Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Aachen und das Jülicher Land

Das ehemalige Kurfürstentum Köln zog sich auf dem linken Rheinufer als ein schmaler Streif von Andernach bis Ürdingen; gleich hinter ihm dehnte sich in doppelter und dreifacher Breite das Herzogtum Jülich, ja es stieß zwischen Oberwinter und dem erst spät an Köln gefallenen Andernach unmittelbar an den Rhein, wohingegen des Erzstifts Besitzungen auf dem rechten Ufer lagen. Die Hauptflüsse dieses fruchtbaren Landstrichs – denn es ist das gelobte Land des Ackerbaus – sind die Erft (Arnapa) und die Rur (Roer) deren wir schon in der Eifel gedachten. Ersterer Fluß, an der Schwelle der Eifel entsprungen, verbindet sich unweit ihrer Mündung bei Neuß, die Gilbach, die einen so ergiebigen Boden bewässert, daß man am ganzen Niederrhein sprichwörtlich den Kindern verheißt, wenn sie sich gut aufführten, sollten sie auch mit an die Gilbach gehen. Neuß, das noch kölnisch war, erwarb sich im burgundischen Krieg einen welthistorischen Namen durch seine heldenmütige Verteidigung gegen Karl den Kühnen, den reichsten und mächtigsten Fürsten seiner Zeit, der es in einem Jahr 56mal vergebens bestürmte. In dem ungleichen Kampf mit der kleinen Stadt zersplitterte die beste Kraft seines furchtbaren Heeres, und der Ruhm der Neußer ist größer als der der Schweizer Eidgenossen, die seiner drohenden Übermacht in den Schlachten bei Granson, Mutten und Nancy den Todesstoß versetzten. So glorreich löschte Neuß den Schimpf aus, den der im Jahre 1290 daselbst verbrannte Pseudokaiser, ein Betrüger, der sich für den verstorbenen Friedrich II. ausgegeben hatte, durch den im Andenken gebliebenen Vers des Grafen von Holland,

Non es magnificus quondam Caesar Fridericus,
Non es Monarcha, sed Nussiae Patriarcha

über seine gutmütige Leichtgläubigkeit verhängt hatte.

Höher im Flußgebiet der Erft liegt das schlachtenberühmte Zülpich, wohin die Sage – wohl nicht ohne Grund, doch ohne Mitwissen der Geschichte – den Sieg der salischen Franken über die Alemannen, und somit jenen des Christentums, verlegt, da der Frankenkönig Chlodwig sich im Drang dieser Schlacht zum Glauben der Christen bekannte.

In der Krypta der St.-Peters-Kirche, wo Chlodwig die Taufe empfangen haben soll, zeigt man die goldgeschmückten Tafeln, die Napoleon der Stadt schenkte, mit den vom Institut von Frankreich verfaßten Inschriften; die eine mit den Worten »Zülpich, glorreich durch Chlodowigs Sieg, Glück der Franken, Wiege des Reichs« sollte am Haupttor der Stadt angeheftet werden.

Noch einmal unter den Merowingern wurden Zülpichs Ebenen mit Blut getränkt; ja schon früher, in Römerzeiten, wurde sein Name mit blutiger Schrift in das Buch der Geschichte eingetragen. In dem Befreiungskrieg des Civilis saßen Chauken und Friesen in Zülpich zechend und schmausend, als plötzlich die Feinde Brandfackeln schwangen, das Feuer rasch emporloderte und die Trunkenen bei gesperrten Türen in Qualm und Glut erstickten.

Von Zülpich aus besuche man die schönen Schloßtrümmer von Niedeggen, das wir schon als Gefängnis des Kölner Erzbischofs Engelbert II. kennenlernten; in unserer Landesgeschichte kommen sie noch oft in gleicher Eigenschaft vor.

Gleich ihm an der Rur liegt Düren, den Römern als Marcodurum bekannt. Wenn es auch die Grabstätte des Tacitus nicht war, so scheint doch Vipsanius Agrippa hier eine Arx gegründet zu haben, die in fränkischer Zeit zur Königsburg diente, in der sogar Reichsversammlungen gehalten wurden. Seinen Rang als Reichsstadt verlor es durch wiederholte Verpfändungen an die Grafen von Jülich; jetzt aber hebt es sich durch seine Gewerbetätigkeit aus tiefem Verfall zu rascher Blüte.

Bei Düren liegt das Stammschloß des berühmten belgischen, ursprünglich kölnischen Geschlechts von Merode (vame Rode, d. i. von dem Rode). Man muß im »Simplizissimus«, dem ersten deutschen Prosaroman, nachlesen, wie im Dreißigjährigen Krieg ein Parteigänger dieses Namens seine zuchtlosen, angeblich ermüdeten (maroden) Rotten den Heeren nachschleppte, um als Nachzügler (Marodeurs) über Dörfer und Gehöfte plündernd herzufallen, unermeßliche Beute häufend und verzettelnd; und wie dadurch die eingeklammerten Worte den Ursprung nahmen.

Du Land der Uferfranken, du hügelreiche Flur,
Wie schön an Deutschlands Schranken durchströmet dich die Ruhr –
Du hegest auch die Elle und ihrer Wiesen Bunt,
Bei Düren ihre Quelle, bei Jülich ihren Mund.

