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Bis zur Verleihung an Mainz hatte der Rheingau als königliche Fiskalprovinz unter Gaugrafen gestanden, die dem König allein gehorchten und nicht bloß den Blutbann und die bürgerliche Gerichtsbarkeit als oberste Richter übten, sondern auch den Heerbann anführten und alle Zügel der Verwaltung handhabten. Nach jenen Schenkungen bestand zwar das Gaugrafenamt fort, auch sollten die Rheingrafen, denen er belassen wurde, indem sie einem geistlichen Fürsten untergeordnet wurden, ihren Heerschild nicht gemindert haben; sie verloren aber natürlich an Gewalt und Ansehen, und die Erzbischöfe waren unablässig darauf bedacht, um die eigene Macht zu mehren, die ihrige zu beschränken und zu schmälern. Der erste Schritt hierzu war die Bestellung eines Vizedominus, welchem anfänglich nur alle Verwaltungssachen übertragen wurden, solange die Rheingrafen noch den Blutbann von den Königen und von den Erzbischöfen die oberste bürgerliche Gerichtsbarkeit zu Lehen trugen. Die Gelegenheit, sich ihrer ganz zu entledigen, gaben die Rheingrafen selbst, indem sie sich, vermutlich im Unmut über schon erlittenen Druck, in der bekannten Sponheimer Fehde mit den Feinden des Erzbistums verbanden und diesem von ihrer Burg Rheinberg im Wispertal aus großen Schaden taten. In der unglücklichen Schlacht bei Sprendlingen wurde aber auch Rheingraf Siegfried gefangen, worauf Erzbischof Werner Rheinberg als ein Raubschloß schleifte und der Friede nur unter der Bedingung zustande kam, daß die Rheingrafen den Rheingau bei Verlust ihrer Grafschaft, aller Lehen und ihres ganzen Allodialbesitzes nicht mehr betreten sollten. Da Siegfried diese Bedingungen nicht halten wollte oder konnte, so machte der Erzbischof seine vertragsmäßigen Rechte in ihrer ganzen Strenge geltend, die Rheingrafen verloren alles, was sie im Rheingau besessen hatten, verließen die alten Stätten ihres Glanzes und Ruhms und verlegten ihre Residenz nach Rheingrafenstein, ihrer neugebauten Burg im Nahegau, wo wir ihnen wieder begegnen werden.
Am Rhein retteten sie aus dem Schiffbruch ihres Glücks nur wenige Splitter. So sollen sie den für das Geleit durch das Binger Loch ihnen zuständigen Geisenheimer Pfefferzoll nach Eichhof auf ihre Nachkommen, die Fürsten von Salm, gebracht haben; auch war das fürstlich-rheingräfliche Gesamthaus noch in den jüngsten Zeiten im Besitz des Bannrechts über das Wildgefährt bei Bacharach, ein Reichslehen, das die Erzbischöfe den Rheingrafen nicht nehmen konnten, weil es außerhalb des Rheingaus geübt wurde, obgleich es ursprünglich ein Anhang des Geisenheimer Zolls sein mochte. Es lagen nämlich diese wilden Wasser zu Verhütung des Unglücks im Bann, d. h. sie durften ohne Geleit des Königs oder der mit dem Geleit beliehenen Rheingrafen nicht befahren werden. Jedes Schiff oder Floß mußte sowohl bei der Berg- als auch der Talfahrt einen von den Rheingrafen bestellten erfahrenen Steuermann aufnehmen und sich seiner Leitung anvertrauen, wofür ein Goldgulden zu entrichten war. Die gefährliche Stelle im Rhein begann unterhalb des Binger Lochs bei dem sogenannten Rheingrafenstein und endigte in dem mehrfach erwähnten Niedertal an dem zweiten Rheingrafenstein, Bacharach gegenüber.
Die planmäßige Verdrängung der Rheingrafen aus ihrem alten Erbe ließ die Geschichte nicht ungerächt. Wenn wir jetzt nach Auflösung des Erzstifts Mainz den schönen Garten des Rheingaus unter Nassaus Szepter wiederfinden, so muß es uns überraschen, zu vernehmen, daß die Geschichtsforschung nach langem Schwanken und Suchen endlich dahin gelangt ist, den Ursprung des nassauischen Hauses von den ältesten Rheingrafen herzuleiten. Unter diesen erscheint nämlich gleich nach den Hattonen Drutwin I. (992), dessen Söhne Drutwin II. und Embricho I. sich in die Grafschaft des Niederrheingaus teilten, wobei ersterem die Königshundert, dem zweiten der untere Rheingau zufiel. Drutwin stiftete die nassauische und Embricho die rheingräfliche Linie. Die rheingräfliche war schon 1223 im Mannesstamm erloschen; die von Mainz verdrängten Rheingrafen waren nur von der Kunkellinie, indem sich die Rheingräfin Lucarde mit Siegfried, Herrn von Stein im Nahegau, vermählt hatte, der die neue Linie der Rheingrafen stiftete. Die Nassauer aber, deren Mannesstamm fortblüht, genießen jetzt die Früchte jener Verdrängung ihrer weiblichen Seitenverwandten.