Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Elftausend Jungfrauen

Legenden sind keine Glaubensartikel, sondern erbauliche Erzählungen, Dichtungen, die keiner anderen als der poetischen Wahrheit bedürfen. Sie gewinnen wenig, wenn ihnen Geschichte zugrunde liegt. Diese stattet sie nur mit jener Wirklichkeit aus, die Hegel eine schlechte Wahrheit nennt. Der Verfasser der gedruckten »Chronik von Köln« mußte sich noch, um Anstoß zu vermeiden, der lateinischen Sprache bedienen, indem er die Widersprüche berührt, in die ihm die berühmteste kölnische Legende mit bekannten historischen Tatsachen geraten zu sein schien. Ein neuerer Kölner Gelehrter sagt es deutsch heraus, daß die bei der St.-Ursula-Kirche, in der Nähe der römischen Begräbnisse, aufgefundenen Sarkophage sowohl durch ihre Inschriften als durch die darin vorkommenden Waffen und Utensilien sich als römisch verraten und die starken Schädel und Gebeine eher das Ansehen haben, von römischen Kriegern als von britischen Jungfrauen herzurühren. Gleichwohl bekennt er, daß die Zeugnisse für den Glauben an den bei Köln erlittenen Märtyrertod der heiligen Ursula und ihrer Gesellschaft in schriftlichen Urkunden und Legenden bis in die ältesten Zeiten hinaufreichen, mithin die konstante Tradition notwendig ein historisches Faktum zum Anhalt und Hintergrund haben müsse. Wir fügen hinzu, daß die Erzählung Galfreds von Monmouth, die Hauptquelle der britischen Fabel und Sage, die Legende eher bestätigt als verdächtig macht. Wenngleich er Köln nicht erwähnt, indem er die Schiffe an »barbarische Inseln« verschlagen werden läßt, so hat er doch offenbar aus einer christlichen Legende geschöpft, die er willkürlich zu seinen Zwecken benutzte und verarbeitete. Nach ihm waren diese aus Großbritannien herbeigerufenen elftausend edlen Jungfrauen (wozu aus den niederen Volksklassen noch sechzigtausend hinzukamen) bestimmt, den britischen Kriegern, welche das späterhin Bretagne genannte gallische Küstenland Armorica erobert hatten und sich der Vermischung mit den Galliern enthalten wollten, vermählt zu werden. In dem Zusammenhang seiner Erzählung ist es ein müßiger, die christliche Quelle verratender Zug, »daß viele derselben ihre Jungfräulichkeit dem ehelichen Leben vorzogen und lieber ihr Leben unter jedem Himmelsstrich verloren, als daß sie nach großen Reichtümern Verlangen getragen hätten«. Auch nach ihm wurden sie von Hunnen niedergemetzelt, aber Etzel erwähnt er nicht, so wenig als die kirchliche Überlieferung. Nur die »Kölner Reimchronik« hat ihn aus der Volkssage aufgenommen. Mones Meinung, daß hier wieder ein Teil der Heldensage zur christlichen Legende geworden sei, läßt sich nicht ganz abweisen. Die Mordzüge der Hunnen, die Schlacht in den Katalanischen Feldern scheinen in beiden nachzuklingen. Der Name Ursula deutet aber eher auf Welfen als auf die gibellinischen Nibelungen, und die Übereinstimmung der Zahlen ist nur sehr unvollkommen.

 


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