Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Lorch mit dem Wispertal

Assmannshausen ist nur seines Rotweins wegen bemerkenswert, den es von Burgunderreben gewinnt, die, früher als die Rieslinge zeitigend, die Ungunst der durchschnittlich westlichen Lage verbessern. Doch bietet das Gebirgstal, das nach Aulhausen oder Düppenhausen, einer Kolonie geschickter Töpfer, und zum ehemaligen Nonnenkloster Marienhausen führt, eine rein südliche Wand, auf der sich die Rebe in ihr vortaunisches Paradies hinüberträumt.

Von Assmannshausen bis Lorch zeigt das rebenbebaute rechte Felsenufer keine Burg noch Ortschaft, während das jenseitige reich daran ist. Lorch ist, wie so viele tiefer liegende Flecken und Städte – wie Bacharach, Oberwesel, Boppard – nur eine Ruine seines ehemaligen Glanzes. Als noch der Handelszug der Rheinweine nach Köln ging und Bacharach deren Stapel und Niederlage war, hob die Nähe dieses Orts seinen Kulturfleiß und Wohlstand zu einer seitdem nie wieder erreichten Höhe.

Wer hat, dem wird gegeben: ein gut- und zahlreicher Adel ließ sich in Lorch nieder, dessen »Schuljunkerschaft« gleichsam für die Universität der edlen rheingauischen Jugend galt. Auf der linken Seite der Wisper stand über Lorch zum Schutz der Rheingauer Grenzen die längst verschwundene Burg Fürsteneck, deren Burgmänner aus den vielen Zweigen der alten Ritter von Lorch gewählt wurden. Ihr gegenüber erblickt man noch die gewaltige Warte, Nollingen genannt, die vielleicht zur Befestigung des Fleckens gehörte. Am lautesten zeugt von der ehemaligen Blüte Lorchs die mit vielen bedeutenden Denkmälern gezierte Kirche. Das von Philipp Hilchen von Lorch hat die Jahrzahl 1215; jünger, aber wichtiger ist das des Reichsfeldmarschalls Johann Hilchen von Lorch, der – ein Freund und Waffenbruder Franz' von Sickingen – beide Erbfeinde, die Türken und die Franzosen, besiegt hat.

Das bei Lorch mündende Wispertal ist wegen seines scharfen Nordostwinds bei Schiffern und Winzern verschirren. Auch sollen allerlei Unholde darin gespenstischen Spuk treiben; doch kann ich dem widersprechen, da ich selbst erfahren habe, daß es nur von holden Geistern bewohnt wird. Ob der Kedrich, jener auch als Teufelsleiter bekannte steile Fels, den einst ein verliebter Abenteurer hinaufgeritten sein soll, im Rhein- oder Wispertal zu suchen sei, ließ sich nicht ermitteln. Nach Sattel und Zaum des Pferdes mag, wer gern ausgelacht ist, am Rathaus fragen. Übrigens wird die mit jener von Falkenstein verwandte Sage sehr abweichend erzählt. Seines wildromantischen Charakters wegen verdient das Wispertal mit seinen Zweigen – Sauer- und Werkertal – häufigeren Besuch.

Bei der Heiligen-Kreuz-Kapelle sprudelt der Tiefenbach aus dem Sauertal, wo über dem schwefelhaltigen Brunnen des gleichnamige Dörfchens die weitläufigen Trümmer der einst sickingischen Sauerburg auf waldigem Bergkegel thronen. Seltsame Gerüchte sind über diese Ruine, die mehr einer Festung als einer Feste anzugehören scheint, im Schwange. Der letzte der Sickingen, der in Armut verstarb und vielen Mitlebenden persönlich bekannt war, beging hier, nach der neuerdings selbst in Zeitungen besprochenen Landsage, eine Tat, die in der deutschen Literatur eine furchtbare Berühmtheit erlangt hat: er hielt seinen Vater, den die Welt gestorben glaubte, in einem Verlies der zerstörten Burg oder im Keller des alten Pfarrhauses gefangen. Als der Frevel ruchbar wurde und der Kurfürst von Mainz eine bewaffnete Mannschaft ausschickte, um den unglücklichen Vater zu befreien, hatte der unnatürliche Sohn ihn bereits weggebracht und in den Kellern der Burg Dalberg bei Kreuznach verborgen, wo er aber durch die Freiherrn von Dalberg ans Licht gezogen und dem Leben zurückgegeben wurde. Von den Dalbergs soll Schiller diese Begebenheit, die er in seine »Räuber« verflocht, erfahren haben. Letzteres ist wohl nicht möglich, da, soviel bekannt ist, das Schauspiel in den Grundzügen fertig war, ehe Schiller Dalbergs Bekanntschaft machte. Es wird hinzugefügt, jene Familie habe an Schillers Verfolgung Mitschuld getragen.

Wo der Werkbach, der von Lipporn herabkommt, in die Wisper mündet, liegen auf steilen Felsen die zerstörten Burgen Rheinberg und Kammerberg; erstere uns schon aus der Geschichte der Rheingrafen bekannt, die andere einst ein erzstiftliches Jagdschloß im Kammerforst. Nicht weniger merkwürdig ist Lipporn (Lichtborn) am Werkbach, wo sich die ältesten Spuren des nassauischen Hauses verlieren. Hier, wo noch ein Mauerwerk Auf dem Ring heißt, hatte jener Drutwin I. seinen Sitz, hier wohnte noch sein Geschlecht, ehe es in die Königshundert hinüberzog und die jüngere Linie Lauremburg im Lahntal erbaute. Von hier aus gründeten sie das benachbarte Benediktiner-Doppelkloster Schönau, bekannt durch die Visionen der heiligen Elisabeth.

Oberhalb der Kammerberger Mühle wird das Wispertal immer enger, wilder und schauerlicher. Ein Fahrweg führt rechts den Berg hinan nach dem Forsthaus Weißenturm und dem Walddorf Presberg (Brensbur), von dem sich die bekannten Brömser von Rüdesheim schrieben; von der Laukenmühle aufwärts läßt sich aber die Wisper nur noch zu Fuß bereisen. Auch hier finden sich Reste eines Schlosses, das einige Heichelheim, andere nach der Mühle nennen; bedeutender sind aber weiter oben die fast unzugänglichen Ruinen von Geroldstein, ursprünglich Girstein, d. i. Geierstein, wegen der Adlerhöhe des Raubnestes. Wollten wir die Wisper noch weiter verfolgen, so würden wir über Wisper, das bei ihrer Quelle – wie Waldkriftel bei jener der Kriftel – liegt, wieder nach Langenschwalbach gelangen.

 


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