Mit diesen Worten leitet Hermann Müller sein Gedicht vom »Bürgelwald« ein, das eine schöne, hier heimische Sage von Karl dem Großen und seinem frommen Sänger Arnold, dessen Namen noch in Arnoldsweiler fortlebt, getreu nach der von den Bolandisten erhaltenen sehr alten Legende erzählt. Der Sänger hatte sich von dem Kaiser zum Lohn seiner Lieder erbeten:

»Laß mich nach alter Sitte erwerben einen Wald:
Was reitend ich befange in deines Mahles Ruh,
Das teile meinem Sange zu ew'gem Lohne zu.«

Gern gewährte der Kaiser die Bitte, die ihm bescheiden schien; doch jener hatte sich einer List bedient:

                                    . . . es stand in weitem Raum
Mit Rossen schon am Morgen umstellt des Waldes Saum.
Man mocht' ihn kaum umschreiten vom Tage bis zur Nacht;
Er wollt' ihn ganz umreiten, noch eh' das Mahl vollbracht.
Drum hielt je ein Genosse ein Roß von Rast zu Rast,
Vom Rosse schwang zum Rosse der Sänger sich in Hast.

Arnold hatte den Ritt vollbracht, als der Kaiser noch bei Tisch saß und meinte, jener habe sich wohl mit einem gar zu kleinen Glück begnügt. Als er aber seine List gestand:

»Ich hab' umjagt im Fluge des ganzen Waldes Bann:
Wo Buchen ich und Eichen dem Wege nahe fand,
Beschrieb mit Schwertesstreichen ich ihres Stammes Rand«,

mußte ihm der Kaiser wohl den Wald verleihen; doch verriet sein Schweigen Arnolds prüfendem Blick, daß seines Sängers Habsucht des Königs Gemüt verwundet und betrübt habe. Doch von diesem Vorwurf wußte er sich zu reinigen:

»Ob ich des Waldes Meister durch deine Gnade bin,
Ich haue keinen Heister zu eigenem Gewinn.
Das arme Volk entbehret zum Brande Holz und Torf,
So weit der Wald sich kehret von Zier bis Angelsdorf,
Ich kann dir zwanzig zeigen der Dörfer rings umher:
Das Holz sei nun ihr Eigen, so darben sie nicht mehr.
Ich wagte zu erbitten für sie der Lieder Preis,
Für sie hab' ich umritten des weiten Waldes Kreis.«

Die Mündung der Elle führt uns nach Jülich, dessen hohes Alter der gemeine Spruch »Es ist so alt wie Jülich« bekundet. Sein Bezug auf Julius Cäsar oder seine Tochter Julie ist zwar nur Fabel, doch kommt es bei einem Schriftsteller des dritten Jahrhunderts als Juliacum vor. Gerhard, der erste geschichtliche Graf von Jülich, erscheint erst unter Heinrich dem Vogler; Wilhelm VI. war es, welcher den Erzbischof Engelbert zu Niedeggen gefangenhielt; sein Sohn Wilhelm VII. gab ihn frei, wurde aber selbst mit seinen Söhnen von einem Schmied zu Aachen erschlagen. Erst Wilhelm I. wurde in den Markgrafen-, dann in den Herzogsstand erhoben. Als mit Reinold das Geschlecht ausstarb, fiel Jülich an Adolf von Berg, der nun beide Herzogtümer vereinigte. Sein Nachfolger Gerhard II. wurde mit Geldern belehnt, dessen sich aber Arnold, Graf von Egmond, bemächtigte, der selbst auf Jülich Anspruch machte. Er brach den Frieden, der ihm Geldern abgetreten hatte, und fiel mit seinem Bruder Wilhelm abermals verheerend ins Jülichische. Bei dem Städtchen Linnich kam es am St.-Hubertus-Tag zu der glorreichen Schlacht, wo Peter Trump, ein Schneider von Linnich, und Graf Paland den tapferen Jülichern das Feld behielten und der berühmte St.-Hubertus-Orden den Ursprung nahm, der mit Bezug auf den Patron der Jäger auch der »Orden vom Horn« hieß und jetzt der erste Orden des Königreichs Bayern ist, seit ihn Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz erneuert hatte, als nach dem Aussterben der Herzöge von Kleve, Jülich und Berg die beiden letzten Länder an die Pfalz, Kleve und Mark aber an Brandenburg gefallen waren. Die Sage erzählt, Paland sei, weil er das Feld behalten hatte, zum Grafen von Hatsfeld erhoben, Peter Trump aber sogar in das Wappen der Stadt Linnich aufgenommen worden, nämlich als Maultrommel, die in der Mundart des Landes Trump heißt. Schon früher war Linnich durch die in der Geschichte des Jülicher Landes denkwürdige Schlacht von Barsweiler berühmt geworden.

