Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Bonn

Von Bonn tragen die Rheinreisenden sehr verschiedene Begriffe heim. Wer nur mit dem Dampfschiff den Rhein abwärts an ihm vorbeifuhr, dem schien es weit hinter allem Schönen, ja gleichsam schon in Holland zu liegen; von der Stadt selbst meint er noch glimpflich zu sprechen, wenn er sie unsauber nennt. Ist er aber zu Lande und rheinaufwärts reisend hindurch gefahren und hat seinen freundlichen Markt gesehen, so glaubte er, es liege schon mitten in dem rheinischen Paradies, dessen äußerster Grenzwächter es ist, und er hielt es dessen für würdig, so zierlich und schmuck war sein Ansehen. Die Vorliebe für die Vaterstadt darf mich nicht bestimmen, die letzte Ansicht für die allein richtige zu halten, ich gestehe, daß auch erstere nicht unbegründet ist. Allerdings wendet Bonn der großen Weltstraße, dem Rhein, die Pudenda zu, während es auf dem Markt die sauber gewaschenen Gesichter zeigt und die wohlgeglätteten Köpfe zusammensteckt, zur Beratung gleichsam, wie jenem Übelstand abzuhelfen sei. In etwa begegnet ihm schon die südliche Vorstadt, die wenigstens einige Gebäude besseren Stils im Rhein spiegelt, von denen ich nur die geschmackvoll erneuerte Vinea Domini nenne. Die Rheinseite der Altstadt wird aber noch viel auf ihre Toilette verwenden müssen, bis sie sich in der Gesellschaft der übrigen Rheinstädte sehen lassen darf.

Was ihre Lage betrifft, so habe ich schon eingeräumt, daß sie nicht mehr im Herzen der Schönheit liegt, gleichwohl gehört sie dem schönsten Abschnitt des Rheintals, jenem rheinischen Paradies, noch an, als dessen Mittelpunkt wir das Siebengebirge bezeichnet haben. Ja dieses selbst stellt sich vielleicht nirgends reizender dar als an den beiden Enden dieses glücklichen Bezirks: Unkel und Bonn.

Auf dem Kirchhof zu Unkel auf dem Alten Zoll bei Bonn muß man stehen, um die edlen, reinen und mannigfaltigen Formen dieser wunderbaren Berggruppe zu bewundern. Mehr in der Nähe werden ihre Umrisse eckiger und rauher und verlieren an wohlgefälliger Zurundung, an Duft und magischem Zauber, was sie an Wildheit und Größe gewinnen. Nie sieht das Auge sich satt an diesem Gebirge, stundenlang hängt der Blick mit Entzücken an der vielgestaltigen Bildung dieser sieben Hügel, denn keiner ist dem anderen gleich oder ähnlich; jeder bewahrt seine eigentümliche Schönheit, und doch bilden sie zusammen das reizendste Ganze. Sie dulden auch keine Lücke unter sich: wo der eine sich in die Ebene gesenkt hat, da steigt schon der andere wieder empor. Und nun die Beleuchtung, die keinen Augenblick gleich bleibt, denn sie wechselt nicht bloß nach Jahres- und Tageszeiten, sondern mit jedem Wölkchen, jedem Sonnenstrahl. Wenn sie am Abend rosenrot wie die Alpen glühen, so versprechen sie uns morgen einen heiteren Tag; oft aber treten sie uns ganz nahe und heben sich noch einmal so hoch als gewöhnlich: dann lasse sich nur niemand von ihrer Herrlichkeit blenden, denn es gibt einen Platzregen oder ein Ungewitter.

Wenn man das Siebengebirge die Bonner Alpen genannt hat, so mag man den langen Bergrücken, der sich von Godesberg nach Poppelsdorf zieht, dem Jura vergleichen. Mannigfaltiger ist der Höhenzug gestaltet, mit welchem das Siebengebirge gegen das Siegtal ausläuft.

