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siehe Bildunterschrift

Gemeines Knabenkraut, Orchis Mório L.

Gegen die Blütenpracht, welche die ausländischen Orchideen oder Knabenkräuter vor dem erstaunten Auge des Reisenden entfalten, und von der wir uns nach den Zöglingen unserer Gewächshäuser eine Vorstellung machen können, verblassen die einheimischen Arten vollständig. Und doch gehören sie teilweise zu den schönsten, sicherlich aber zu den interessantesten Pflanzen unserer Flora. Auf Wiesen, Weiden und trockenen Abhängen blüht in den Frühlingsmonaten das gemeine Knabenkraut in großer Menge. Der Wurzelstock besteht aus einer rundlichen Knolle, aus deren Spitze der wenigblättrige Blütenstengel entspringt; an seiner Ursprungsstelle entsendet die Knolle fast wagerecht wenige dicke Wurzeln in die Erde. Während der Stamm wächst und den Inhalt der alten Knolle allmählich verzehrt, bildet sich neben ihr als Vorratskammer für die nächstjährige Pflanze eine neue fleischige Knolle. Aus den schmalen, scheibenförmig ineinander steckenden Blättern erhebt sich der Blütenschaft, der in lockerer Ähre 6 – 8 purpurne, bisweilen auch hell- oder rosenrote, schwach wohlriechende Blumen trägt. Jede dieser Blumen ist von wunderbar zusammengesetztem Bau. Der gedrehte Stiel, der sie zu tragen scheint, ist der Fruchtknoten. Auf ihm sitzen zunächst an der nach oben gerichteten Blütenhälfte die drei äußeren Blütenhüllblätter, stumpfe, helmartig sich zusammenneigende Zipfel. Unter diesem Helm stehen zwei weit kleinere Kronenblätter, während das dritte, groß, dreizipfelig und in der Mitte etwas heller mit dunkleren Flecken, als »Lippe« herabhängt. Nach hinten vertieft sich die Lippe zu einem stumpfen, hohlen Sporn, der fast die Länge des Fruchtknotens hat. Über dem Eingang zu diesem Sporn sitzt die einzige Anthere der Blüte, an der Rückseite fest mit einem Säulchen verwachsen, das unter dem von den äußeren Blütenblättern nebst den kleinen Kronenblättern gebildeten Helm steht. In den beiden halb geöffneten Fächern der Anthere sitzt der Pollen, nicht staubförmig, wie wir ihn bisher zu sehen gewohnt waren, sondern in zwei Klumpen zusammenhaftend. Jede dieser Pollenmassen sitzt auf einem zarten Stielchen, dessen Ende sich zu einem platten Scheibchen, der Klebscheibe, verbreitert. Diese verdickten Enden reichen in ein unter dem Staubbeutel sitzendes Näpfchen, das sog. Schnäbelchen, und tauchen hier in ein Tröpfchen klebriger Flüssigkeit. Das Näpfchen läßt sich durch einen leichten Druck nach unten zurückschlagen, so daß die beiden mit Klebmasse benetzten Scheiben hervortreten, kehrt aber, losgelassen, sofort in seine alte Stellung zurück. Unterhalb des Näpfchens liegt, am Hinteren Eingang des Sporns, die scheibenförmig ausgebreitete Narbe, und zwar an der Stelle, an welcher die Blüte dem Fruchtknoten aufsitzt. – Diese ganze wunderbare Einrichtung hat keinen andern Zweck als den, die Selbstbestäubung zu verhindern und die Befruchtung mit fremdem Pollen herbeizuführen. Wie dies geschieht, wollen wir bei der Betrachtung des breitblättrigen Knabenkrauts (Tafel XIX) sehen.

Knabenkrautgewächse, Orchidaceen, Kl. XX. Ausdauernde Pflanze April, Mai. H. 0,08 – 0,50 m.

 


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