siehe Bildunterschrift

Niedeggen

Wir gelangen endlich nach Aachen, das wohl schon die Römer gekannt haben, obgleich es keiner ihrer Schriftsteller nennt; man schließt darauf aus seinem erst im achten Jahrhundert erscheinenden Namen Aquisgrani. Granus war ein Beiname des Apollo, den die Römer bei Thermalquellen verehrten. Einer der Türme des Rathauses, der sehr tief in die Erde geht und im Volksmund Granusturm heißt, mag auf der Grundlage eines Apollotempels ruhen. Münzen, Inschriften, Bäder und eine Wasserleitung beweisen den Aufenthalt der Römer in dieser Gegend. Sein deutscher Name beweist nichts gegen seinen römischen Ursprung, da das deutsche »Ahha« (Wasser) mit dem lateinischen »Aqua« urverwandt ist. Ohne Zweifel verdankt es seinen Heilquellen Namen und Ursprung. Unter den Merowingern ist das Dasein des Aachener Palastes nicht erwiesen, doch schon König Pippin bewohnte ihn, und von der Kapelle dieses Palastes, wo er in den Jahren 765/66 das Weihnachts- und Osterfest beging, erhielt Aachen den französischen Namen Aix-la-Chapelle. Das Aachener Reich, wie noch heute das Gebiet der Stadt genannt wird, war wohl das zum Palast gehörige königliche Eigentum. Karl der Große ließ Palast und Kapelle von Grund auf neu erbauen. »Er hatte«, wie Eginhart meldet, »Vorliebe für Aachen, vorzüglich der warmen Quellen wegen, denn er ergötzte sich an den Dämpfen der von Natur warmen Gewässer, indem er seinen Körper durch häufiges Schwimmen übte, worin er so geschickt gewesen ist, daß ihm hierin mit Recht keiner vorgezogen werden mag; deshalb baute er zu Aachen seinen Königssitz und wohnte allda in den letzten Jahren seines Lebens bis an seinen Tod.« Nach den trierischen »Gesta« ließ er zur Verzierung dieses Palastes viele Prachtwerke von Marmor und Mosaik, die nach der fünfmaligen Zerstörung Triers dort noch übrig waren, nach Aachen bringen, das unter ihm schon zum Flecken erwachsen war. Erst 796 begann er den Bau der neuen Hofkapelle, des jetzigen Münsters. Eginhart meldet: »Karl baute zu Aachen ein Münster von gar großer Schönheit und schmückte es mit Gold und Silber und mit Fenstern, auch mit Gittern und Türen von gediegenem Erz. Zu dem Bau desselben ließ er die Säulen und Marmorsteine aus Rom und Ravenna herbeischaffen, da sie anderswoher nicht zu haben waren.« Eginhart selbst, der damals noch ein Jüngling war, wird den Bau nicht geleitet haben. Papst Leo III. weihte das Münster im Beisein vieler Fürsten und Bischöfe ein. Palast, Münster und Königsbad bildeten ein Ganzes, das eine gemeinschaftliche Mauer umgab. Der Hauptteil des Palastes nahm die Stelle des jetzigen Marktes und des Rathauses ein. Palast und Hofkapelle (Münster) waren durch einen Säulengang verbunden. Dieser sank kurz vor des Kaisers Tod – wahrscheinlich durch ein Erdbeben, das aber als ein Vorzeichen seines nahenden Endes gedeutet wurde – zusammen; auch der Palast wankte, das Münster traf ein Blitzstrahl, der den Reichsapfel, die Zierde des Dachs, weit hinwegschleuderte. Zugleich erloschen in der mit Mennige geschriebenen Inschrift, die im Inneren der Kirche zwischen den oberen und unteren Bogen rings umherlief und den Namen ihres Gründers (Carolus Princeps) verkündete, die Buchstaben, die das letzte Wort bildeten. Als das vorbedeutete Ende wirklich erfolgte, wurde Karl in seiner Kirche beigesetzt und über seiner Gruft ein vergoldeter Bogen mit seinem Bildnis und folgender Inschrift errichtet: »In diesem Grabe ruht der Leichnam Karls des Großen und rechtgläubigen Kaisers, erlauchten Mehrers des fränkischen Reichs, das er siebenundvierzig Jahre lang glücklich regiert. Er starb, ein Siebenziger, im Jahre« usw.

Der Aachner Palast und das geräumige Kaiserbad, in dem über hundert Menschen zugleich umherschwammen, sind verschwunden; nur die Münsterkirche ist uns erhalten geblieben. Was aber an dem heutigen Münster schon zu Karls Zeiten vorhanden war, ist eine Rotunde, eigentlich ein Achteck, mit einem Umgang von zwei Geschossen, mit dem es nach außen ein Sechzehneck bildet. Das Achteck selbst hat acht Bogenöffnungen in jedem Geschoß und über ihnen acht Fenster, welche die Kuppel erhellen. Die oberen Bogen sind von bedeutender Höhe, und in jeder Bogenöffnung standen zwei Säulen, die zwei kleine Bogen stützten, über denen ein horizontales Gesims wieder zwei Säulen trug, die sich an den Hauptbogen anschlossen. Diese Säulen aus grauem Granit, zum Teil auch aus Marmor, brachen die Franzosen aus und führten sie nach Paris.

