Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Von Boppard bis Koblenz

So reich an wilder, romantischer Schönheit das engere Rheintal dem Vorüberreisenden erscheint, er würde doch nicht wünschen, Bürger einer seiner Städte zu heißen und lebenslang zwischen den Schieferfelsen des Trachgaus und Einrichs eingeklemmt zu wohnen. Erträglicher wäre dieses Los allerdings in den Gegenden, die wir jetzt betreten, ja es dünkt uns, reiflich erwogen, beneidenswert. Die vielfachen Krümmungen, mit denen der Rhein, den Charakter der Mosel nachahmend, sich hier durch die Felsen windet, und die Nähe des Mosel- und des Lahntals verleihen ihnen dreifach und vierfach erhöhte Reize. Wer bei Boppard oder bei Braubach den Berg hinansteigt, sich im Wald verirrt und endlich wieder hinab gelangt, der weiß nicht, hat er den Rhein oder die Mosel, die Lahn oder den Rhein vor sich. Die möglichen Ausflüge werden mannigfaltiger, denn hinter dem Berg lacht ein zweites Rheintal, hinter dem Berg schlingt sich die Mosel, hinter dem Berg rauscht die Lahn. Ortschaften, die zu Wasser weit auseinander liegen, verbindet ein kurzer Weg über den Berg, und ihre Gemarkungen stoßen oben zusammen. Wenn man sonst mit der Eiljacht stromauf fuhr, so verließ man bei Rhens das Schiff und ging zu Fuß über den schön bewaldeten Bopparder Berg, ohne sich vor den Räubern zu scheuen, die ihn seit sechs Jahrhunderten unsicher machen sollen. Man sah dann zwar nichts von der stolzen Marksburg, der einzigen noch erhaltenen Rheinfeste; dafür zerbrach man sich aber auch nicht die Köpfe über die drei Spaie (Oster-, Nieder- und Oberspai), ob sie von »Specula« abzuleiten seien (= Lauschort) oder von »Spaw« – das nach Minola einen Mineralbrunnen bedeutet –, und gelangte unterhalb des Jakobsberger Hofes, wo früher das Frauenkloster Peternach stand, eine Viertelstunde oberhalb Boppard, wieder ins Tal, während die Jacht sich noch mit keuchenden Pferden abmühte, nur den weintriefenden Bopparder Hamm zu erreichen. Es blieb also noch volle Zeit, sich in Boppard von der Güte des Gewächses zu überzeugen. Mit den Dampfschiffen dürfte man einen solchen Wettgang nicht wagen; ja auf ihnen bemerkt man nicht einmal, daß der Strom eine Krümmung gemacht hat. Auf der Mosel, wo die Windungen bedeutender sind, wird man sich, wenn sie künftig Dampfschiffe befahren, ein Vergnügen dieser Art nicht zu versagen brauchen. Für die Rheinfahrt aber hatten unsere alten, langsamen Eiljachten noch allerlei andere Vorzüge vor den Dampfschiffen. Man lernte zu Schiff doch etwas von dem Land und seinen Bewohnern – wenigstens seine Weine kennen, denn da war kein Örtchen so klein, man legte an und kostete. Jetzt, wo auf dem Dampfer der Restaurateur den Wein führt, trinkt man immer dieselben Säuerlinge; an den Rheinflecken aber fahren wir gleichgültig vorüber, denn sie haben uns weder Süßen noch Sauren geschenkt.

