Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Stromberg

Unter den Nebentälern der Nahe, die bei Kreuznach münden, ist wohl jenes des Guldenbachs das reichste und fruchtbarste. Den Namen verdankt dieser dem gediegenen Gold, das er nicht selten in Stufen von dem Gewicht einer Unze bei sich führt, ohne daß die Lagerstätten, aus denen es ausgewaschen sein muß, bis jetzt entdeckt wären. Von dem sogenannten Heideparker Hof, bei dem freundlichen Winzenheim, übersieht man seine gesegnetere Hälfte, während der Blick zugleich den ganzen Rheingau beherrscht, ja tief ins Maintal schweift.

Gerade unter diesem Standpunkt ist eine Eremitage mit einer Kirche in den roten Felsen gemeißelt, die in den Zeiten ihres Glanzes wohl erträglich gewesen sein mögen. Von dem Eremiten aber berichtet ein Augenzeuge, er habe alle Illusion gestört. »Wenn man sich einen Anachoreten erwartet, wie ihn die fromme Schwärmerei und eine lebhafte Phantasie schildern, dann ist man bald enttäuscht, wenn man einen ehemaligen Klosterbruder in der gewöhnlichen Landestracht hier sein Wesen gemächlich treiben sieht, dessen Äußeres durchaus nichts von Kasteiungen verrät; der zwar in seinem Felsenzimmer, aber auf Federbetten schläft und von den Gewohnheitsalmosen der Umwohnenden eben nicht so schlecht lebt wie vielleicht die meisten der Spender!«

Höher hinauf am Guldenbach liegt Stromberg mit den mächtigen Ruinen der ehemaligen Reichsfeste, die den Umwohnenden noch jetzt als der Saal bekannt ist. Der häufiger vorkommende Name, der eigentlich Stramberg lauten sollte, bedeutet einen schroffen Berg. Was die Geschichte von Stromberg meldet, ist nicht interessant genug, um hier erwähnt zu werden. Der Leser verlangt aber Auskunft über jenen Fust von Stromberg, den der Hofgerichtsrat Maier in der bekannten Sturm- und Drangperiode zum Helden einer einst beliebten Tragödie gemacht hat. Alle darin vorausgesetzten Verhältnisse sind durchaus ersonnen und im handgreiflichsten Widerspruch mit der Geschichte, und wenngleich der Verfasser viele gelehrt scheinende Noten beigefügt hat, so verrät er doch überall völlige Unkenntnis des Lokalen sowohl als der Landesgeschichte. Nur der Name Fust von Stromberg, nach dem die Burg neuerdings wohl Fustenburg heißt, ist keine Erfindung Maiers, wie Storck gemeint hat. Ein Fust von Stromberg kommt z. B. im Jahre 1395 unter den Wohltätern des Karmeliterklosters zu Kreuznach vor.

Das Städtchen Stromberg liegt mitten zwischen zwei sich kreuzenden Tälern. Eine andere der vier Bergecken ziert die Ruine eines zweiten, gleichfalls pfälzischen Schlosses, dessen Name Goldenfels mit jenem des Tales verwandt ist, aber doch schwerlich die Lagerstätte des Schatzes angibt. Höher hinauf am Guldenbach sind Marmorbrüche, auch wird Eisen gewonnen und in Saalers und Puricellis sehenswerten Hüttenwerken verarbeitet.

Die untersten Nahegegenden, von Bretzenheim abwärts, sind noch immer anmutig und lieblich, aber romantisch von geringem Interesse. Wir machen nur auf das Tal des Laienbaches aufmerksam, das sich zwischen Sarmsheim und Laubenheim öffnet. Es kommt von der Ruine des Laierschlosses, wo die Vorfahren der Dalbergs wohnten. Das dabeiliegende Dörfchen Rümmelsheim besaß Fust von Stromberg in Gemeinschaft mit dem Rheingrafen Wolfram; später war es sogar dreiherrisch, indem Bretzenheim, Dalberg und Elz mit der Regierung wechselten. Ein anderes Dörfchen, Dorsheim oder Donrsheim, wie es 1481 genannt wird, enthält in seinem Namen ein Zeugnis für die Identität der nordischen und der deutschen Mythologie. Auch kommt es mit Rümmelsheim in einem Kinderreim vor:

Eia popeio,
Dorsheim liegt bei Laio,
Rümmelsheim liegt auch dabei,
Sind der schönen Dörfer drei.