Die Umgänge um die Kuppel bestehen in acht viereckigen und ebenso vielen dreieckigen Räumen, die durch Kreuzgewölbe gedeckt und durch Bogen ineinander geöffnet sind, so daß ein gleichförmiger Gang rund um das Mittelgebäude führt. Oben heißt dieser Gang das Hochmünster und besteht aus hohen, durch dreieckige Räume verbundene Bogenlogen. Mitten in dem Achteck bezeichnet jetzt ein Stein mit der Inschrift »Carolo Magno« das Grab Karls des Großen. Die Normannen hatten es so zerstört, daß es ganz unkenntlich geworden war; wohl aber nur das Äußere, denn als Kaiser Otto III. es im Jahre 1000 öffnete, fand er es wohl erhalten. Karl saß, mit den Reichsinsignien bekleidet, im kaiserlichen Ornat, auf einem Marmorstuhl; auf seinen Knien lag das Evangelienbuch, ein Stück des Heiligen Kreuzes war auf seinem Haupt, um seine Hüfte hing die Pilgertasche. Nach der Sage hielt er das Szepter in den Händen, die mit Handschuhen bekleidet waren; die Nägel der Finger hatten das Leder durchbohrt und waren herausgewachsen. Otto legte ihm ein weißes Gewand an, beschnitt die Nägel und ließ alles Mangelhafte ausbessern. Von den Gliedern war nichts verfault, nur von der Nasenspitze fehlte etwas; Otto ließ sie aus Gold wiederherstellen. Zuletzt nahm er aus Karls Mund einen Zahn, ließ das Gewölbe wieder zumauern und ging von dannen. Nachts darauf soll ihm im Traum Karl erschienen sein und verkündet haben, daß Otto nicht alt werden und keinen Erben hinterlassen würde.

siehe Bildunterschrift

Aachen

Kaiser Friedrich I. ließ im Jahre 1165 das Grab Karls, den der Gegenpapst Paschalis heiliggesprochen hatte, abermals öffnen, um seine Gebeine zu erheben. Zum Andenken an diese Feier wurde eine große, zierlich gearbeitete Krone über dem Grab aufgehängt. Kaiser Friedrich II. ließ Karls Gebeine in einen Sargkasten aus Gold und Silber legen.

Jener Marmorstuhl diente seitdem bei Kaiserkrönungen, indem der Neugekrönte auf ihm die Begrüßungen der Fürsten empfing. Die aus dem Grab genommenen Reichsinsignien, die Aachen aufzubewahren das Recht hatte, befinden sich jetzt in Wien.

Der von Karls Bau herrührenden Rotunde schließt sich gegen Westen der Glockenturm, gegen Osten der Chor an. Ob jener ursprünglich an der Kirche war, läßt sich nicht bestimmen; der Chor wurde erst im vierzehnten Jahrhundert durch den Bürgermeister von Schellaert angebaut, der davon den Beinamen Chorus empfing. Er bildet ein längliches Viereck mit einer Chorhaube von neun Säulenweiten in einem Geschoß. Um den Chor mit der Kuppel zu verbinden, wurden an dieser drei Seiten des Sechzehnecks durchbrochen; die mittleren ganz und die zu beiden Seiten halb. Die Verbindung war dem Baumeister gut gelungen; später wurde die schöne Durchsicht durch die hier angebrachte Orgel wieder verbaut. In der Mitte des Chors hing ein Muttergottesbild über dem Grabmal Kaiser Ottos III., den jener furchtbaren Weissagung zufolge der Tod in blühender Jugend hinweggerafft hatte. Der Altar des Chors war mit Goldblech belegt, und über dem Tabernakel deckte der gleiche Stoff, doch in getriebener Arbeit, den Kasten, der Karls des Großen Gebeine nebst denen eines Märtyrers bewahrte. Der Chor ist im gotischen Stil erbaut, während die Rotunde, wie sich von selbst versteht, dem byzantinischen angehört. Kapellen und Altäre waren in großer Zahl sowohl an den Umgängen der Rotunde, und zwar in beiden Geschossen, als auch an dem Chor angebracht. Nicht alle Kapellen stehen in unmittelbarer Verbindung mit dem Inneren der Kirche.

Der Glockenturm bildet ein Viereck, dessen Raum einer der acht Bogenöffnungen gleich ist. Nebenan sind zwei runde Treppentürme, die zu der sogenannten Heiligtumskammer führen. Von der den Turm umgebenden Galerie werden alle sieben Jahre den Gläubigen die großen Heiligtümer gezeigt.

Von außen ist das alte Münster, d. h. die Rotunde, fast nirgends zu sehen. Eine Menge kleiner Häuser und Buden, die sich allmählich angesiedelt haben, verstecken das prächtige Gebäude. Merkwürdig ist aber der Haupteingang, die sogenannte Wolfstür. Sie ist wie die übrigen aus Bronze, mit Löwenköpfen zu Handgriffen versehen. Sie rühren alle von Karl dem Großen her und sind jene »valvae primae«, deren bei Mainz gedacht wurde. Die Wolfstür zeichnet sich nur dadurch aus, daß neben ihr auf Säulen von Quadersteinen rechts eine aus Messing gegossene Wölfin mit aufgesperrtem Rachen, links ein Pinienapfel aus gleichem Stoff steht. Beide haben früher zu einem Springbrunnen gedient. Aus der Öffnung in der Brust der Wölfin floß das Wasser, und wenn diese abgesperrt wurde, drang es unter den Blättern des Pinienapfels hervor. Die Volkssage, die sich an diese Gegenstände knüpfte, ist aus »Langbein« bekannt genug. Da man beide Stücke für römisch hielt, so mußten sie die Reise nach Paris mitmachen, wobei die Wölfin ein Bein einbüßte.

