Ludwig Bechstein
Deutsches Sagenbuch
Ludwig Bechstein

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siehe Bildunterschrift

Hinzelmann

275. Hinzelmann

Im Lüneburger Lande auf dem Schlosse Hudemühlen über der Aller begann man im Jahre 1584 zuerst einen Poltergeist zu spüren, der seine Anwesenheit durch allerlei Pochen und Lärmen kundgab; dabei aber ließ er es nicht lange bewenden, sondern er begann zu reden und zu sprechen, erst mit dem Gesinde, dann auch mit dem Schloßherrn, endlich auch mit fremden Gästen, was im Anfang allen gar graulich vorkam, unverhofft eine Stimme bei sich im Zimmer oder in der Küche vernehmlich reden zu hören und doch keinen Redenden zu erblicken. Da aber diese Stimme gar mild und fein war wie die eines Kindes, da der Spukgeist niemand beleidigte, vielmehr oft lachte, Kurzweil trieb, auch sang, so wurden die Schloßgenossen allmählich an ihn gewöhnt, so daß sie sich nicht mehr fürchteten und grauten, ja an ihn die Frage wagten, wer und woher er sei, wie er heiße, was er gerade auf Hudemühlen zu schaffen habe. Darauf erwiderte er, daß er vom böhmischen Gebirge komme, dort sei seine Gesellschaft, die wolle ihn nicht leiden, deshalb sei er ausgewandert, bis sich seine Sachen in der Heimat besserten. Er heiße Hinzelmann, auch Lüring, und habe eine Frau, die heiße Hille Bingels, von der er jetzt getrennt lebe. Einst werde er sich auch sichtbar zeigen, jetzt schicke es ihm noch nicht, und er sei ein so guter und ehrlicher Hausgeist als irgendeiner und viel besser als viele schlimme.