Kurz vor dem Ausfluß der Nahe teilt sich ihr Tal, indem rechts zwischen den Kalkhügeln des Gaus, die sich aus dem Nahetal ins Rheinland wenden, und dem Rochusberg eine breite Ebene lagert, durch welche die Wasser der Nahe ursprünglich mit dem Rhein in Verbindung standen, während sie ihm jetzt durch die enge Schlucht zwischen dem Rochusberg und dem Hunsrück zufließen. Wir haben schon oben vermutet, daß es der Rhein gewesen sei, welcher sich vor der Bildung des engeren Rheintals hier einen Ausweg gesucht und den Rochusberg vom Hunsrück losgerissen habe. Dieser steht nämlich jetzt, obgleich offenbar mit dem Hunsrück gleichen neptunischen Ursprungs, ganz isoliert und kann rings umgangen werden. Auch ist er nach allen Seiten, selbst nach Norden – nur hier nicht so hoch hinauf –, mit Reben bepflanzt; aber nur die Südseite spendet den köstlichen Scharlachberger. Den Namen trägt dieser Nahe-Rhein-Wein – denn beide Flüsse haben an ihm Teil – von dem rötlichen Ton des Schiefers. Rot ist überhaupt die herrschende Farbe des Gesteins, die auch Porphyr und Sandstein teilen, und die rote Erde des Nahetals gehört mit zu seinen Reizen. Der ganz terrassierte Scharlachberg gewährt denen, die höher aus dem Nahetal kommen, einen herrlichen Anblick; ebenso berühmt ist die Aussicht von seiner Höhe, dem Scharlachkopf. Hier muß man stehen, um sich zu überzeugen, daß der Rochusberg ein gewaltsam abgerissener Ausläufer des Hunsrück ist. Die entgegengesetzte Seite des Bergs trägt die berühmte Rochuskapelle, die so tief in den Rhein- und in den Nahegau blickt. Unmittelbar vor dieselbe hat Bingen Akazien pflanzen lassen, die wohl einst im Sommer Wallfahrern willkommenen Schatten spenden, dem Touristen aber schon jetzt alle Aussicht nehmen. Er gehe daher weiter vor bis an den Abhang des Berges! Da erst erscheinen der Rhein in seiner lieblichen Seenatur und der Rheingau in seinen sanftesten Umrissen. Doch über die Rochuskapelle muß man Goethe und Bettinas Briefe lesen.

In der engen Schlucht, welche die Nahe noch vom Rhein trennt, wölbt sich eine Brücke über sie, deren ersten Bau man ohne Grund dem Drusus zuschreibt. Auch den Draißbrunnen nennen sie Drususbrunnen, da doch Draiß im Rheingau, bei Godesberg, in der Eifel usw. durch aufsprudelnde Quellen versumpftes Land bedeutet. Wo des Drusus Brücke und das römische Bingium standen, ob diesseits oder jenseits der Nahe, ist noch unermittelt. Die Wahrscheinlichkeit und die älteste von der heiligen Hildegard erhaltene Nachricht spricht für die Stelle, welcher sie den Namen Rupertsberg erwarb. Das römische Kastell mag aber auf dem Vorsprung des Rochusberges gestanden haben, der späterhin die unüberwindliche Feste Klopp trug. Unüberwindlich hieß sie, weil Kaiser Albrecht sie in der Fehde gegen den ehrgeizigen Erzbischof Gerhard von Mainz, der nicht bloß Kaiser, sondern auch neue Zölle machen wollte, nicht hatte einnehmen können. Aber den stolzen Titel büßte sie im Dreißigjährigen Krieg ein, und im Orleansschen sprengten sie die Franzosen. Den Fremden, welchen die Liberalität des Besitzers die Ruine und die umgebende schöne Gartenanlage zugänglich macht, pflegt der Führer zu berichten, daß in diesem Turm Heinrich IV. als Gefangener seines Sohnes geschmachtet habe. Auch melden dies einige Reisebücher, während andere versichern, nicht hier, sondern auf Böckelheim sei die Szene dieser schwarzen Tat des Undanks. Es scheint aber, der Kaiser wurde wirklich auf Klopp gefangengenommen und von da nach Böckelheim geführt, wo er längere Zeit saß. Klopp ist mit Recht wegen herrlicher Lage und entzückender Aussichten berühmt; aber hier an der Schwelle des Rheingaus, an der Pforte des engeren Rheintals, findet man auf jeder Höhe, in jedem Weinberg Wunder der Anmut und Schönheit.

 


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