In dieser Kirche sind fast alle deutschen Könige bis auf Ferdinand I. gekrönt worden. Ludwig der Fromme setzte sich hier selbst die Krone auf, alle sächsischen Kaiser, alle fränkischen bis auf Heinrich V., alle Hohenstaufen ließen sich in Aachen krönen. Noch die goldene Bulle bestimmte Aachen zum Krönungsort; dennoch unterblieb es seit dem sechzehnten Jahrhundert, da die Krönung zur Ersparung der Kosten gleich mit der Wahl verbunden wurde. Gleichwohl sollte es Aachen nicht zum Präjudiz gereichen, darüber ließ es sich von Kaiser und Kurfürsten Reverse ausstellen. Auch wurden ihm einige tausend Gulden bezahlt, als Vergütung für das Pferd, von dem der einreitende Kaiser gleich am Tor absteigen mußte und das dann dem Torschreiber gehörte; für das andere Pferd, auf dem er bis zum Münster ritt und das dann dem Propst dieser Kirche verfiel; für den freien Griff, welcher der Stadt in die Krönungsmünzen erlaubt war, bevor sie ausgeworfen wurden, usw.

siehe Bildunterschrift

Der Marktplatz zu Aachen

Doch nicht nur die deutschen Kaiser, auch die Könige von Frankreich, welche Karl den Großen als den Gründer ihrer Monarchie betrachteten, beweisen seinem Münster eine besondere Zuneigung. Seit Ludwig XI. sprach sich diese durch eine Jahresrente von 4000 Livre aus, die sich das Kapitel bei der jedesmaligen Krönung eines französischen Königs bestätigen ließ. – Doch waren damit für das Stift auch Lasten verbunden. Nach der Krönung jedes Königs von Frankreich wurde das Leichentuch des vorletzten Königs nach Aachen gesendet, um über Karls Grab gelegt zu werden. Die Feierlichkeiten, die das Stift zur Entgegennahme dieses Leichentuchs zu machen verpflichtet war, die Vigilien, Exequien, das Trauergerüst, mit dem französischen Wappen bekleidet, die Totenbahre, mit dem gedachten Leichentuch behangen, mit Krone, Zepter und Schwert belegt, die Genien mit gesenkten Fackeln an den vier Ecken, der hoch im Chorgewölbe schwebende Baldachin mit dem reich verzierten Namen des Verstorbenen, die 500 weißen Wachskerzen um das Trauergerüst, der 30 Fuß hohe schwarze Behang um Altar, Chorstühle und Chormauern, endlich am folgenden Tag das Dankfest für die glücklich vollzogene Krönung des Nachfolgers, mit einem musikalischen Amt und Tedeum, worauf der Dechant ein herrliches Gastmahl gab: all dies verursachte dem Stift Kosten, die den Wert des Leichentuchs weit überstiegen.

Dem geräumigen und doch immer von geschäftigem Volk wimmelnden Marktplatz von Aachen dient nebst einigen altertümlich mit hängenden Erkern versehenen Häusern das mächtige gotische Rathaus zur Zierde und würde es noch mehr, wenn die Bildnisse der in Aachen gekrönten Kaiser seine Fronten noch schmückten. Von den beiden stattlichen Türmen, die es rechts und links einschließen und sein Dach hoch überragen, haben wir den Granusturm schon genannt; der andere heißt Markt- oder Glockenturm, weil er die städtische und die sogenannte Pfortenglocke trägt, die morgens bei Aufschließung, abends vor Sperrung der Tore geläutet wurde. Ein Springbrunnen, dessen weit hergeleitetes Wasser nacheinander in mehrere Bassins fällt, trägt zuletzt auf einer Säule die bronzene Statue Karls des Großen, den man aber eher für seinen Vater Pippin den Kurzen hielte. In der Nähe des Rathauses ist noch die Kaiserquelle bemerkenswert, weil sie dem Ort den Ursprung gegeben und weil sie das riesige Kaiserbad bewässert hat. Sie strömt mit großer Mächtigkeit aus tiefen Felsenspalten und übertrifft alle Quellen Europas an Schwefelgehalt; der Dampf ihres Wassers setzt jährlich an die 20 Pfund Schwefelblumen ab.