Um aber ordnungsmäßig zu verfahren, legen wir unser Nächelchen (denn wir fahren weder auf dem Dampfschiff noch mit der Eiljacht, wir haben eines jener Dreibördchen bestiegen, die man Seelenverkäufer nennt) bei Boppard an, denn weder Hirzenach, einst eine Propstei von Siegburg, noch Weiler lockt uns zu verweilen, und Salzigs herber Name schreckt uns ab, zumal die süße Kirschenzeit vorüber ist. Zwar haben es schon die Römer (als Saliso) so gut wie Wesel (Vosavia) gekannt; doch auch Boppard (Bodobriga) rühmt sich, den Chef der römischen Artillerie (praefectus militum balistariorum) beherbergt zu haben. In der fränkischen Zeit bewohnte der Gaugraf seinen Königshof, den die Baier von Boppard bei der berühmten Belagerung dieser Reichsstadt, damit er dem Feind nicht in die Hände falle, selber in Brand steckten. Bis dahin hatte Boppard mit Oberwesel gleiche Schicksale gehabt; jetzt aber machte es eine letzte verzweifelte Anstrengung, seine durch die Verpfändung an Trier verlorene Reichsstandschaft wiederzuerwerben. Aber die rechte Zeit war verpaßt, wo Wesel sein Bundesgenosse geworden wäre: dem gesamten Erzstift und seinen mächtigen Verbündeten konnte die eine Stadt nicht die Spitze bieten. Nach zwölftägiger Belagerung mußten sie dem Feind die Tore öffnen und kniend mit flehend emporgehobenen Händen dem Bischof huldigen. »Gott gebe, daß sie es lange halten«, sagt Peter Meier, der Chronist, »denn wo Haut und Haare nicht gut sind, da macht man selten gute Pelze.« Auch zwang man sie, selbst ihren schönen Kran abzubrechen und die Materialien zu dem Bau der erzbischöflichen Burg herbeizuschleppen. »Und war dies der erste Dienst, den sie unserem gnädigen Herrn taten. Ecce hic eorum sancta cessavit libertas et sic servi facti sunt.« Aus einer blühenden Reichsstadt sank es nun allmählich zu der heutigen schmutzigen Armseligkeit herab, und nur wenige Überbleibsel aus seiner besseren Zeit – seine ehrwürdige Kirche mit den verbundenen Türmen, das altadelige Haus Schwalbach und das ehemalige Frauenkloster Marienberg, einst urkundlich das hohe genannt, weil es nur von Nonnen pfalzgräflichen Geschlechts bevölkert war – geben ihm noch einiges Ansehen.

War es der Verlust der Freiheit allein, was die blühenden Reichs- und Hansestädte des mittleren Rheintals zu Flecken und Dörfern herabwürdigte? Keineswegs, um der Wahrheit die Ehre zu geben und selbst der Gewaltherrschaft nicht unrecht zu tun. Merians Bilder belehren uns, daß diese Städte noch kurz vor dem Dreißigjährigen Krieg eine glänzende Außenseite darboten. Was das Faustrecht, die Raubritter, die angemaßten Zölle, was alle Fehden und Kriege, die je das Rheintal durchtobten, nicht vermocht hatten, das brachten Hollands Absonderung vom Mutterland und seine feindselige Handelspolitik zustande. Zur Zeit der Hanse war Deutschland der erste Handelsstaat Europas, und die rheinischen Städte nahmen nach jenen der Nord- und Ostseeküste daran vorzüglichen Anteil. Aber dieser Handel gründete sich auf Einigung des Binnenlandes mit der Küste, des Rheins mit dem Meer, und als Holland den Strom sperrte, als auch die Schelde infolge des Westfälischen Friedens geschlossen und Deutschland glänzlich von der See abgeschnitten wurde, da war es auch um seinen Handel geschehen, »seine Fahrzeuge verfaulten, seine Kontore schlossen sich, seine blühenden Städte verödeten«. So können wir sagen, daß uns der Westfälische Friede mehr geschadet hat als der Dreißigjährige Krieg.

Boppard gegenüber liegt das freundliche Schlößchen Liebeneck auf einer Höhe, die zweimal ins Rheintal blickt, denn auch hier schlingt sich der Strom um eine schmale Landzunge. Sein Name erinnerte die Schenke von Osterspai, daß ihre Väter einst Liebenstein besaßen.

Da bei Niederspai ein neuer Salmtrieb beginnt, der bis nach Rhens geht, so stehe hier die von Bodmann erhaltene merkwürdige Klassifikation der Rheinfische:

»1) Ein Salm ist ein Kaiser, darum, daß er über Berge streicht. 2) Item ein Selmling, eines Kaisers Kind. 3) Item ein Stichling, ein König, darum, daß ihn kein Fisch essen darf. 4) Item ein VorhelForelle, ein Herzog, darum, er hat ein gemusirten Rock an. 5) Item ein Esche, ein Grafe, darum, daß er mit den Selmlingen streichet. 6) Item ein Hecht, ein Räuber, darum, er muß rauben, das er isset. 7) Item ein Barbe, ein Schneider, darum, der Faden hängt ihm zum Munde heraus. 8) Item ein Karpe, ein FürsprechAdvokat, darum, er schwatzet in dem Wasser. 9) Item ein Bersich, ein Schütze, darum, er ist der schnellste von der Hand zu schießen. 10) Item ein Grundel, ein H-, darum, er laichet mit allen Fischen. Wer es nicht glauben will, der fahre mitten in des Meeres Grund: da findet er aller Fische Papst: den frage er eigentlich nach der Wahrheit.«

