Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Der Feldberg

Das Taunusgebirge fällt gegen den Main am schroffsten und schönsten ab, gegen die Lahn hin lehnt es sich an das nassauische Hochland zwischen Main und Lahn; von dem Rhein und der Wetterau, seinen äußersten Enden her, hebt es sich sanft und allmählich empor, bis es etwa in der Mitte seine Höhepunkte in drei Gipfeln erreicht, von denen der Feldberg der höchste und somit die Krone des Ganzen ist. Die beiden anderen, Kleiner Feldberg und Altkönig genannt, lassen ihm wenig nach. Der Feldberg mit 2700 Fuß absoluter Höhe ist der höchste Berg des mittleren Deutschland, und obgleich nur ein Zwerg gegen seinen gleichnamigen Bruder im Schwarzwald – und selbst dem Brocken, dem König des Harzes, bei weitem nicht gewachsen –, gewährt er doch von seinem Gipfel einen viel schöneren und anziehenderen Umblick als jene, deren Ersteigung lange nicht so lohnend gefunden wird. Wenn wir überhaupt zugeben müssen, daß die Aus- und Fernsichten, die man auf höheren Gebirgen genießt, den Charakter des Schönen selten an sich tragen und daß es dem Auge keinen Genuß gewährt, weit zu sehen oder gar durch Fernrohre nach noch entlegeneren Punkten zu spähen, für die wir schon ein Interesse mitbringen, ihre Entfernung berechnen und erwägen müssen, um dann über den weitreichenden Gesichtskreis in Erstaunen zu geraten, so sind dies doch Betrachtungen, die man etwa auf dem Brocken anstellen wird, die uns aber auf dem Feldberg so wenig als auf dem Rigi in den Sinn kommen. Auf dem Rigi freilich sind sie nicht einmal wahr; denn so hoch er ist, stellt er uns doch einer Doppelkette mit ewigem Schnee bedeckter Gebirge gegenüber – mitten in die erhabene Alpenwelt, deren Panorama, ohne alle Rücksicht auf Entfernung und Höhe, einen unauslöschlichen Eindruck gewährt. Auf dem Brocken begegnet der Blick nirgends einem bedeutenden Gegenstand, er verliert sich nach allen Seiten in das endlose Nichts, und es ist gar nicht befremdend, wenn das personifizierte Nichts, der Geist, der stets verneint, eben hier seine Walpurgisfeste feiert. An der Aussicht, die wir auf dem Feldberg genießen, würde ich nicht hervorheben und rühmen, daß sie so weit reicht – von Straßburg bis zum Siebengebirge und so nach allen Richtungen –; wichtiger scheint mir zu ihrer Empfehlung, daß sie nicht ein einzelnes Gebirge überschauen läßt, sondern die großen Massen aller bedeutendsten Bergzüge um Rhein und Main sich von diesem Standpunkt vollkommen deutlich gegeneinander abheben und um so besser übersehen lassen, als die breiten Täler beider Flüsse sie auseinanderhalten.

Die Gegenstände, die man deutlich und bestimmt sieht, sind nach Kriegk folgende: Im Süden der Main und der Rhein mit den Städten Frankfurt, Mainz, Worms, Mannheim und Speyer; die Ebene des letzteren Flusses entlang verliert sich das Auge nach Karlsruhe und Straßburg hin im Horizont; links erblickt man die Bergstraße mit dem Melibocus und dem Ölberg als besonders hervorstechende Punkte an ihr, und weiter nach Süden sieht man den Königsstuhl bei Heidelberg und die zum Schwarzwald gehörenden Höhen der Gegend von Baden-Baden. Im Südosten der Odenwald mit seiner höchsten Höhe, dem Katzenbuckel, bis in das Fränkische hinein, der Main mit Hanau und Aschaffenburg bis über letztere Stadt hinaus, der Spessart und das nordwestlich von ihm liegende Freigericht. Im Osten die Wetterau, der Vogelsberg und etwas nach Ostsüdosten, hinter dem letzteren, das Rhöngebirge sowie etwas nordöstlich ein Teil des Thüringer Waldes. Gerade im Nordosten die Hochebene des Taunus und die Gebirge von Niederhessen bis zum Meißner hin; die Gegend von Kassel bleibt durch die Höhen bei Hilsenberg und Fritzlar verdeckt. Im Norden die Hochebene des Taunus, die in der Gegend von Gießen, Wetzlar und Weilburg dies- und jenseits der Lahn liegenden Höhen, die Gebirge zwischen Dill und Lahn, die Grafschaft Wittgenstein links der oberen Lahn und das zu Westfalen gehörende Rothaargebirge, das sich von Winterberg über Astenberg und Berleburg gegen die obere Sieg und die Bigge hinzieht. Etwas im Nordwesten der Taunus, der Westerwald und hinter ihm das Siebengebirge bei Bonn. Westlich der Taunus und die Gebirge der unteren Mosel jenseits des Rheins. Südwestlich die Westhälfte des Maintaunus, der Hunsrück, der Donnersberg und mehr im Süden die Haardt und in blauer Ferne die Vogesen.