Aachen ist geräumiger und lichter gebaut als Köln; wenn aber dort das Altertümliche stärker hervortritt, so hier der niederländisch-belgische Charakter, der sich auch schon in Sprache und Kleidung des Volkes kundgibt. Mit Kölns Reichtum an alten, herrlichen Kirchen und sehenswerten städtischen Gebäuden kann es nicht wetteifern; wir erwähnen nur noch das Grashaus, die karolingische Kurie für »die große Landsprache«, wo in der ältesten Zeit an Reichstagen die Reichsgerichte gehalten wurden und hernach die Pfalzgrafen an der Stelle der Kaiser öffentlich Recht sprachen. Der Anfang des bekannten kirchlichen Hymnus auf Karl den Großen, der auch das städtische Siegel umgibt, lautet:

Urbs Aquensis, urbs regalis,
Sedes regni principalis,
Prima regum curia.

Er ist auf den Quadern des älteren karolingischen Baus, jetzt kaum noch lesbar, eingemeißelt, welche Inschrift aus König Richards Zeiten herrührt.

Ferner erwähnen wir den Ponellenturm in der Stadtmauer, von dem Agricola und Schottel schreiben, daß »sich darin der Teufel mit viel Wundergeschrei, Glockenklingen und anderem Unfug öfter sehen und hören läßt, und ist die Sage, er sei hinein verbannt, und da muß er bleiben bis an den Jüngsten Tag. Darum, wenn man zu Aachen von unmöglichen Dingen redet, so sagt man: Ja, es wird geschehen, wenn der Teufel von Aachen kommt, das ist nimmermehr.«

Jenes Grashaus ist für Aachen um so wichtiger, als es nach dem Verschwinden der kaiserlichen Pfalz allein noch die Erinnerung an die Pfalzgrafen festhält, die bekanntlich zuerst in Aachen auftraten und sich dann allmählich den Rhein hinaufzogen. Hermann und sein Sohn Ezzo, die ältesten urkundlichen Pfalzgrafen, werden gewöhnlich aachnische oder niederlothringische Pfalzgrafen genannt. Erzbischof Bruno von Köln, des ersten Otto Bruder, hatte das lothringische Reich in die Herzogtümer Ober- und Niederlothringen geteilt und dieses unter eigener Aufsicht gehabt, während jenem ein Herzog vorstand. Nach Brunos Tod setzte Otto den salischen Grafen Hermann als Pfalzgrafen über Niederlothringen, zu dem auch Aachen gehörte, und verknüpfte so die ripuarische Provinz mit der kaiserlichen Pfalz zu Aachen. Hermanns Nachfolger in der pfalzgräflichen Würde war sein Sohn Ehrenfried (Ezzo), welcher Mathilde, die Schwester Kaiser Ottos III., im Schachspiel gewann.

»Drei Spiele laß uns spielen, seit Monden spiel ich sie
Und spielte schon mit vielen und traf den Meister nie.
Kannst du mich dreimal schlagen, gewinnen Spiel um Spiel,
Will ich dir nichts versagen, und wär es noch soviel.
Das liebste Pfand erdenke, wonach das Herz dir ringt,
Wie gern ich dir es schenke, wenn mich dein Spiel bezwingt!«
Da schlug das Herz dem Grafen: er wüßt' ein liebes Pfand,
Gar selten ließ ihn schlafen, daß es so hoch ihm stand.
Herrn Otto saß zu Essen sein Schwesterlein Mathild,
Die könnt er nicht vergessen noch sie des Jünglings Bild.
Erwerben nimmter mocht' er, als ein geringer Graf,
Die edle Königstochter, das scheucht' ihm so den Schlaf.
Zwar darf er jetzt nicht trauern, denn Hoffnung ist genug;
Der König schiebt zwei Bauern voran im ersten Zug.
Doch nimmt vielleicht die Stunde sein Glück, sein Leben hin;
Da zog er aus dem Grunde hervor die Königin.
Er hätte gern geblutet für sie im Schlachtensturm;
Da raubt' er unvermutet dem König seinen Turm.
Für sie dem kühnsten Raufer sich in den Weg gestellt;
Da nahm er auch den Laufer und rückt' ihm scharf ins Feld.
Für sie im tiefsten Zwinger erlitten Ungemach;
Da schlug er gar den Springer und bot ihm Schach auf Schach.
Usw.

Ezzo und Mathilde stifteten die berühmte Abtei Brauweiler bei Köln, die ihre Tochter, die Polenkönigin Richenza, noch reichlicher ausstattete. Wir haben gesehen, wie der heilige Anno, Erzbischof von Köln, den Pfalzgrafen Heinrich, dem der Schutz dieser Stiftung oblag, besiegte und einen Teil ihrer Besitzungen an sich zog. Dieser herrschsüchtige und gewalttätige Prälat, der als der Begründer der weltlichen Macht seines Erzstiftes zu betrachten ist, zertrümmerte die pfalzgräfliche wie überhaupt die unmittelbare Reichshoheit in der Provinz und setzte die Herrschaft des Krummstabs an die Stelle.

Als Pfalzgraf Heinrich mit dem Siegberg auch den Auelgau abgetreten hatte, mußten sich seine Nachfolger auf den Mayengau beschränken. Aber auch hier gaben sie ihren meisten Grundbesitz einer klösterlichen Stiftung hin, und so sehen wir sie endlich ganz aus den niederrheinischen Gegenden verdrängt.