Unterhalb Bonns verschwinden die Berge nicht ganz, aber sie ziehen sich weiter zurück, indem sie diesseits unter dem Namen des Vorgebirges noch bis in die Gegend von Bergheim so merklich bleiben, daß bei Königsdorf ein Tunnel für die Köln-Aachener Eisenbahn unter ihnen her gebaut werden mußte, während sie jenseits, wo sich das Siegtal öffnet, scheinbar ganz aufhören, was gleichwohl auch noch so wenig der Fall ist, daß dem hier nun folgenden Uferland der Name »Bergisches« wohl gebührt.

Indessen ist der Rhein wieder in ein so breites Tal getreten, daß man sich völlig in der Ebene zu befinden glaubt. In diese Ebene blickt bei der Talfahrt der Reisende, indem er sich Bonn naht, und von den flachen Ufern getäuscht, hält er dessen Umgebungen für ebenso flach und unbedeutend. Die entgegengesetzte Täuschung erfährt, wer es von Köln kommend erblickt, denn ihm scheint es gerade zu den Füßen des Siebengebirges zu liegen, er schaut in das aufgeschlossene Paradies, das Gebirge schließt sich von beiden Seiten zusammen und umfängt ihn wie mit Armen, um den Überwältigten, Überraschten einer herrlichen, liebevollen Natur ans Herz zu drücken.

Wer nicht bloß an Bonn vorbeireist, den wird zwar ein kurzer Aufenthalt von beiderlei Irrtümern befreien; doch fühlt sich gewiß, wer an dem letzteren litt, nicht unangenehm enttäuscht, denn liegt ihm auch das Siebengebirge ferner, als er sich versprochen hatte, so entschädigen ihn dafür seine sanfter zugerundeten Formen, und den Trieb des Bergkletterns mag er nun am Kreuzberg büßen, der, kaum ein Viertelstündchen entlegen, den Höhenzug, welchen ich den Bonner Jura genannt habe, mit dem Vorgebirge verbindet. Ziehen ihn dann unsere Alpen unwiderstehlich an, so führt ihn das Dampfschiff nach kurzer Fahrt in ihren Hafen; oder will er nur das Auge an ihrer Schönheit weiden, so findet er auf dem Venusberg, auf der Rosenburg über Kessenich (Gesoniacum), auf der Dotrendorfer Klippe – lauter reizenden Höhepunkten unseres Jura – dazu erwünschte Gelegenheit. Außerdem haben wir noch einen Reichtum von Bergen auf beiden Rheinseiten: von Oedekoven und Gielsdorf, die so anmutig auf dem Vorgebirge liegen, zieht sich dieses an Alfter und dem Roisdorfer Gesundbrunnen vorbei nach dem freiherrlichen Garten zu Bornheim, und überall sind die Höhen an wechselnden Aussichten und Durchblicken reich; jenseits würden wir den isolierten Finkenberg, den Ennert mit dem Foverauxhäuschen, den Rückertsberg, die Ramersdorfer Deutschordenskommente und die Oberkasseler Lei fleißiger besuchen, wenn wir eine stehende Brücke hätten oder die Abfahrtszeiten der fliegenden weniger ungewiß wären. Aus dieser Aufzählung, die sich leicht vervollständigen ließe, ersieht man wenigstens, daß man unserer Gegend mit Unrecht vorwirft, sie habe nichts als das Siebengebirge. Freilich verdunkelt dies alles Übrige, dessen wir uns zu rühmen haben; aber wenn es auch der Schoß der Erde, aus dem es als ein achtes Weltwunder emporgestiegen ist, über Nacht wieder verschlänge – was Gott verhüten wolle –, uns bliebe doch noch so viel übrig, daß wir uns reich nennen dürften.