Sagen finden sich auf dieser Strecke wenige, und die vielen, die der Engländer J. Snowe in seinem soeben erschienenen Buch aufführt, hat er nach beliebter Manier entweder selbst erfunden oder anderswoher entliehen, um hier die Lücken zu büßen. Ich weiß nur, daß sich an die ehrwürdige Johanniskirche, die bei Niederlahnstein den Winkel zwischen Rhein und Lahn mit ihren beiden ungleichen Türmen füllt, eine Sage knüpft, habe aber nichts weiter von ihr erfragen können, als daß einst – bei welchem Anlaß, wußte man nicht anzugeben – ihre Glocken von selbst zu läuten begonnen haben. Nun erzählt man zwar zu Boppard von dem Klausner Michael, der eine Viertelstunde von Marienberg ein stilles Tal bewohnte, er habe beim Herannahen des Todes Gott gebeten, seine sterbliche Hülle nicht wilden Tieren zum Raub werden zu lassen, sondern ihr ein geweihtes Grab zu verleihen, worauf ihm dann im Augenblick der Auflösung die Engel selbst geläutet und so seine Beerdigung herbeigeführt hätten; ich sehe aber keinen näheren Bezug dieser Überlieferung auf die Johanniskirche, die von Boppard zu entfernt ist, um hier ins Spiel zu kommen.

Herr von Stramberg erzählt aber noch eine andere hier heimische Sage. An der Mosel, zwischen Graach und Zeltingen, liegt das Kloster Machern, welches vordem auf dem rechten Rheinufer in der Nähe von Niederlahnstein gestanden haben soll. »Wenn man die reizende Markung von Herchheim zurückgelegt hat, die ersten Häuser von Lahnstein vor sich erblickt, ist noch ein Bächlein zu überschreiten. An dem verwitterten Heiligenstock, der das Bächlein begrenzt, geht in heiligen Nächten und auch wohl in den Zeiten der Lahnsteiner Kirmes eine Nonne auf und ab; sie ist reich gekleidet, ernst, doch mild, denn sie betet aus einem Buch, das sie geöffnet vor sich trägt. Schon manchen hat sie erschreckt, obgleich sie keinen belästigt und sogar grüßt; aber wenn sie sich zeigt, so geht es den Bach hinauf, in der Schlucht, toll zu: da hört man Gekreische und wilde Lust, wüste Lieder und dazwischen die süßen Töne des Salve Regina, dann und wann rollt auch ein feuriges Rad dem Bach zu. In dieser Schlucht soll das Kloster Machern gestanden haben.«

Ist aber diese Gegend arm an Sagen, so ist dagegen für die Geschichte, die deutsche namentlich, nicht leicht eine andere wichtiger. Wir haben bei Mainz schon des rhensischen Königsstuhls gedacht und Bodmanns Meinung erwähnt, daß dieser Wahlplatz nur aufkommen konnte, als sich Mainz von Trier das Recht, deutsche Könige zu machen, aus den Händen winden ließ. Heinrich VII. war der erste deutsche König, der bei Rhens gewählt wurde, und der Einfluß Balduins von Trier, der seines Bruders Wahl durchzusetzen wußte, entschied auch für diesen, allen vier rheinischen Kurfürsten, deren Besitzungen hier zusammenstießen, gelegenen, aber Trier besonders bequemen Wahlort. Auch Karl IV. war hier gewählt worden, aber erst 1376 befahl er den Einwohnern von Rhens, denen er dafür Zollfreiheit verlieh, »hier ein Gestühl zu machen und das alleweg zu bewahren und zu halten ewiglich«. Das letztere haben die guten Rhenser nun doch nicht getan. Der Königsstuhl, den sie erbaut hatten, stand unterhalb Rhens in einem Baumgarten, zwei Musketenschüsse vom Rhein, und war nach Winkelmann »von Quadersteinen in der Runde gebaut mit sieben Schwibbogen, stand auf neun steinernen Säulen, deren eine in der Mitte, war sonst ganz offen und darüber gewölbet (sic!), hinauf stieg man 18 Staffeln, die Runde betrug etwa 40 Ellen im Umkreis, die Höhe 8, und sieben Umsitze waren für die sieben Kurfürsten gemacht, und wenn man in die Trompete stieß, hat jeder der vier rheinischen Kurfürsten es auf seinem Schloß (Mainz auf Lahneck, Trier auf Stolzenfels, Köln in Rhens, Pfalz auf Marksburg bei Braubach) hören können«.