Aachen liegt den Ardennen nahe in einer gebirgigen, an mannigfaltigen Schönheiten reichen Gegend. Von dem Lousberg, der nach seiner schönen Aussicht benannt ist (»losen«, plattdeutsch »lousen«, heißt um sich blicken), übersieht man die prächtige Kaiserstadt mit dem benachbarten Burtscheid und den weiten, von anmutigen Höhen umschlossenen Talkessel, der jährlich so vielen Tausenden Gesundheit spendet. Noch heute wie vor tausend Jahren kennt der Ruhm der Aachener Heilquellen keinen Nebenbuhler. Er gründet sich auf ein Geschenk der Natur, das an sich einzig und beispiellos, seinem Wert nach früh genug erkannt worden ist, um den Heilbedürftigen alles, was die Kunst von Annehmlichkeiten, Zerstreuungen und Lebensgenüssen bieten kann, in überschwenglicher Fülle zu gewähren.

Von dem Lousberg sehen wir auch den Viadukt der noch im Bau begriffenen belgisch-rheinischen Eisenbahn auf schön gewölbten Bogen das Wurmtal überschreiten. Die Wurm, die unweit Aachen erst entsprang und eine Weile die Grenze zwischen Preußen und Belgien bildete – wie sie schon in älterer Zeit die Diözesen Köln und Lüttich schied –, ergießt sich nach vielfach geschlängeltem Lauf, aus dem man ihren Namen zu erklären versucht hat, bei Kempen in die Rur. Ihr tiefes Tal ist zwischen Aachen und Herzogenrath an malerischen Schönheiten reich, die aber den Reisenden unbekannt bleiben, da die Chausseen auf den kahlen Höhen hinlaufen, wo der kürzeste Weg wenigstens nicht der reizendste ist.

Die nächste Nachbarin Aachens ist die freundliche, gleichfalls durch Heilquellen berühmte Stadt Burtscheid. Sie erwuchs innerhalb der Bannmeile Aachens gleichzeitig mit ihm aus einer kirchlichen Stiftung, die sogar älter ist als Aachens Krönungskapelle. Zuerst pflanzte sie der heilige Clodulf, der Sohn des heiligen Arnulf, der durch seinen andern Sohn Ansgisil, dem die Tochter des ältesten Pippin vermählt wurde, der eigentliche Stammvater der Karolinger ist. Clodulf selbst soll die Würde eines Hausmeisters (Major domus) eine Zeitlang bekleidet haben. Damals erbaute er, in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts, auf seinen Gütern zu Villen und Burtscheid (dessen lateinischen Namen Porcetum die Sage auf wilde Schweine bezieht, zu deren Jagd der nahe Wald einlud) zwei Kirchen zu Ehren der Heiligen Peter und Martin, an denen er 24 Priester bepfründete, die, unter einem Abt vereinigt, eine Art klösterlichen Lebens führten. Unter den Ottonen gelangte diese Stiftung durch Gregor, den Sohn des griechischen Kaisers Nicephorus Phocas, zu einiger Bedeutung. Bei einem Besuch, den er seiner Schwester, der Gemahlin Kaiser Ottos II., in Aachen abstattete, bewog ihn diese, die ledige Abtsstelle über die Matrikularien zu Burtscheid und Villen anzunehmen.

Mit der Benediktinerabtei Burtscheid, die Könige und Kaiser mit vielen Reichsgütern begabten, erblühte nun auch das gleichnamige Städtchen. Indes war jene im 13. Jahrhundert durch den Verfall der Klosterzucht so herabgesunken, daß Friedrich II. dem heiligen Engelbert von Köln den Auftrag gab, den Zustand der Reichsabtei zu untersuchen. Dieser fand sie so entartet, daß kein grüner Zweig mehr an ihr war. Da trieb er den Abt und die noch übrigen vier Mönche hinaus und übergab die Abtei den Bewohnerinnen des adeligen Nonnenklosters auf dem Salvatorberg bei Aachen, welche, der strengen Regel von Zisterz untergeben, bis zur Säkularisierung des Reichsstiftes einen erbaulicheren Wandel geführt haben sollen. Die Äbtissin von Burtscheid hatte als Stand des Reichs auf den Reichsversammlungen Sitz und Stimme. Sie wohnte ihnen durch einen Bevollmächtigten bei, wie sie auch bei dem Reichshofrat einen Agenten hielt. Über die Herrschaft Burtscheid besaß sie die Landeshoheit.

Die Vogtei über Burtscheid besaßen als limburgisches Lehen die Herren von Frankenberg, deren längst verfallenes Schloß dicht bei Burtscheid, von Aachen kaum eine Viertelstunde entfernt, liegt. Sie gehörten zu dem berühmten Geschlecht der von Merode, dessen Stammburg bei Düren schon erwähnt worden ist. Die Merode von Frankenberg wurden als Vögte von Burtscheid diesem Stift sehr gefährlich, denn statt es zu schützen, wie ihr Amt sie verpflichtete, trachteten sie nur, sich auf seine Unkosten zu bereichern.