Bonn, wo schon die Römer eine Niederlassung hatten, wo Drusus eine Brücke schlug und ein Lager anlegte, dessen ausgemauerte Zellen und Kasematten noch am Wichelshof in der Erde liegen, ist eine der ältesten Rheinstädte; aber man sieht es ihm nicht an, denn erst in den truchsessischen Händeln – und hernach noch bei drei Belagerungen – ist es so zusammengeschossen worden, daß es aus dem Altertum wenig herübergerettet hat. Bei einer dieser Belagerungen hatte es die Ehre, von dem ersten König von Preußen schier in einen Aschenhaufen verwandelt zu werden; zum drittenmal entrissen es der berühmte Marlborough und der holländische Generalingenieur Coehorn den Händen der Franzosen, und seitdem hieß es sprichwörtlich, Jerichos Mauern seien vor Josuas Feldtrompeten, Bonn aber vor dem Ton eines Kuhhorns gefallen. Fast das einzige Vermächtnis, das ihm aus dem höheren Mittelalter blieb, ist seine altgotische Münsterkirche, deren fabelhafte Stifterin, die heilige Helena, die Bauleute in Ermangelung baren Geldes mit Ledermünzen gelohnt haben soll. Der wirkliche Erbauer, der Propst des St.-Cassius-Stiftes Gerhard von Sayn, war zugleich Graf von Bonn und Archidiakon; und da das Bonner Archidiakonat eins der größten des Erzstiftes war und sich über mehrere Gaue erstreckte, so konnte er nicht in den Fall kommen, gleicher Surrogate zu bedürfen. Unter ihm wurden auch erst die Gebeine der Schutzpatrone Bonns – der Heiligen Cassius, Florentius und Malusius – von der jetzigen Mordkapelle unter dem Kreuzberg, wo sie gelitten haben sollen (wie denn andere Märtyrer der Thebäischen Legion, die bekanntlich im Rhônetal für die Wahrheit unseres Glaubens Zeugnis gab, ebenso seltsamerweise bis nach Köln und Xanten verschlagen wurden), erhoben und in die Krypta der nach ihnen benannten Kirche feierlich übertragen.

Von diesem Gerhard von Sayn, welcher der Propstei fünfzig Jahre lang vorstand und wie mehrere seiner Vorgänger und Nachfolger auf den erzbischöflichen Stuhl zu Köln gewählt wurde, dessen Besitz er jedoch ausschlug, scheint die Grafschaft Bonn an das St.-Cassius-Stift gekommen zu sein, dessen Propst die weltliche Gerichtsbarkeit über Bonn und die nächste Umgebung lange Zeit ausschließlich ausübte, bis deren Beschränkung durch die heranwachsende Macht der Stadt und die Anwesenheit der Kurfürsten herbeigeführt wurde. Doch genoß der Propst an drei Markttagen (vermutlich den alten ungebotenen Dingtagen) bis auf die neuesten Zeiten jene Rechte. Noch steht vor dem Münster die steinerne Gerichtssäule; aber das sogenannte Wölfchen, bei dem das Schöffenweistum abgelesen wurde, ist verschwunden und wird wahrscheinlich durch Beethovens Denkmal ersetzt werden. Ich finde keine Bestätigung der gemeinen Angabe, das Stift habe den Drachen im Wappen geführt, seit ihm Erzbischof Arnold das von ihm zu bauen begonnene Schloß Drachenfels auf die Bitte des Propstes Gerhard übergeben hatte, um von ihm aus die Besitzungen seiner und anderer Kirchen zu schützen. Indessen blieb es auch nicht lange in diesem Besitz, da das Schloß schon früh in das Allodialeigentum des von ihm benannten Geschlechts übergegangen war.