Wie das Taunusgebirge kuppenförmige Bergspitzen liebt, einige Berge sogar in kleinen Ebenen endigen, so bildet eine hundert Morgen große Fläche den Gipfel des Feldbergs, dessen Name von dieser feldartigen Gestalt seines Gipfels abgeleitet wird. Letzterer trägt keine Bäume, sondern wie die Brockenhöhe nur Heide-, Heidelbeer- und Preiselbeersträucher. Ein mächtiger, zerklüfteter Quarzfelsen, dreizehn Fuß hoch, zwanzig Schritt im Umkreis haltend, ragt auf der Nordostseite hervor als das einzige ausgehende Gestein. Er ist nach allen Seiten vom Rauch der Feuer geschwärzt, durch welche die Besucher, indem sie dem Aufgang der Sonne entgegenharrten, der Kälte der Nacht und des Tagesanbruchs zu trotzen hofften. Der Name dieses Felsens Brunhildenstein oder Brunhildenbett (Lectulus Brunihildae, wie er schon in einer Urkunde von 1043 heißt) ragt aus dem frühesten Altertum herüber, wenn er nicht einen mythischen Ursprung hat. Der Name wird nämlich bald auf die historische, bald auf die mythische Brunhild bezogen. Von der ersten, jener unseligen Frankenkönigin, deren wir bei Worms gedachten, behauptet man, wiewohl ohne Beweis, sie habe oft die Nacht auf diesem Felsen zugebracht und von da bei Sonnenaufgang einen Teil von Ostfranken – ihr und der Ihrigen Reich – überschaut:

Den Feldberg klimmt eine Schar hinan,
Durch finsteren Wald auf felsiger Bahn,
Zwölf Reisige sind es, in Waffen rauh,
Und auf weißem Roß eine hohe Frau.
Sie trägt eine goldene Kron im Haar,
Ihr Aug blickt hell und falkenklar,
Bald schaut es hinab in die Waldesnacht,
Bald zum Himmel auf nach der Wolkenpracht.
»Hinan! Solang noch die Sonne blinkt,
Und wenn auch mein Roß zusammensinkt,
Im Abendstrahl will ich schauen Burgund.
Da droben vom luftigen Bergesrund.«
Usw.»Rheinische Sagen und Lieder« von Adelheid von Stolterfoth, Frankfurt 1839

Wenn man aber hier erst ein Bett erfinden muß, so ist bei dem Bezug auf die mythische Brunhilde dieses Bett durch die Sage gegeben. Nach dieser hatte nämlich Odin, der oberste Gott, Brunhilde wegen ihrer Kühnheit in die Zahl der Schildmädchen oder Walküren gewählt:

Viel ist in deutschen Zungen von Brunhild, der Maid,
Gesagt und gesungen, wie kühn sie war im Streit.
Sie ging von Haupt zu Füßen gehüllt in blanken Stahl:
Da kürte sie Odin in seiner Schildmädchen Zahl.
Walküren reiten bewehrt durch Luft und Meer,
Auf kühnen Wolkenrossen stürmen sie einher,
Licht strahlt von ihren Spießen, und Funken sprühn aus Nacht,
Wenn sie die Helden kiesen, die blut'gen Opfer der Schlacht.
Von den Mähnen ihrer Rosse befruchtend träufelt Tau,
Doch oft zerschmettern Schloßen die Hoffnungen der Au:
So weben sie Geschicke, und ihre Spule rauscht
Verborgen jedem Blicke, von keinem Ohr belauscht.
Wer aber Odins Mädchen im Grimm der Schlacht gefällt,
Dem küßt sie die Wangen, und schon erliegt der Held.
Sie führt ihn gen Walhalla zu hoher Väter Schar,
Sie reicht mit holdem Gruße den Met im Becher ihm dar.
Als Odin Brunhilde zur Kriegsnorne kor,
Da tat sie es an Kühnheit den Schwestern all zuvor.
Sie fuhr unersättlich von Krieg daher zu Krieg,
Und Königreiche zitterten, wenn sie das Schlachtroß bestieg.