Das war nun dem Schloßherrn und dem Gesinde auf Hudemühlen verwunderlich anzuhören und ganz grauerlich, mit so einem wunderseltsamen Gesellen zusammenzuleben, der nicht daran dachte, seinen Abzug bald zu nehmen, und da dachte der Schloßherr, du willst ihm aus dem Wege gehen und nach Hannover ziehen. Ließ derohalb den Reisewagen zurichten und fuhr nach Hannover zu. Auf der stillen, öden, menschenleeren Strecke zwischen Essen und Brockhof sahen Kutscher und Diener fort und fort eine kleine weiße Flaumfeder neben dem Wagen herfliegen und wußten gar nicht, wie das zugehe, daß diese Feder fort und fort den Wagen begleitete. Als nun der Schloßherr eine Nacht in Hannover zugebracht hatte, war seine goldne Halskette fort, und er machte deshalb Lärm und beschuldigte die Leute im Hause der Entwendung, der Wirt aber nahm sich seiner Leute an und verlangte Beweis oder Genugtuung. Tief verstimmt darüber saß der Schloßherr auf seinem Zimmer, da fragte es neben ihm: Warum bist du traurig? Wohl wegen der Kette, so dir fehlt? – Wie? Du bist hier, Hinzelmann? Mir gefolgt? Und warum? Wo ist die Kette? – Sahst du nicht die weiße Feder, die neben deinem Wagen flog? fragte der Geist. Das war ich, und ich folgte dir zu deinem Besten! Die Kette hast du gestern abend selbst unter dein Hauptkissen verborgen. – Und siehe, es befand sich also. Dem Schloßherrn war zwar lieb, daß die Kette wieder da war, aber daß Hinzelmann da war, das war ihm nicht im mindesten lieb, und zürnte mit dem Geist und beschloß, wieder auf Schloß Hudemühlen zurückzureisen, da er dem Kobold nicht entgehen konnte und dieser an seine Person sich fesseln zu wollen schien. Auf dem Schlosse Hudemühlen nun verwaltete Hinzelmann den Küchendienst in musterhafter Weise; er spülte auf, kehrte scheuerte, putzte, mahnte Knechte und Mägde zum Fleiße an, teilte wohl auch nötigenfalles Scheller aus, pflegte auch der Rosse, wusch, kämmte, striegelte sie, daß sie zunahmen und glatt und glänzend aussahen wie die Aale. Hoch im Oberstock des Hauses Hudemühlen hatte sich Hinzelmann ein Kämmerchen zur Wohnung ausersehen, darin hatte er einen kleinen runden Tisch, einen Sessel, dessen Sitz das zierlichste Strohgeflecht war, das man nur sehen konnte, und welches er selbst kunstreich verfertigt, und eine kleine zubereitete Bettstatt, die aber nie verrammelt war, nur ein Grübchen, wie etwa eine Katze macht, wenn sie sich auf ein Bette legt, fand sich jeden Morgen darin. Auf das Tischchen kam eine Schüssel süße Milch mit Semmelbröckchen, das leckte und schleckte der Hinzelmann so rein aus wie ein Kätzlein sein Schüsselchen. Bisweilen speiste der Geist aber auch mit an Tafel, wo ein Gedeck für ihn bereitgehalten ward. Hinzelmann war gern fröhlich mit den Fröhlichen, sang Reimverschen und Scherzlieder, doch nie eins, das unehrsam gewesen wäre, neckte gern, doch ohne Tücke, und hatte wohl seine Freude daran, wenn das Gesinde aneinander geriet, hetzte auch wohl ein wenig zu und ließ die Schläge, die es dann gegenseitig setzte, bis zu roten Striemen und blauen Flecken gedeihen, aber nicht weiter, daß Gesundheit und Leben nicht litten. Wenn die Gäste einander in die Haare gerieten und vom Leder ziehen wollten, konnten sie die Degen nicht aus den Scheiden bringen, oder es fand sich kein tödliches Gewehr, weil der Hinzelmann alles versteckt hatte. Einen Edelmann, der sich vermaß, den Hinzelmann mit Hülfe einiger Bewaffneten auszutreiben, foppte der Geist weidlich und schreckte ihn dann in Gestalt einer großen Schlange. Einen andern verhöhnte er und sagte ihm, was derselbe noch nicht zu wissen schien, daß er ein großer Narr sei. Als aber gar ein Teufelsbanner kam, der ihn mit Formeln wegplappern wollte, so riß ihm der Geist das Beschwörungsbuch in hundert Fetzen, warf diese im ganzen Zimmer herum und kratzte den Banner blutrünstig, gleich als sei er eine böse Katze. Der Geist hielt sich auch zum christlichen Glaubensbekenntnis, wenn er schon bei dessen Hersagung mit leiser und heiserer Stimme über manches hinwegglitt; er sang auch geistliche Lieder mit solchen, denen er wohl gewogen war, und diese mit seiner klarer Stimme, genug, es war ein sehr wunderlicher Geist. Einem Freund des Hauses, der vorbeiredete und dies ins Schloß melden ließ, der aber die Einladung Hinzelmanns wegen abschlug, weil er nicht mit einem Teufelsgespenst am Tische sitzen wollte, drohte Hinzelmann mit Rache, machte ihm die Pferde beim Weiterfahren scheu, brachte ihn in Angst und Schreck und warf Wagen und Gepäck und den Reisenden zwischen Hudemühlen und Eickelohr in den Sand.

Dem weiblichen Geschlecht war Hinzelmann sehr gewogen und sehr freundlich und umgänglich mit demselben. Besonders erfreuten sich die Schloßfräulein Anna und Katharine seiner Gunst; er unterhielt sich gern mit ihnen, begleitete sie, wenn sie über Land fuhren, als Flaumfeder, ja er schlief zu ihren Füßen auf ihrem Deckbette. Es war aber diese Neigung des Geistes für die beiden Jungfrauen von äußerst lästiger Art, denn er verscheuchte ihnen alle Freier, und es ist dahin gekommen, daß sie beide ledig geblieben und ein hohes Alter erreicht haben. Hinzelmann warnte manchen vor Unglück und Schaden, so einen tapfern Obersten, der zum Besuche nach Hudemühlen kam und ein guter Schütze und großer Jagdfreund war. Derselbe rüstete sich zu einer Jagd, als Hinzelmann sich vernehmen ließ: Thomas, siehe dich im Schießen vor, sonst trifft dich ein Unglück. Der Oberst achtete der Warnung weiter nicht, aber bei der ersten Jagd zersprang ihm beim Abdrücken auf ein Wild die Büchse und schlug ihm den Daumen weg. Ein anderer mutiger Kriegsmann kam auch zum Besuch, das war ein Herr von Falkenberg, der ließ sich viel mit Hinzelmann in Gespräche ein, neckte ihn und führte allerhand Spottreden gegen ihn, die den Geist verdrossen. Endlich sagte Hinzelmann: Falkenberg, Falkenberg, jetzt verspottest du mich! Komm nur in ein Treffen, da wird dir das Spotten wohl vergehen! – Dem Herrn von Falkenberg waren diese Worte sehr bedenklich, er schwieg und ließ den Geist in Ruhe. Bald darauf zog Falkenberg im Dienste eines deutschen Fürsten mit zu Felde, da riß ihm im ersten Treffen eine Falkonettkugel das Kinn hinweg, und nach drei Tagen starb er an dieser Wunde unter den größten Schmerzen. – Einen übermütigen und hoffärtigen Schreiber äffte und tückte Hinzelmann vielfältig, störte ihn in seiner Liebschaft und quälte ihn des Nachts. – Eine Magd, die den Hinzelmann gescholten hatte, sperrte er eine ganze Nacht lang in den Keller hinter Schloß und Riegel, wo sie sich fast zu Tode fürchtete.