Frankenberg, dessen malerische Trümmer in der Erneuerung mehr verloren als gewonnen haben, hat die Sage berühmter gemacht als die Geschichte. Nicht nur soll hier Emma ihren Eginhard durch den Schnee getragen haben; auch die Sage von dem Zauberring der Fastrada versetzt man auf die Frankenburg, obgleich die Geschichte meldet, daß die dritte Gemahlin Karls nicht in Aachen, sondern in Frankfurt gestorben sei. Doch ist dies unerheblich, da die Sage behauptet, Karl habe den Leichnam, von dem er sich nicht trennen konnte, überall im Lande mit sich umhergeführt. Jedenfalls bleibt dieser das Verdienst, eine auffallende historische Tatsache gut genutzt und glücklich motiviert zu haben. Es ist bekannt, daß Karl der Große anfangs die Gegenden des Oberrheins vorzog; seine Vorliebe für Aachen beginnt erst in seinen späteren Lebensjahren, wo er jener heilkräftigen Bäder mehr bedurfte. Indem aber die Sage andeutet, die Paläste von Worms, Ingelheim, Frankfurt und Mainz, wo Karl so glückliche Stunden mit Fastrada verlebte, habe deren Tod ihm verleidet, bedient sie sich eines schönen und menschlichen Motivs, ohne darin die wirkliche Bewandtnis ganz zu verhüllen, denn sie blickt deutlich durch den Schleier der Dichtung, daß Fastradas Liebesring in die Gewässer Aachens versenkt worden sei.

Übrigens ist diese Sage, die Petrarca in Aachen erzählen hörte – und zwar nicht von Fastrada –, auch in Zürich einheimisch, was gleichwohl Aachen den Vorzug zugesteht, den Wunderring zu besitzen. So groß die Zahl der deutschen Dichter ist, die sich an Fastradas Ringe versucht haben, so hat ihn doch keiner so glücklich gefaßt als das Volkslied, das freilich Aachen die Ehre nicht gibt, sondern dem Rhein:

Der Mai ist nicht an Blüten karg,
Schön Lindenzweig.
Der König sitzt an der Liebsten Sarg,
O Abend, o Abend, die müden Arme ruhen.

Er sitzt drei Nacht, er sitzt drei Tag,
Schön . . .
Kein Junker ihn da trösten mag.
O Abend . . .

Er sitzet an den Sarg gebannt
Und küßt die kalte Totenhand.

Der Bischof hat des Zaubers acht,
Zu brechen denkt er Teufels Macht.

Der König sitzet unverwandt;
Er streift den Ring von der Totenhand.

Er steckt an die Hand den Zauberring,
Der König da von der Leiche ging:

»Begrabt die Holde, begrabt sie fein;
Ich muß bei meinem Bischof sein.

O Bischof, du mein Trost und Licht,
Du kennst die Flamm' im Herzen nicht.

Und ob du dich wend'st und vor mir fliehst,
Mein armes Herz du nach dir ziehst.«

Der Bischof flieht bis an den Rhein
Und wirft den Zauberring hinein.

»O flieh, du Bischof, in guter Ruh,
Ich eile den lichten Wellen zu.

Die Wellen murmeln manch Liebeswort,
Von meines Herzens Licht und Hort.

Ich bau am Rheine mir ein Schloß;
So hold wie er kein Strom mir floß.

O Rhein, o Rhein, du Liebster mein,
Schön Lindenzweig,
Hier will ich leben, begraben sein,
O Abend, o Abend, die müden Arme ruhen.«

Mit diesem Lied kehren wir zum Rhein zurück, aber nur um von ihm zu scheiden, und zwar ohne Wehmut, da mir wenigstens ein holdes Geschick das Meiden erläßt. Unsere eigentliche Aufgabe betraf nur die Strecke zwischen Mainz und Köln, mit Einschluß von Frankfurt und Aachen, und so bleibt uns nichts mehr hinzuzufügen. Wir gedachten zwar in einem Anhang den Strom bis zu seinen Mündungen zu verfolgen; aber der Mensch denkt, und Gott lenkt. Wir haben uns allzulange in dem oberen Stromgebiet verweilt, denn Fastradas Zauberring zum Trotz gilt von ihm vorzüglich folgende

 

Warnung vor dem Rhein

An den Rhein, an den Rhein, zieh nicht an den Rhein,
Mein Sohn, ich rate dir gut:
Da geht dir das Leben zu lieblich ein,
Da blüht dir zu freudig der Mut.

Siehst die Mädchen so frank und die Männer so frei
Als wär es ein adlig Geschlecht:
Gleich bist du mit glühender Seele dabei:
So dünkt es dich billig und recht.

Und zu Schiffe, wie grüßen die Burgen so schön
Und die Stadt mit dem ewigen Dom;
In den Bergen, wie klimmst du zu schwindelnden Höhn
Und blickst hinab in den Strom.

Und im Strome, da tauchet die Nix aus dem Grund,
Und hast du ihr Lächeln gesehn
Und grüßt dich die Lorelei mit bleichem Mund,
Mein Sohn, so ist es geschehn:

Dich bezaubert der Laut, dich betört der Schein,
Entzücken faßt dich und Graus;
Nun singst du nur immer: »Am Rhein, am Rhein«,
Und kehrst nicht wieder nach Haus.

 


 


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