Ludwig Bechstein
Deutsches Sagenbuch
Ludwig Bechstein

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597. Der Wolfram

Im hohen Chor des Domes zu Erfurt steht, gegen den Hochaltar gekehrt, ein ehern Bildnis, eine Mannesgestalt von der Größe eines Knaben, das wird der Wolfram genannt; es hält in jeder Hand einen Kirchenleuchter und soll, wie die Mesner sagen, aus Heidenzeiten herrühren; doch dem ist nicht also. Ein junger Patrizier des Namens Wolfram beging ein großes fleischliches Vergehen; solches zu sühnen, verurteilte ihn der Papst zu harter und langer Kirchenbuße, daß er ein ganzes Jahr lang täglich, in der Hand einen Leuchter mit zwei brennenden Kerzen, vor dem Altar stehen sollte, und zwar so lange, als der Dienst der Messe daure. Dies tat nun auch Wolfram, aber er fiel darob ganz von Kräften und vermochte sich kaum aufrecht zu erhalten. Da ward heftig für ihn gebeten, bis ihm die Strafe erlassen wurde, doch stiftete er noch zur Sühne und zum Gedächtnis seiner Reue und Buße das metallene Bild und trat darauf in einen strengen Orden, darin er bald hernach Todes verblichen ist.

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