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Ich habe des Karnevals gedacht und damit ein Fest berührt, das man in Rom oder Köln begehen muß, das auch hierin wieder das »deutsche Rom« ist. Goethe, der den römischen Karneval beschrieb, widmete auch dem kölnischen einige Reimzeilen; geschildert hat er ihn nicht, vermutlich auch nie gesehen. Wäre es ihm bei jüngeren Jahren so wohl geworden, so hätte er die Frage entscheiden können, welche der beiden Städte mehr angeborenes Geschick dazu habe; ob die Römer mehr Geist, Witz und Laune sprühen und sprudeln lassen oder ihre niederrheinischen Kolonisten. Wie das Urteil auch ausfallen möge –, Köln verdient den Namen der Freudenstadt, den es sich in bezug auf seinen Karneval beilegt, nicht bloß um Fastnacht, sondern das ganze Jahr hindurch. Ich will nicht von seinen Kirmessen sprechen, die niemals ausgehen können, da jede eine Woche lang währt und der Kirchtürme zum Beiern (eine eigentümliche Art des Geläutes) immer noch mehr als Wochen im Jahr sind; ich rede von dem Frohsinn, der guten Laune, der unerschöpflichen Lebenslust seiner Bewohner. Ist diese Heiterkeit ansteckend, oder liegt sie epidemisch in der Luft – genug, daß ich es nicht allein bin, der sich plötzlich umgestimmt fühlt, indem er Kölns klassischen Boden betritt, wo die reichste Vergangenheit zugleich mit der lebenskräftigsten Gegenwart zu ihm spricht und die alten verwitterten Häuser mit den spiegelnden Fenstern und dem modernen Wohlstand in den Zimmern dahinter ihn wie ein Greis mit Jünglingsaugen ermutigend und beschämend anblicken.
Um aber wieder auf den Karneval und den Wettstreit der beiden heiligen Städte zu kommen, so ist es noch unausgemacht, welcher von beiden er eigentlich seinen Ursprung zu verdanken hat. Daß er aus einem heidnischen Fest – sei es nun ein römisches oder ein deutsches – hervorgegangen und das Christentum ihn nur geduldet hat, ist eine ziemlich allgemeine Annahme, mit der aber die herkömmliche Ableitung des deutschen wie des römischen Namens – Fastnacht und Karneval – im Widerspruch steht. Jener, den man früher Fasenacht, ja Fasinacht schrieb, wurde wohl erst spät auf die Fasten bezogen, und auch dieser wird mit dem Genuß der Fleischspeisen, denen man Lebewohl sagte, nur sehr gezwungen in Verbindung gebracht.
Eine andere Vermutung, die indes nicht mein Eigentum ist, hält sich an die fränkische Form des Wortes »Carnaval«. Zu ihrem Verständnis muß ich etwas vorwegnehmen, was eigentlich in den folgenden Artikel gehört. Schon Tacitus erwähnt einen deutschen, wahrscheinlich gottesdienstlichen Brauch, bei dem ein Schiff die Hauptrolle spielte, das ihn an den ägyptischen Isisdienst erinnerte. Etwas ganz Ähnliches kommt ein Jahrtausend später am Niederrhein noch als Volksbrauch vor und nicht als ein christlicher, denn die Geistlichkeit nahm Anstoß daran und suchte ihn auszurotten. Im Wald bei Cornelimünster, unweit Aachen, wo schiffbare Ströme fernab liegen, wurde »ein Schiff gezimmert, unten mit Rädern versehen, und durch vorgespannte Menschen zuerst nach Aachen, dann nach Mastricht (wo Mastbaum und Segel hinzukamen), hierauf nach Tungern, Looz und so weiter im Land herumgezogen, überall unter großem Zulauf und Geleit des Volks; wo es anhielt, war Freudengeschrei, Jubelgesang und Tanz um das Schiff herum bis in die späte Nacht; die Ankunft des Schiffes sagte man den Städten an, die ihre Tore öffneten und ihm entgegengingen«.
Auch anderwärts finden sich Spuren, daß zur Zeit des beginnenden Frühlings solche Schiffe zu Lande umhergezogen wurden, wie es an einigen Orten auch mit dem Pflug geschah. Ein Ulmer Ratsprotokoll enthält das Verbot: »Wenn es sol sich nieman mer weder tags noch nachts verbuzen, verkleiden, noch einig fassnachtkleider anziehen, ouch sich des herumfarens des pflugs und mit den schifen enthalten.« Ist es nun allzu gewagt, den »Carnaval«, die Sache wie den Namen (Car-naval = Schiffswagen), von diesem niederrheinischen Brauch abzuleiten? Noch wurzelt am Niederrhein der Karneval fester, noch treibt er bei uns alljährlich frischere Blüten, als irgendwo sonst in Deutschland; nach Italien aber können ihn bei den häufigen Römerzügen Deutsche vom Rhein, ja nach Rom kann ihn schon Karl der Große unmittelbar von Aachen verpflanzt haben. Welcher Gott oder welche Göttin in jenem gleich unseren Dampfschiffen mit Rädern versehenen Schiff den Menschen Frieden und Fruchtbarkeit brachte, wissen wir nicht mehr: ihr Name wurde früh vergessen; heutzutage ist es die Göttin der Freude, der wir im Karneval opfern, und auch der Wohltätigkeit ist ein Nebenaltar errichtet.