Da der Schloßherr wiederholt in Hinzelmann drang, sich ihm doch einmal zu zeigen oder sich mindestens anfühlen zu lassen, gab auf langes Drängen und Bitten Hinzelmann endlich nach und sagte: Siehe, da ist meine Hand. Da fühlte der Schloßherr hin, und es war ihm, als fühle er die Finger einer kleinen Kinderhand, aber kalt, und blitzschnell zog der Geist sie zurück. Als nun der Herr auch bat, ihm sein Antlitz befühlen zu dürfen, und Hinzelmann es zugab, so tastete der Herr an einen kleinen kalten Schädel, der ihm fleischlos zu sein schien, ehe er aber deutlich fühlen konnte, war der Schädel zurückgezogen. – So hatte auch die Köchin die leibliche Ruhe nicht mehr, sie wollte den Hinzelmann durchaus einmal sehen, er sagte ihr aber immer, es sei noch nicht an der Zeit, sie würde ihren Vorwitz bitterlich bereuen, aber sie hielt an, wie das kananäische Weib, bis ihr endlich Hinzelmann sagte, sie möge andern Tages vor Sonnenaufgang hinab in den Keller kommen, aber in jeder Hand einen Eimer Wasser mit hinunterbringen. Das deuchte ihr ein seltsam Verlangen, aber ihre stachelnde Neugier überwog jedes Bedenken, sie ging in den Keller und brachte das Wasser mit. Erst sah sie gar nichts, endlich aber fielen ihre Augen auf eine Mulde in der Ecke, und darin lag ein etwa dreijähriges nacktes totes Kind, dem steckten kreuzweis übereinander zwei Messer im Herzen, und der ganze kleine Leib war mit Blut überlaufen. Über diesen Anblick entsetzte sich die Magd so sehr, daß sie laut aufschrie und dann ohnmächtig niederstürzte. Da nahm der Geist die Wassereimer und goß ihr deren Inhalt über den Kopf, einen nach dem andern, da kam sie wieder zu sich, sah die Mulde und das Kind nicht mehr und hörte nur Hinzelmanns Stimme: Siehst du? Ohne das Wasser wärst du hier im Keller gestorben und nicht wieder zu dir gekommen! – So ungern und so wenig Hinzelmann sich Erwachsenen zeigte, und dann meist schrecklich, so gern gesellte er sich sichtbarlich als ein schönes Kind unter Kinder, spielte mit ihnen, hatte gelbes Lockenhaar bis über die Schultern hängen und ein rotes Sammetröcklein an. Wenn aber Erwachsene seiner gewahr wurden, schwand er sogleich aus dem Kinderkreise hinweg. Als der Geist vier Jahre lang auf Hudemühlen zugebracht, schied er freiwillig und verehrte noch vor dem Scheiden dem Schoßherrn dreierlei Andenken, das war ein kleines Kreuz, von Seide geflochten, fingerslang, inwendig hohl und gab geschüttelt einen Klang von sich, dann ein sehr kunstvoll geflochtener Strohhut und endlich ein lederner Handschuh mit Perlenstickerei in wunderbaren Figuren. Solange diese Stücke in guter Verwahrung beisammenblieben, solle des Hauses Geschlecht blühen und wachsen, würden sie aber mißachtet und verzettelt, so würde das Gegenteil stattfinden. Diese Stücke sind hernach im Besitz der beiden alten Fräulein Anna und Katharine geblieben und von ihnen bis zu ihrem Tode gar hehr gehalten und nur selten gezeigt worden, dann fielen sie an ihren Bruder, der sie überlebte, zurück, kamen auf dessen einzige Tochter, die sich vermählte, und sind dann wahrscheinlich verstreut worden. Hinzelmann schied im Jahre 1588 von Hudemühlen und soll hernach zu Estrup, auch im Lande Lüneburg, seinen Aufenthalt genommen haben.

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