Es scheint aber, daß der Gott des Krieges und des Sieges – beides war Odin – Brunhilde um ihre Siege beneidet habe, denn kurz währte die Freundschaft. Folgendes war die Veranlassung zum Bruch:

Helmgünther hieß ein König, dem Odin Sieg beschied,
Und Agnar ein andrer, den lang das Kriegsglück mied;
Doch jetzo half ihm Brunhild wider Odins Macht,
Helmgünther fiel bezwungen, und Agnar siegt' in der Schlacht.
Das ließ nicht ungerochen Odin an seiner Magd,
Dem er Sieg verheißen, daß sie dem Sieg versagt.
Da sollte sie nicht länger Walküre sein;
Das Los ward ihr beschieden, das allen Frauen gemein:
Eines Mannes Bett zu teilen und sein Geheiß zu tun.
Sie sprach: »Du magst gebieten; doch hier gelob' ich nun,
Mich keinem zu vermählen, der Furcht empfinden kann,
Ja lieber wollt' ich sterben, als daß er würd' mein Mann.«
Da stieß ihr Allvater den Schlafdorn ins Haupt.
In voller Waffenrüstung sank sie machtberaubt
Dahin zu tiefem Schlafe. Und alles schlief mit ihr,
Es schlief, was Odem holte auf Segard,Name von Brunhildes Burg. Mensch oder Tier.
Die Kühe im Stalle bogen die Knie und nickten ein,
Die Jagdhunde streckten sich auf ihr Nagebein,
Die Tauben auf den Zinnen, die Fliegen an der Wand,
Sie hatten alle Sinne zu süßem Schlummer gewandt

Und so schliefen sie fünfzig Jahre, und niemand konnte sie wecken, denn die Webeglut (Wafurloga), die immer auf und nieder wallte, war um das Schloß geschlagen und ließ niemanden heran. Aber Allvater hatte gesprochen:

Wer durch das Feuer reite zu Brunhildens Saal
Und ihr den Harnisch löse, der sei ihr Herr und Gemahl.
Viel Königssöhne kamen dahin von Zeit zu Zeit,
Die alle freien wollten die königliche Maid;
Doch als sie Segard sahen, von Webeglut umloht,
Da scheuten ihre Pferde, und mancher fiel zu Tod.

Das währte, bis Siegfried dahin kam. Denn als er den Drachen getötet und den Schmied Mime erschlagen hatte, trug ihn das schnelle Roß Grani:

Es trug den Unverzagten Brunhildens Burg so nah,
Daß er das Zauberfeuer um Segard weben sah
Und auf dem Turm bewegungslos das Königsbanner stehn.
Der Drachentöter konnte der Vögel Stimmen verstehn.
Da klang es in den Lüften wie Nachtigallenschlag:
»Nun lodert fünfzig Jahre die Glut und einen Tag,
Der sie löscht, ist nahe. Wer zu Brunhildens Saal
Durch Webelohe reitet, der wird ihr Herr und Gemahl.«
Der teure Degen hörte, was ihm der Vogel sang;
Doch wie er durch die Flammen den wilden Grani zwang,
Da war es eine Schildburg, beglänzt von Sonnenschein:
Die Schilde schoben willig sich auf und ließen ihn ein.
Da fand er in der Feste die allertiefste Ruh,
Die Sonne schien vom Himmel, doch alles schlief noch zu.
Die braunen Jagdhunde schnüffelten im Traum,
Die Schlagtauben, sie hatten das Köpfchen unter dem Flaum
Des Flügels verborgen, und als er kam ins Haus,
Da streckte noch die Rechte der Koch – – –
Noch saß die Magd, als rupfe sie an dem schwarzen Huhn,
Noch schien der Küchenjunge die schwere Arbeit zu tun.
Und in den Kammern neigten die Häupter schlummerschwer
Der Truchseß und die Schenken und der Diener zahllos Heer.
Die Fliegen an den Wänden schliefen süßen Schlaf,
Und wie er weitereilte, schlief alles fest, was er traf.
Und rings blieb es stille, kein Lüftchen regte sich,
Er hörte seinen Atem, das deucht' ihn wunderlich.
Nun kam er zu dem Saale: da schlief im Waffenkleid
Ein Mann, so voll gerüstet, als käm' er eben vom Streit.
Dem band er von dem Haupte den Helm: da war's ein Weib:
Wie angewachsen fugte der Stahl dem schönen Leib.
Ihn aufzuschlitzen dacht' er mit klugem Schwertesschwang:
Vom Haupt bis zu den Füßen und an den Armen entlang
Zerschnitt der Held die Rüstung und ritzte nicht die Haut;
Dann schält' er aus dem Eisen die wonnigliche Braut.
Sie war so schön geschaffen, o Wunder, Glied für Glied!
Da mußte sie erwecken mit einem Kuß Siegfried.
Der Kuß war ergangen, sie schlug die Augen auf,
Mit Staunen lehnte Siegfried auf seines Schwertes Knauf.
Er sah die blauen Augen und senkte Blick in Blick.
Sie frug: »Das Odin fügte, hat sich erfüllt das Geschick?
Kam hierher der kühne Siegfried, Siegmunds Sohn?
Fiel in der Grüne der Wurm der Heide schon?
Durch Webeglut zu reiten, wer hatte sonst die Macht?«
Er sprach: »Der ist ein Volsung, der dieses Werk hat vollbracht.«
Da erhob sich von dem Pfühle die schöne Königin
Und schritt an Siegfrieds Seite durch die Gemächer hin.
Der Truchseß und die Schenken, der Diener zahllos Heer
Erstanden aus dem Schlafe, und Leben ward um sie her.
Da regten wiederkäuend die Kühe sich im Stall,
Die Jagdhunde, sie sprangen empor mit lautem Schall,
Die Fliegen von den Wänden summten durch den Raum,
Die Taube zog das Köpfchen hervor aus wärmendem Flaum.
Die Magd, die rupfte weiter an ihrem schwarzen Huhn,
Der Küchenjunge eilte die Arbeit zu tun,
Das Feuer flammte wieder, so ward an seinem Ort
Der Bratenwender munter, der Braten brutzelte fort.
Usw.Vgl. meine »Rheinsagen«

