veränderlichkeit des Stiefmütterchens; man hat ein Dutzend und mehr Arten daraus gemacht, die aber alle durch Übergänge miteinander verbunden sind. Allen gemeinsam ist der verzweigte Stengel, die Ausbildung der sonst kleinen, hinfälligen Nebenblätter beiderseits des Blattstielgrundes zu großen, grünen Blattflächen und die kugelige Form der Narbe. Diese Fähigkeit zu variieren hat das Stiefmütterchen zu einem dankbaren Objekt für die Züchtungsversuche der Gärtner gemacht: die zahllosen Arten von Pensées, welche unsere Gartenbeete schmücken, sollen durch Kultur aus dem Feld-Stiefmütterchen entstanden sein, und zwar im Laufe unseres Jahrhunderts. Für gewöhnlich eine ein- oder höchstens zweijährige Pflanze, kann Viola tricolor ausdauernd werden, wenn an ungünstigem Standort ihre Blüten oder Früchte durch Frost geschädigt werden; sie versucht dann, im nächsten Jahre zur Blüte zu kommen.
Veilchengewächse, Violaceen. Kl. V. , selten . Mai – Herbst. H. 0,10 – 0,20 m.