Ludwig Bechstein
Deutsches Sagenbuch
Ludwig Bechstein

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430. Bergentrückung

In Tilleda dicht am Fuße des Kyffhäusers, wo eine der alten Kaiserpfalzen der güldnen Aue stand, lebte ein armes braves Brautpaar, das wollte Hochzeit machen, es mangelte ihm aber an Küchengeschirr, da es doch einige Gäste geladen hatte, und der Vater des Mädchens sprach, halb im Scherz: Geht doch auf den Kyffhäuser hinauf und borgt euch von der Prinzessin, was ihr braucht. Das Pärchen ging hinauf, und droben wartete schon die Prinzessin, die zeigte ihnen lange viele schöne Sachen und gab ihnen Hausrat, so viel sie wollten, und sie trugen ganz schwer daran, als sie wieder herunter nach Tilleda schritten. Doch seltsam kam ihnen alles vor. Der Weg war noch der alte, aber wo des Brautvaters Hütte gestanden hatte, da lag jetzt ein großer Ackerhof. Sie sahen auch lauter fremde Gesichter, veränderte Tracht und verwunderten sich darüber, wie sich die Menschen über sie verwunderten. Da sie gar niemand kannten, so suchten sie den Pastor auf, der war ihnen aber auch fremd, doch fragte er freundlich: Wer seid ihr denn, ihr guten alten Leute? Wo kommt ihr denn her? – Ei, vom Kyffhäuser kommen wir, antworteten die jungen Liebenden, und dünkte ihnen wunderseltsam, daß der Pfarrer sie alte Leute nenne. Sind vor zwei Stunden hinaufgegangen. Und sagten ihre Namen. Der Pfarrer schüttelte den Kopf und schlug im Kirchenbuche nach, und siehe, da fand er ihre Namen; sie waren zweihundert Jahre in den Berg entrückt gewesen. Da ließen diese Uralten sich einsegnen, setzten sich auf den Kirchhof, auf die Gräber, und weinten, denn auf Erden hatten sie keine Stätte. Und da fielen ihre Leiber in Asche.

Ähnliches trug sich zu mit Peter Klaus, dem Ziegenhirten von Sittendorf, der folgte einer Ziege nach, die von der Herde weg ins Gemäurig sich verkrochen; endlich fand er sie, Hafer fressend, der durch ein Loch in das Gewölbe fiel, und über sich hörte er Pferdegestampfe. Hernach hat er sich weiter umgesehen und ist zu Rittern gekommen, die Kegel spielten, und hat aufsetzen müssen, und hat aus einer Kanne voll Wein, die niemals leer wurde, trinken dürfen, bis ihm der Schlaf kam. Als er wieder aufgewacht war, da hat er draußen in der Ruine gelegen, unter hohem Gras, und unter Bäumen, die er vorher nicht gesehen. Klaus pfiff seinen Hund, es kam kein Hund; er sah sich nach den Ziegen um, und da waren keine Ziegen mehr da. Verdrüßlich ging er in sein Dorf herab; am Hirtenhaus, das fast verfallen war, lag ein magerer Hund, der knurrte ihn garstig an, und ein Junge schrie: Heda! Was will der alte Lump? – Er fragte einige Leute, sie sahen ihn von der Seite an, ganz neugierig, gaben aber keinen Bescheid. Wo wohnt Kurt Steffen? fragte er endlich. – Ho Alter! rief ein Mütterchen, der wohnt schon seit zwölf Jahren nicht mehr hier, der ist nach Oldisleben unter der Sachsenburg gezogen! – Der Velten Steier? – O je! schrie eine andere, der liegt schon fünfzehn Jahre auf dem Kirchhof. – Jetzt ward Klaus eines jungen Weibes ansichtig, die trug auf dem Arme ein Kind und führte an der Hand ein vierjährig Mädchen, und alle drei Gesichter glichen Klausens Frau. Da fragte Klaus diese: Wie heißt Ihr und Euer Vater? – Marie! antwortete die junge Frau, und mein Vater hieß Klaus, Gott habe ihn selig! Er ist vor zwanzig Jahren auf den Kyffhäuser gegangen; Hund und Herde kamen ohne ihn ins Dorf, er kam nimmer wieder, und wir fanden ihn nicht, ob wir Tag und Nacht nach ihm suchten. – Ach Gott! seufzte Peter Klaus, meine Tochter, meine liebe Marie! Ich bin es ja. Kennst du deinen Vater nicht mehr? So hätte ich zwanzig Jahre droben mit Kaiser Friedrichen verträumt? Und dünket mich doch nur ein paar Stunden!

Einem andern Hirten, der Schweine am Kyffhäuser hütete, verlief sich auch ein Stück seiner Herde, wie jenem die Ziege. Erst nach drei Tagen fand er es wieder und sah es aus einer Kluft in der Burg sich herauszwängen, was schwer hielt, denn es war in der Zeit eine rechte Fetzensau geworden, vorher war sie mager, und jetzt war sie so feist, daß sie schwabbte. Sie war im Berge gewesen und in kurzer Zeit dick und fett geworden. Als das Gerede davon unter die Leute kam, wollte der Graf von Schwarzburg gern wissen, ob daran etwas Wahres, und ließ einen auf den Tod Gefangenen in das Bergloch einkriechen, der sollte schauen, was es drunten gebe, und tat es denn auf Gefahr seines Lebens. Der ist nun hineingekommen auf dem Sauwege und hat den Kaiser gesehen, und der hat ihn sehr ernst angeblickt, ihm einen goldnen Ring gegeben und gesagt: Bringe diesen Ring dem Grafen. Er solle nicht wieder dahin schicken und blicken lassen, allwo er nichts zu schaffen und zu suchen hat. – Der Bote brachte Ring und Gruß dem Grafen, der erste war schöner wie der zweite, und durfte frei von hinnen gehn.

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