So wird Siegfrieds Verlobung mit Brunhilde eingeleitet, welche in den Nibelungen vergessen und doch gewissermaßen vorausgesetzt ist. Der Name Brunhildenbett, den der Quarzfelsen führt, spielt offenbar auf diese Sage an und bezeichnet ihn als den Ort ihres fünfzigjährigen todesähnlichen Schlummers. Wenn die »Wilkinasage« den Schauplatz an das Friesenmeer, in die alte Heimat der Franken, setzt, so hält sie dabei nur die ursprüngliche Gestalt der Sage fest. Als hernach diese mittelrheinischen Gegenden fränkisch wurden, ja den Namen des Frankenlands vorzugsweise zu führen begannen, konnten Brunhildes Bett und Odins Zauberfeuer auf keinen erhabeneren Ort als auf den Gipfel des Feldbergs verlegt werden.

Diesen ziert kein Gebäude, noch immer müssen die Wanderer hinter Brunhildes Bett Schutz suchen. Friedrich V., Landgraf von Hessen-Homburg, wollte zum Andenken seines Amtes als oberster Märker und Waldbote, wenn der Gipfel des Feldbergs bei der Teilung der Mark in sein Los fiele – was auch geschah –, ein Gebäude zum Schutz der Besuchenden errichten lassen; warum es unterblieb, wissen wir nicht. Neuerdings ist davon die Rede, einen Turm wie jenen auf dem Königsstuhl bei Heidelberg und auf dem Melibocus errichten zu lassen, welcher dem Zweck nicht ganz entsprechen würde, weil er zum Übernachten wenig Bequemlichkeit böte.

Am nördlichen Abhang des Feldbergs läuft der römische Pfahlgraben vorbei. Man bemerkt die Spuren eines Römerkastells und ein anderes längliches Viereck, die Heidenkirche genannt. Tiefer am Fuß liegen auf einem Felsen die Ruinen des Schlosses Reifenberg, das nach dem Aussterben des fehdelustigen Geschlechts an die Walbott-Bassenheim kam. Die Reifenberger erstürmten 1374 Königstein; die »Limburger Chronik« erzählt es etwa mit folgenden Worten: »In demselben Jahr waren die von Reifenberg feind Junker Philippsen, Herrn zu Falkenstein, und der war genannt der Stumme von Falkenstein, nicht, daß er ein Stummer wäre von Reden, denn er war ein Stummer von Werken. Und dieselben von Reifenberg erstiegen und gewannen Königstein jenseits der Höhe und fingen ihn mit seinen vier Kindern und führten sie auf ihr Schloß Reifenberg. Da starb derselbe Junker in den nächsten acht Tagen, denn er war gar sehr gefallen zu Königstein und wäre gern geflohen, da das erstiegen ward.« Gleich hinter Reifenberg auf einem waldigen Hügel liegt auch Hattstein, das den Frankfurtern so viel zu schaffen machte, daß sie es 1379 eroberten und 1432 wegen erneuten Straßenraubes mit Hilfe von Mainz und Isenburg zerstörten.

 


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