Ludwig Bechstein
Deutsches Sagenbuch
Ludwig Bechstein

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359. Der Hirsch Sankt Huberti

Demselben frommen Kurfürsten, Joachim dem Andern, ist es begegnet, daß er im Jahr 1570 in der Köpenicker Heide bei Berlin jagte und eines stattlichen Hirsches ansichtig ward, den er alsbald verfolgte. Und im Dahinjagen ward er eingedenk eines Gesichtes seines Vaters, Joachim des Ersten, den man ob seiner Weisheit und Milde und würdigen Alters Nestor nannte, welches dieser auf derselben Heide gehabt. Ein großer starker Keiler war plötzlich auf ihn losgestürzt, als er ganz allein und seinem Gefolge voraus war. Der Kurfürst war ein mutiger Jäger und nahm das wilde Tier an und stieß ihm den Sauspieß mitten in den Rachen hinein, aber siehe, da fuhr eine Feuerflamme aus dem Halse des Tieres, und plötzlich brannte der hölzerne Stiel der Saufeder lichterloh in der Hand des Fürsten, der Keiler aber wandte sich, und als das Gefolge herbeikam, fanden sie ihren Herrn bestürzt und mit verbrannter Jagdwaffe in der Hand. Das hatte Kurfürst Joachim seinem Sohne öfters erzählt, und anderthalb Jahre darauf war er gestorben. An diese Erscheinung dachte jetzt der Sohn Joachim Nestors, da stand mit einem Male der Hirsch und kehrte sich gegen ihn, und siehe, zwischen dem Geweih erblickte der Fürst gerade wie einst der Schutzpatron aller Jäger und Weidwerksgenossen ein leuchtendes Kruzifix. Da tat er, was der Jäger Hubertus auch getan, er stieg vom Pferde, kniete nieder und betete; der Hirsch aber verschwand. Den Kurfürsten mahnte diese Erscheinung an baldiges Scheiden, und im darauffolgenden Jahre ist er selig verstorben. Den Hirsch hat keiner wiedergesehen.

In der Köpenicker Heide hört man zum öftern zur Nachtzeit Jagdgetöse und schallenden Lärm von Hörnern und Hunden, Peitschenknall und Jägerrufe, besonders in und über dem Müggelberge, doch weiß niemand, wer dort jagt.

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