siehe Bildunterschrift

Bonn

Die schon von anderen ausgesprochene Vermutung, daß Bonns mythischer Name Verona (Bern) zuerst nur einem Teil der heutigen Stadt zugekommen sei, der, einst selbständig neben der römischen Bonna bestehend, hernach mit ihr zusammenwuchs, scheint die Bonngasse zu bestätigen, denn durch diese gelangte man wohl aus dem alten Bern nach dem unterhalb der heutigen Stadt am Wichelshof gelegenen Bonn. Die Verlängerung derselben, die Kölnstraße, wurde erst hinzugebaut, als die aus Köln vertriebenen Erzbischöfe ihre Residenz nach Bonn verlegten. Vermutlich war unser viertes Stadtviertel, der älteste Teil der heutigen Stadt, dieses Verona. Käme der Name bloß in dem alten Stadtsiegel, in Erzbischof Engelberts Grabschrift, in G. Hagens »Reimchronik von Köln«, vor, so könnte man ihn für einen poetischen Beinamen halten; allein er findet sich auch in Urkunden, namentlich im Jahre 1145 in einer Schenkung des Roingus, Veronensis concivis, an das St.-Cassius-Stift daselbst. Wer nun jener Bonner Theoderich (Dietrich von Bern) gewesen ist, dessen Taten das Heldenlied von »Ecken Ausfahrt« feiert, weiß ich nicht; schwerlich jener »Rex Gentilis Dedo«, der dem heiligen Maternus den Platz zu dem Stift Dietkirchen geschenkt haben soll, denn dessen Name scheint erst nach jenem des Stifts erfunden. Es darf nicht unbeachtet bleiben, daß Bonn gleich dem Dietrich von Bern der Heldensage den Löwen im Wappen führt. Das oben erwähnte steinerne Wölfchen, das nicht bloß auf dem Münsterplatz stand (ein anderes sah man bei dem Stift Dietkirchen, das gleichfalls seinen Hunnen auf die Dingtage schickte), war genauer betrachtet ein Löwe, der ein Pardelweibchen überwältigte. Dieses seltsame Symbol könnte auf die Vereinigung der beiden Städte Bonn und Verona gedeutet werden.

Bonn ist nicht arm an Sagen, aber die wenigsten haben ein mehr als lokales Interesse. Ich rücke nur eine einzige hier ein, die vielleicht anderwärts gefällt, in Bonn aber Anstoß gegeben hat, obgleich ich versichern kann, daß sie lange vor den bekannten Wirren niedergeschrieben ist:

 

Der Teufel und der Wind

Zu Bonn vor den Jesuiten beständig weht der Wind;
Ihr forscht, woher das rühre? Den Grund weiß jedes Kind.

Und fragt ihr eins, so spricht es und sich nicht lang besinnt:
Es ging einmal spazieren der Teufel mit dem Wind.

Und wo vor den Jesuiten die Straße Raum gewinnt,
Begann der Feind zu sprechen zu seinem Freund, dem Wind:

»Was der Jesuiten Völkchen im Kloster wohl beginnt?
Du weißt, daß sie hier wohnen und mir befreundet sind.

Willst du ein Weilchen warten, mein lieber Bruder Wind,
So geh' ich ihnen bieten einen guten Tag geschwind.«

Vor der Jesuitenkirche blieb harrend stehn der Wind.
Ein trat zur Klosterpforte der Teufel falschgesinnt.

Da sah er seine Freude! Er guckte schier sich blind:
»Gar wohl gefällt mir alles, was man hier treibt und spinnt.«

Mit Freudensprüngen fuhr er in sie hinein geschwind,
Und ließ da draußen harren seinen lieben Freund, den Wind.

Der harrt und harrt, wie manches Jahrhundert auch verrinnt,
Und wird er ungeduldig, so heult er nicht gelind.

Noch stets vor den Jesuiten des Teufels harrt der Wind,
Ob längst mit seinem Freunde sie ausgewandert sind.

Sie kommen nimmer wieder, was mancher auch ersinnt;
Doch weit ist in der Runde berühmt der Bonnsche Wind.

Nach allen Reisebüchern ist die Gegend zwischen Bonn und Köln ganz flach und reizlos. Das wird anders lauten, wenn erst die Eisenbahn fertig ist, die, um beide Städte zu verbinden, an dem Vorgebirge hinlaufen und Brühl mit dem prachtvollen erzbischöflichen Schloß berühren soll. Dann werden auch die Reize dieses fruchtbaren Höhenzugs Anerkennung finden, der mit unzählbaren Dörfern und Burgen bestreut, über wallenden Getreidefeldern Haine von Obstbäumen erzieht und von anmutigen, sanft auslaufenden Halden Fernsichten von überraschender Schönheit eröffnet. In der Zeit der Baumblüte bietet der Gang von Roisdorf nach Brühl einen unvergeßlichen Genuß.

 


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