Von allen auf dem Königsstuhl hier gepflogenen Verhandlungen erwähnen wir nur die wichtigsten: den Abschluß des berühmten Kurvereins und die Wahl Ruperts von der Pfalz (1400), nachdem tags zuvor der faule Wenzel bei der unscheinbaren Marienkapelle vor Oberlahnstein entsetzt und das Reich für erledigt erklärt worden war.

Diese Gegenden sind wohl die mildesten und anmutigsten des engeren Rheintals. Zwar ragt der gewaltige Felsen der Marksburg noch unmittelbar aus dem Schoß der Flut empor, aber von da abwärts bis an die Lahn und jenseits wieder bis Pfaffendorf und Ehrenbreitstein legt sich ein gesegnetes Uferland vor die starren Felsen, wie auch Rhens und die drei Spaie diesseits und jenseits fruchtbare Gemarkungen haben. Der Weg von Lahnstein nach Ems ist unerschöpflich an wechselnden Reizen; nicht weniger berühmt ist die Aussicht von Stolzenfels, der Mündung der Lahn gerade gegenüber, im Angesicht von Rhens, Braubach, Lahneck und beiden Lahnsteinen. Lahneck war es bekanntlich, auf dessen Zinnen Goethe die Erscheinung sah, der wir das Lied verdanken:

Hoch auf dem alten Turme steht
Des Helden edler Geist
usw.

Die Geschichtsforscher widersprechen auf das bestimmteste der im Volk verbreiteten Meinung, als ob Lahneck einst den Tempelherren gehört hätte. Sie wissen nur, daß es der Erzbischof Gerhard von Mainz gegen Ende des 13. Jahrhunderts erbaut habe, nachdem schon Ute, Arnulfs Gemahlin, Lahnstein dem entfernten Mainz geschenkt hatte, wie Rhens durch eine noch frühere Schenkung des Erzbischofs Kunibert an das entlegene Köln gekommen war. Das Volk beharrt aber bei seiner Meinung, ja es bezieht auch die schon erwähnte Johanniskirche auf die Johanniter, die Erben der Templer; und hiermit scheint die oben besprochene Sage zusammenzuhängen. Wenn die Marksburg über Braubach als die einzige noch bewohnte Burg des Rheintals aufgeführt wird, so sollte man Oberlahnstein die einzige Stadt nennen, deren alte Befestigung noch völlig unversehrt ist. Die Mauern und Türme, die sie im Viereck umschließen, sind ganz dieselben, die wir auf Merians Bild erblicken. Wer sich die alte Befestigung veranschaulichen will, versäume nicht, Oberlahnstein und Braubach zu besuchen. Lahnstein hat auch an seinem oberen Ende noch eine Burg, die älter ist als Lahneck.

siehe Bildunterschrift

Stolzenfels

Das Studium der alten Burgbaue kann auf Stolzenfels fortgesetzt werden, denn es ist ganz im alten, edlen Stil und mit Benutzung der ziemlich wohlerhaltenen Mauern wiederhergestellt. Schon ursprünglich war es eine trierische Feste, niemals eine Raubburg, wie der verlogene Snowe fabelt. Stolzenfels verdiente jenen Namen durch seine kühne Lage auf überhängendem Felsen. Eine Sage hat es nicht, wohl aber einige wichtige historische Momente. Friedrichs II, des Hohenstaufen, englische Braut Isabelle, Schwester Heinrichs III. von England, kehrte hier in stattlicher Begleitung ein: wir wissen genau, wie die Tafel besetzt war (mit Rheinsalm, Rehbock und Oberweseler), und der frühzeitige Chronist gibt uns die tröstliche Versicherung: »Sie aßen gut, tranken noch besser, und die königliche Jungfrau tanzte viel.« Auch das Kaisers Kanzler, Peter von Vinea, der seitdem über so manche Bühne geschritten ist, fand sich ein. Einige historische Novellen könnte man gleichfalls hier spielen lassen und die alchimistischen Versuche Erzbischof Werners von Trier und seines Nachfolgers, Johanns von Baden, Schatzgräbereien benutzen. Aber auf Stolzenfels spielt die Geschichte fort; es ist der Dichtung noch nicht anheimgefallen.

Zu dem Artikel »Das engere Rheintal«, den wir hiermit beschließen, gehören noch zwei Anhänge; denn einmal möchten wir in das schöne Lahntal wenigstens einen Blick werfen, und dann erwartet der Leser auch über den Hunsrück, dessen wir mehrfach gedacht haben, schon des seltsamen Namens wegen, eine Auskunft.

 


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